Bernhard Peter, Gernot Ramsauer und Alex Hoffmann
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 1418
Nürnberg (Mittelfranken)

St. Lorenz in Nürnberg (4)
Rieter-Fenster

Das Rieter-Fenster ist ein Chorfenster auf der nördlichen Seite, das letzte Fenster des Polygons vor dem Erreichen der Gerade, das dritte Fenster links vom zentralen Chorhaupt, zwischen dem Haller-Fenster und dem Hirschvogel-Fenster. Es ist auf 1479-1481 zu datieren. Die Maße und die Aufteilungen sind die gleichen wie beim Haller-Fenster, sechs mal sechs Scheiben plus ein Maßwerkabschluß. Es ist bis oben bunt verglast und folgt damit dem spätgotischen Lichtkonzept. Die untere Reihe ist als Stifterzone fast vollständig mit heraldischen Inhalten gefüllt, tatsächlich enthalten fünf von sechs Scheiben heraldische Darstellungen. Die fünf Reihen darüber sind vollständig figürlich-szenisch, die Maßwerkzone ist eine abschließende Reihe, die weitgehend Filialbekrönungen enthält. Thematisch ist das Fenster den Büchern Exodus und Numeri, dem Auszug aus Ägypten und dem Einzug in das Land der Verheißung gewidmet. Die Stifter des Fensters sind namentlich bekannt, es sind die Brüder Peter und Sebald Rieter, und sie sind in der untersten Reihe ganz rechts vor einer nach einem Schongauer-Stich gezeichneten Strahlenkranzmadonna in kniender und betender Haltung abgebildet, in eine Prunkrüstung gekleidet, nebst der datierenden Inschrift. Die Stiftung steht vermutlich in Zusammenhang mit einer 1479 vollzogenen Pilgerfahrt ins Heilige Land, vermutlich nicht nur als begleitende Zurschaustellung dieser großen Reise, sondern vor allem als Dankesgabe für erfolgreichen Verlauf der Reise und glückliche und unversehrte Heimkehr, vermutlich hatten die beiden Brüder wie damals nicht unüblich eine Art Gelübde für diesen Fall getan, dessen Erfüllung wir dieses Meisterwerk spätgotischer Glaskunst verdanken. Der entwerfende Künstler ist unbekannt. Interessant sind zwei Fakten, die dieses Fenster von anderen unterscheiden, zum einen liest es sich von oben nach unten wie eine Buchseite, zum andern ist jeder Szene ein Schriftband zugeordnet, das Fenster wendet sich also an den lesekundigen und buchvertrauten Betrachter.

Hier ist vor allem die unterste Zone mit den Wappendarstellungen interessant. Alle fünf Scheiben enthalten das Rieter-Stammwappen, dieses zeigt in von Schwarz und Gold geteiltem Schild eine rotgewandete und golden gekrönte zweischwänzige silberne Meerjungfrau (Sirene). Auf dem Helm mit rot-goldenen Decken die zweischwänzige silberne Meerjungfrau (Sirene), mit jeder Hand einen der aufwärts gebogenen Fischschwänze ergreifend. Jede dieser Darstellungen hat einen größenreduzierten Beischild heraldisch links unten neben dem Hauptschild, diesem zugeneigt, in der linken Abbildung handelt es sich um den Wappenschild der Mindel, von Blau und Silber gespalten mit einer Laubkrone in verwechselten Farben. Das Wappen wird bei Schöler auf Tafel 153 abgebildet und im Siebmacher Band: BayA1 Seite: 81 Tafel: 80 sowie Band: BayA3 Seite: 191 Tafel: 137 beschrieben. Ein dänisches Geschlecht namens Myndel soll übrigens das gleiche Wappen führen. Die hier nicht dargestellte Helmzier wäre auf dem Helm mit blau-silbernen Decken zwei aufgereckte Arme, rechts silbern mit blauem Aufschlag und links in umgekehrten Farben bekleidet, eine blau-silbern gespaltene Laubkrone emporhaltend. Die zu den beiden Wappen passenden Personen sind Nicolaus Rieter, gest. 1404, und seine Frau Kunigunde Mindel. Früher wurde es statt Nicolaus dem 1376 verstorbenen Heinrich Rieter zugeordnet, was aber nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

In der rechten Abbildung handelt es sich um einen silbern-rot gespaltenen Wappenschild, Rudiment eines Behaim-Wappenschildes, bei dem der schwarze Schrägwellenbalken im Laufe der vielen Reparaturen und Restaurierungen, die die ganze Zeile über sich hat ergehen lassen müssen, verlorengegangen ist, Hans (Johann) Rieter d. Ä. hatte Kunigunde Behaim geehelicht. Dieser Hans (Johann) Rieter ist es übrigens, der mit Jakob von Lusignan, König von Zypern, die Abstammung der Rieter so "hin bog" (oder "hin log"), daß es mehr "daher machte". Neben beiden Helmzieren sehen wir heraldisch links ein von einem Schwertgurt umwundenes mit der Spitze nach unten gestelltes Schwert, ein Symbol des Schwertordens des Königreichs Zypern, das den heimreisenden Rittern vom König von Zypern verliehen wurde, wenn sie ihn besuchten und ihm Ehre erwiesen. Hier gehört das Symbol korrekterweise hin, bei den Fenstern links und rechts daneben handelt es sich um anläßlich von Restaurierungen eingefügte Ergänzungen aus dem 19. Jh.

Die dritte und vierte Scheibe der untersten Zeile haben zwei Rieter-Wappen, die der oben gegebenen Beschreibung entsprechen. Das dritte Wappen im linken Bild hat zwei Beischilde. Optisch links sehen wir in Rot einen oberhalben Löwen, den Wappenschild der Grundherr, das nicht dargestellte Oberwappen wäre auf dem rot-silbern bewulsteten Helm mit ebensolchen Decken der Löwe wie beschrieben wachsend. Das Wappen wird im Siebmacher (Band: Bay Seite: 80 Tafel: 92) beschrieben. Auf der anderen Seite ist der Schild zwar etwas ausgeblichen, die zwei zu einer Acht verschlungenen Lindenzweige mit nach außen gekehrten Blättern, vier auf jeder Seite, sind das typische Schildbild der fränkischen von Seckendorff, die korrekte Farbe wäre eine rote Figur in silbernem Feld.

Peter Rieter d. Ä., Sohn von Hans Rieter, gest. am Sonntag nach Michaelis 1462 an der Pest, war zwei Ehen eingegangen, eine erste im Jahre 1418 mit Klara (Clara) Grundherr, der Tochter von Ulrich Grundherr und dessen Frau Margaretha Stromerin von Reichenbach. Von dieser ersten Frau, die 8.2.1419/1420 (?) an der Pest starb, sehen wir den originalen Beischild. Die zweite Ehe ging Peter Rieter d. Ä. am 12.7.1420 mit Barbara von Seckendorff ein, der Tochter von Siegmund von Seckendorf zu Jochsberg und dessen Frau Anna von Freyberg. Für diese zweite Frau, die im Alter in das St. Klarakloster in Nürnberg eintrat und 1476 verstarb, sehen wir einen im Barock ergänzten Beischild (schlechtere Farben, überdauerten nicht). Auch wenn der Beischild ausgeblichen ist, markiert er doch einen wichtigen Punkt in der Geschichte der Rieter: Zum ersten Mal gelang eine Heirat außerhalb der Nürnberger Geschlechter mit dem Landadel. Peter Rieter d. Ä. gelangte als einer der ersten seiner Familie in den Nürnberger Rat. Seine Schwägerin Anna von Seckendorff bzw. deren Sohn Jörg (Georg) von Seckendorff zu Dettelsau hatte ihm übrigens 1447 das Landgut Kornburg verkauft, von dem die Rieter den Namen "Rieter von Kornburg" ableiteten und das sie selber landsässig machte. Peter Rieter d. Ä. war einer der reichsten Bürger der Reichsstadt Nürnberg, was durch die Veranlagung von 6 Salzscheiben im Jahre 1447 deutlich wird. Er sicherte das Familienvermögen durch Gründung einer Stiftung.

Peter Rieter d. Ä. tritt vor allem durch viele Reisen in den Quellen zu seinem Leben hervor, die den nach seinen Lehrjahren in Brügge/Flandern im Waffengeschäft Tätigen durch die halbe damals bekannte Welt führten, so 1428 nach Santiago de Compostela, 1432 nach Mailand und Pavia, 1436 ins Heiliges Land (zusammen mit Berthold Deichsler, dem Prior Hans Bart, Gabriel Füterer, Peter Harsdörfer, Konrad Haller, Erhard Haller, Paul Haller, Jörg/Georg Pfinzing, Gabriel Tetzel, Gabriel Muffel und zwei Knechten), schließlich 1450 nach Rom (gemeinsam mit seiner Ehefrau Barbara von Seckendorff). Hinsichtlich des Stadtregiments war er, als er 1437/1438 jüngerer Bürgermeister wurde und 14 Jahre lang blieb, der erste Rieter im Nürnberger Rat, und während seiner Amtszeit engagierte er sich im Krieg gegen den Markgrafen von Brandenburg. Im Alter zog er sich an Fastnacht 1452 in das Barfüßerkloster zurück, lebte dort bis zu seinem Tod als Mönch und wurde auch dort begraben.

Das vierte Wappen im rechten Bild hat wieder nur einen einzigen Beischild, diesmal mit dem Wappen der von Lichtenstein (ebenfalls fränkischer Landadel), von Rot und Silber im Zackenschnitt quadriert. Beide Wappen lassen sich damit dem 1471 verstorbenen Sebald d. Ä. Rieter und seiner Frau Margarethe von Lichtenstein zuordnen. Das sind die Eltern der Fensterstifter-Brüder. Sebald d. Ä. hatte übrigens auch eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternommen. Zwei Abzeichen rechts und links der Helmzier sind hier noch von Interesse: Das silberne Symbol, eine Art mehrlagiger Kragen mit jeweils schuppenförmig ausgerundetem Rand, könnte das Symbol des 1429 von König Johann II. von Kastilien zur moralischen Festigung der Reconquista gegründeten, aber nur kurzlebigen Ordens de la squama sein, das mit einem Schwertgurt umwickelte Schwert verweist auf das Königreich Zypern (Schwertorden).

Das fünfte und letzte Wappenbild ist ein Doppelwappen: Zwei Rieter-Schilde werden unter einem gemeinsamen Rieter-Helm doppelter Dimension zusammengefaßt. Normalerweise ist eine solche Konstellation üblich für Ehewappen, wo die Schilde von Mann und Frau unter dem mittig angeordneten Helm des Mannes stehen. Hier soll auf diese Weise die Eintracht zwischen den beiden das Fenster stiftenden Brüdern demonstriert werden. Denn jeder der beiden hat einen eigenen Beischild für die Ehefrau. Das Wappen weicht in seiner Darstellung von den anderen vier Scheiben ab, und es handelt sich tatsächlich um eine vielfach restaurierte und letztendlich historisierend 1732, 1836 und 1938 ergänzte Darstellung. Als heraldische Prunkstücke sieht man insgesamt vier Abzeichen von Kreuzritterorden. Der heraldisch rechte Schild steht für Sebald d. J. Rieter. Auf seiner Seite der Komposition erkennt man oben ein rotes Abzeichen, das Ordenszeichen der Ritter vom Hl. Grab, ein rotes Krückenkreuz, welches von vier kleinen roten griechischen Kreuzen bewinkelt ist, auf silbernem Grund. Daneben ist wieder das von einem Schwertgurt umwickelte Schwert des zypriotischen Ordens vom Schwert. Sebald d. J. Rieter hatte Ursula Mendel geheiratet, aber vom Mendel-Schild ist nur das obere Drittel mit der goldenen Zone noch original. Der Mendel-Schild ist nämlich eigentlich von Gold, Rot und Schwarz zweimal schräggeteilt, hier ist eine Wendung aus Courtoisie anzunehmen, so daß die erhaltene Scherbe genau dieser obersten, goldenen Zone entspricht. Das Unterteil des Schildes ist die Zweitverwendung einer ganz anderen Scherbe, die hier ganz und gar nicht hingehört.

Die optisch rechte Hälfte der Komposition ist dem Bruder Peter Rieter zuzuordnen. Er hatte 1483 Elisabeth Truchsessin von Pommersfelden geheiratet. Da das Rieter-Fenster 1479-1481 entstand, ist auch dies ein sichtbarer Beweis für eine spätere "Bearbeitung" des Fensters, denn das Auftreten dieses Schildes macht sich zwar aus Symmetriegründen gut, ist aber ein Anachronismus. Der Beischild ist den Truchseß von Pommersfelden zuzuordnen, diese führten in Silber einen blauen, golden gekrönten Löwen, von zwei roten Balken überdeckt, die hier leistenartig schmal und mittlerweile farblos sind. Auch auf der Seite des Peter Rieter finden wir oben neben der Helmzier interessante Symbole, das goldene, außen mit silbernen Messerklingen besetzte Rad mit durchgesteckter Achse steht für den St. Katharinen-Orden der Pilger zum Katharinenkloster auf dem Sinai, und die silberne, mit drei beblätterten silbernen Garten-Lilien (Mariensymbol) gefüllte Kanne steht für den von König Alfons IV. von Aragon gestifteten aragonesischen Kannenorden (Orden de la Jarra y el Grifo, Orden der Kanne und der Greif). Wie die Rieter-Brüder an diese Symbole kamen, ist offen.

So bildet die Reihe der Wappen insgesamt eine Stammreihe in väterlicher Linie für die beiden das Fenster stiftenden Brüder, die ganz rechts ihren Platz haben (Scheibe 5 das Wappen und Scheibe 6 die Personen). Links neben ihnen (Scheibe 4) findet sich die Heraldik für deren Eltern, Sebald d. Ä. und Magarethe von Lichtenstein, wiederum links daneben (Scheibe 3) die für die Großeltern Peter d. Ä. und eine Frau Grundherr und Barbara von Seckendorff, wiederum links daneben die für die Urgroßeltern Hans (Johann) Rieter d. Ä. und Kunigunde Behaim, und ganz links außen die für die Ururgroßeltern väterlicherseits.

Literatur, Links und Quellen:
St. Lorenz, Nürnberg: http://www.lorenzkirche.citykirche-magazin.de/
Kunst in St. Lorenz:
http://www.lorenzkirche.citykirche-magazin.de/index.php.....=147
St. Lorenz, Nürnberg:
http://www.nuernberginfos.de/kirchen-nuernberg/lorenzkirche-nuernberg.html
Veröffentlichung der Bilder aus dem Innenraum von St. Lorenz in Nürnberg mit freundlicher Genehmigung von Herrn Marco Popp, Lorenzer Archiv,
wofür ihm an dieser Stelle ganz herzlich gedankt sei.
Siebmachers Wappenbücher, insbesondere der Band Bayern
Eugen Schöler, Historische Familienwappen in Franken, Verlag Degener / Bauer Raspe, Neustadt an der Aisch, 3. Aufl. 1999, Nachdruck 2002, ISBN 3-87947-112-6

Peter Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg. Nürnberger Forschungen, Einzelarbeiten zur Nürnberger Geschichte, herausgegeben vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg. Bände 31/1, 31/2, 21/3 (Stammbäume) und 31/4. VDS Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch. ISBN 978-3-87191-333-4.
Veit Funk, Glasfensterkunst in St. Lorenz, Verlag A. Hofmann, Nürnberg 1995, ISBN 3-87191-200-X
Hannes Kästner, das Bannerzeichen des Pharao, in: Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich. Studien zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag, S. 520-522
Wappenrolle der Rieter, Bayerische Staatsbibliothek
Kopial- und Stammbuch Hans Rieters d.Ä., datiert um 1566-1570 Nürnberg, Stadtarchiv: D 14 Nr. B 24 und Nürnberg, Stadtarchiv: D 14 Nr. B 22
Geschlechterbuch Hans Rieters d. J., von 1590, Nürnberg, Stadtarchiv: D 14 Nr. B 1
Christoph von Imhoff, Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, Nürnberg 1989.
Daten zu Peter Rieter d. Ä.: Irmgard Prommersberger, unveröffentlichte Familienforschung Rieter.
Ein herzliches Dankeschön an Frau Irmgard Prommersberger für wertvolle Hinweise zur Familie Rieter.

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