Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2347
Erfurt (Landeshauptstadt)

Das Angermuseum

Der Anger ist heute eine wichtige, ja die hauptsächliche Geschäftsstraße Erfurts im Südosten der Altstadt. Früher war der am Rand gelegene Anger, eine Freifläche zwischen Stadtmauer und innerstädtischer Bebauung, ein Handelsplatz der Erfurter Färber, deren Handel mit Färberwaid (Isatis tinctoria) als traditionellem Blaufärbemittel eine der Grundlagen des Erfurter Wohlstands war. Gerade weil diese Waidfärberei so wichtig für Erfurt war, entwickelte sich der Platz zu einem bedeutendem Handelszentrum und blieb es auch nach dem Rückgang des Waidhandels. Heute ist der Anger eine ca. 600 m lange, teilweise platzartig aufgeweitete Einkaufsstraße, die neben den typischen Geschäftsklötzen von teilweise sehr prächtigen Bauten des 17.-19. Jh. gesäumt wird. Eine der prunkvollsten Fassaden hat das Angermuseum (Anger 18).

Die Abb. unten zeigt nur einen Ausschnitt der gewaltigen Nordwestfassade mit St. Martin, dem Schutzpatron der Stadt, im Giebeldreieck. Weiterhin wird die Fassade von vier Allegorien der Justitia (Gerechtigkeit), Caritas (Mildtätigkeit), Prudentia (Tugendhaftigkeit) und Vigilantia (Wachsamkeit) von Gottfried Gröninger geschmückt. Der reiche plastische Barockschmuck ist fränkisch beeinflußt. Die Fassade ist durch Pilaster gegliedert. Museum ist das dreistöckige Gebäude aber erst seit 1886, denn gebaut wurde das barocke Prunkgebäude 1706-1709 als kurmainzischer Pack- und Waagehof unter dem damaligen kurmainzischen Statthalter Philipp Wilhelm Reichsgraf von Boineburg (amtierte 1702-1717). Der Bau war Symbol einer zu Beginn des 18. Jh. wieder aufblühenden Handelstätigkeit in der Stadt, nachdem zuvor eine Pestepidemie 1680 ff. das Wirtschaftsleben einknicken ließ. Alle in die Stadt eingeführten Waren mußten hier verzollt und ausgelegt werden. Nach dem Ende der kurmainzer Zeit waren in dem prunkvoll verzierten Gebäude preußische Ämter und die ehemalige Universitätsbibliothek untergebracht.

In der Erfurter Museumslandschaft nimmt das Angermuseum eine besondere Stellung ein, weil es den Anfang der Museumskultur kennzeichnet. Markstein im bewahrenden und präsentierenden Umgang mit Kunst war eine 27.6.1886 in der ersten Etage der einstigen kurmainzischen großen Waage eröffnete Gemäldegalerie mit Werken von Friedrich von Nerly (1807-1878, 1852 persönlicher württembergischer Adel), einem romantischen Landschaftsmaler. Dessen Neffe, Eduard von Hagen, der selbst auch als Maler tätig war, hatte den Nachlaß der Stadt geschenkt und die Stadträte zur Eröffnung eines Museums bewegt. Damit schrieben beide Parteien Geschichte, denn es wurde das erste kommunale Museum der Stadt. Heute ist kaum nachzuvollziehen, wie zögerlich man sich damals benahm und die Kosten fürchtete, denn die Objekte der damaligen Schenkung des Jahres 1883 zählen heute zu den wichtigsten Eigenbeständen des Angermuseums. Auch der Sohn von Nerlys, Friedrich Paul Nerly (1842-1919), stiftete den Nachlaß seines Vaters dem Erfurter Museum. In der Folgezeit entwickelte sich das Angermuseum zu einer Sammlung von Landschaftsmalerei, Portraits und Stilleben des 18. bis 20. Jh., aber auch von Kunst und Kunstgewerbe (Glas, Möbel, Porzellan, Schmiedeeisen). Allein schon die mit 650 Exponaten bedeutendste Thüringer Fayencen-Sammlung in Originalvitrinen des späten 18. Jh. ist ein Höhepunkt des Museums. Die große Halle im Erdgeschoß, in der früher ganze Wagen abgefertigt werden konnten, wurde rekonstruiert und dient als Präsentationsraum mittelalterlicher Kunst. So entwickelte sich das Angermuseum zum hauptsächlichen Kunstmuseum der Stadt.

In der zentralen Achse der Nordwestfassade ist das Wappen des bauzeitlichen Landesherrn angebracht, das des Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (regierte 1695-1729). Lothar Franz von Schönborn, seit 1701 Reichsgraf, war in zwei Bistümern Bischof, in Bamberg ab 1693 und in Mainz ab 1695. Der Hauptschild ist geteilt und zweimal gespalten, Feld 1 und 6: in Gold ein schwarzer Löwe, darüber eine silberne Schrägrechtsleiste, Hochstift Bamberg, Feld 2 und 5: in Rot ein silbernes sechsspeichiges Rad, Erzstift Mainz, Feld 3: in Rot drei (2:1) silberne Schildchen, Herrschaft Reichelsberg, Feld 4: in Blau ein silberner Balken, begleitet von 3 (2:1) silbernen Rauten, Herrschaft Heppenheim, Herzschild: in Rot auf drei silbernen Spitzen ein schreitender, gekrönter goldener Löwe, Stammwappen der Grafen von Schönborn. Über der Kartusche sieht man den Kurhut; Schwert sowie Krummstab, die normalerweise hinter dem Schild gekreuzt wären, fehlen. Zwei Schildhalter ergänzen die Komposition. Das gleiche Wappen ist auch an der kurmainzischen Statthalterei in der Regierungsstraße zu sehen.

Am weiter unten an der Fassade befindlichen, üppig gestalteten Balkongeländer ist im mittleren Abschnitt noch ein silbernes Mainzer Rad mit roter Füllung zwischen den sechs Speichen eingearbeitet (Abb. oben). Weiterhin begegnet uns das Rad innerhalb von Muschel-Dekorationen über den Fenstern der mittenahen Fensterachsen (Abb. unten).

Literatur, Links und Quellen:
Siebmachers Wappenbücher, insbesondere Band Bistümer
Die Wappen der Hochstifte, Bistümer und Diözesanbischöfe im Heiligen Römischen Reich 1648-1803, hrsg. von Erwin Gatz, erstellt von Clemens Brodkorb, Reinhard Heydenreuter und Heribert Staufer, Schnell & Steiner Verlag 2007, ISBN 978-3-7954-1637-9
Steffen Raßloff: 100 Denkmale in Erfurt, Geschichte und Geschichten, Thüringen Bibliothek Bd. 11, Essen 2013.
Lothar Franz von Schönborn:
http://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Franz_von_Schönborn
Friedhelm Jürgensmeier: Lothar Franz von Schönborn, in: Neue Deutsche Biographie. Band 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-00196-6, S. 227 f., online:
http://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016333/images/index.html?seite=241
Constantin von Wurzbach: Lothar Franz Graf Schönborn, in: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 31. Verlag L. C. Zamarski, Wien 1876, S. 138 f., online:
http://www.literature.at/viewer.alo?objid=12540&page=159&scale=3.33&viewmode=fullscreen und http://de.wikisource.org/wiki/BLKÖ:Schönborn,_Lothar_Franz_Graf
Der Anger:
http://www.erfurt-web.de/Anger
Steffen Raßloff: Angermuseum, Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine vom 26.07.2014
http://www.erfurt-web.de/Angermuseum
Angermuseum:
http://www.kunst-und-kultur.de/index.php?Action=showMuseum&mId=1662
Chronik der Stadt Erfurt:
http://www.erfurt.de/ef/de/erleben/entdecken/geschichte/chronik/111883.html
Angermuseum:
https://de.wikipedia.org/wiki/Anger_(Erfurt)#Angermuseum
Erfurter Waage:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erfurter_Waage

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