Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 939
Landgrafenstadt Darmstadt

Darmstadt, Stadtkirche
Epitaph der Magdalena Gräfin zur Lippe

Der Chorabschluß hinter dem Altar wird bis in Höhe des Fensterabschlusses eingenommen von einem gigantischen Epitaph, das Georg I. Landgraf v. Hessen-Darmstadt (10.9.1547 - 7.2.1596) seiner ersten Frau, Magdalena Gräfin zur Lippe (24.2.1552 - 26.2.1587) errichten ließ. Der Aufbau ist in mehrere Zonen aufgeteilt. Über einer Sockelzone folgt die größte Zone, ein zentrales Relief wird von den beiden vollplastisch gearbeiteten Figuren der Eheleute flankiert, außen folgt jeweils ein Inschriftenfeld. Die nächste Zone hat ein zentrales Relieffeld, das aber direkt von den beiden nur halb so hoch reichenden Inschriftenfeldern begleitet wird, so daß hier schon die Giebelzone beginnt. Die oberste Zone hat nur noch Platz für zwei Felder für jeweils ein prächtiges Vollwappen für jeden Ehepartner. Obelisken akzentuieren die vertikalen Strukturen, kunstvolles Schmuckwerk füllt die Ecken zwischen den rechteckigen Einheiten zu einem mehr oder weniger dreieckigen Giebel.

Ganz oben in der obersten Zone unterhalb der abschließenden Bekrönung befindet sich das Allianzwappen der beiden Ehepartner. Das optisch linke Wappen ist das der Landgrafen von Hessen. Es ist geviert mit Herzschild:

Dazu gehören folgende 3 Helme:

Das optisch rechte Wappen dagegen ist das der Grafen zur Lippe: Es ist geviert, aber gegenüber der gewohnten und korrekten Anordnung hier mit vertauschten Plätzen:

Dazu wird nur der Lippische Helm geführt: Zwischen einem offenen, hier rechts silbernen und links roten Flug eine rote Rose mit goldenem Samen und Kelchblättern, Helmdecken eigentlich rot-silbern, hier farblich unrichtig wiedergegeben.

Interessant ist, daß der Schild jeweils eine relativ eng an den Vorbildern orientierte Form hat, aber einer Kartusche mit Renaissance-Rollwerk aufliegt. So erfüllt der Schild selbst die heraldischen Anforderungen einerseits durch seinen geraden Rand und die ästhetischen Vorgaben seiner Zeit andererseits durch seine Unterlage.

Die beiden unteren "Etagen" des Epitaphs werden von Schilden der Ahnenprobe gerahmt. Das zentrale Relief der dreigeteilten Zonen wird jeweils oben und zu beiden Seiten von 16 Wappenschilden eingerahmt, insgesamt 32 an der Zahl.

Abb.: Hauptzone, Mittelfeld mit 16 Ahnenwappenschilden außenherum und den beiden Standfiguren seitlich

Genealogie des Ehemannes:
Die Eltern von Georg I. Landgraf v. Hessen-Darmstadt (10.9.1547 - 7.2.1596) waren:

Seine Großeltern:

Seine Urgroßeltern:

Seine Ururgroßeltern (das sind die relevanten Ahnen für die eine Hälfte der Wappenschilde):

Abb.: Obere Zone, Relieffeld mit 16 Ahnenwappenschilden außenherum

Genealogie der Ehefrau:
Die Eltern von Magdalena Gräfin zur Lippe (24.2.1552 - 26.2.1587) waren:

ihre Großeltern:

ihre Urgroßeltern:

ihre Ururgroßeltern (das sind die relevanten Ahnen für die andere Hälfte der Wappenschilde):

Die 32 kleinen Wappenschilde:
An diesem Epitaph lassen sich viele der Wappenschilde zuordnen, wenn wir die je 16 Ururgroßeltern beider Ehepartner zugrundelegen. Viele der Wappenschilde sind farblich korrekt, aber andere nicht, weshalb hier keine Blasonierung gegeben wird. Ein Versuch einer möglichen Zuordnung wäre:

Abb. oben, von links nach rechts: Elisabeth v. Honstein (Farben unrichtig), Ernst I. Graf v. Mansfeld-Hinterort (- 1486) (Farben unrichtig), Margarethe v. Mansfeld (ca. 1458 - 20.2.1531) (Farben unrichtig), Mechthild Pfalzgräfin bei Rhein (7.3.1419 - 22.8.1482), Anna v. Sachsen (5.6.1420 - 17.9.1462), Friedrich II. Kurfürst v. Sachsen (22.8.1412 - 7.9.1464)

Abb. oben, von links nach rechts: Simon IV. Herr zur Lippe (ca. 1404 - 11.8.1429), Kuno Graf zu Solms-Hohensolms-Lich (- 1477), Barbara v. Wertheim (ca. 1420 - nach 1470), Ludwig I. Graf v. Württemberg-Urach (1411 - 1450), Heinrich III. Landgraf v. Hessen (15.10.1440 - 13.1.1483), Heinrich IV. Herzog v. Mecklenburg-Werle (1417 - 9.3.1477) (Farben unrichtig)

Abb. oben, von links nach rechts: Ludwig II. Landgraf v. Hessen (1402 - 17.1.1458), Otto II. Graf v. Schauenburg (1400 - 1464) (Farben unrichtig, einfach ein Graus!), Johann I. Herzog v. Cleve Graf v. d. Mark (1419 - 5.9.1481), Margaretha v. Österreich (ca. 1416/1417 - 12.2.1486), Margarete v. Braunschweig-Grubenhagen-Einbeck (ca. 1411 - nach dem 31.10.1456), Anna v. Katzenelnbogen (5.9.1443 - 16.2.1494) - der Farbgebung nach ja, der Logik nach nein - Neubecker hält das für Grafschaft Gleichen, was von der Logik, aber nicht von den Farben hinkommt, Volrad I. Graf v. Waldeck (1399 - 1475), zur Abwechslung mal richtig.

Abb. oben, von links nach rechts: Markgräfin Dorothea v. Brandenburg (9.2.1420 - 19.1.1491), König Albrecht II. als König von Ungarn (1397 - 27.10.1439), Kunigunde Gräfin v. Sternberg (18.11.1422 - 19.11.1449) (Farben unrichtig), Erich II. Herzog v. Pommern-Wolgast (ca. 1425 - 5.7.1474), Sophia v. Pommern-Stargard (ca. 1435/1437 - ca. 1494/1497) (Farben unrichtig), Walpurga v. Dhaun (- 1493) (gemeint sind Wild- und Rheingrafen, Farben unrichtig), dann folgt zuletzt ein gänzlich mißverstandenes Wappen: Was auch immer gemeint sein soll (es wird z. B. von Neubecker ganz weit hergeholt über Nevers spekuliert - und was träumt er nachts?), tatsächlich ist das hier das Wappen der hessischen Familie Hohenstein dargestellt, vgl. Siebmacher 1605, S. 134, drei Rosen, die aus einem Ast sprießen, ganz grobe Verwechslung, denn die haben hier bestimmt nicht eingeheiratet. Vielleicht hat jemand beim Restaurieren Hohenstein mit Honstein verwechselt, s. o., was aber überflüssig wäre, denn wir haben nur einen Ahnen Honstein.

Abb. oben: Die restlichen Wappenschilde, ganz links ein nicht existentes Phantasiewappen (Neubecker hält das für Holszanski), dann könnte Münsterberg gemeint sein (falsch), noch einmal Braunschweig (wozu? Brauchen wir nicht bei gegebener Ahnenliste), das nächste Wappen gibt es so nicht unter den Ahnen (dafür ist Beichlingen noch nicht vertreten, was aber meilenweit entfernt ist, andere Farben und mehr Teilungen hat), das vorletzte Machwerk gibt es so überhaupt nicht (das wurde von Neubecker in seiner Verzweiflung schon für die Pfalz gehalten, brauchen wir zudem nicht, denn die Pfalz kommt nur einmal in den Ahnen vor, und wir haben sie bereits "verbraucht"), das letzte Wappen der Reihe ist wieder als Lippe erkennbar (ebenfalls überflüssig, brauchen wir in der 4. Generation zurück nur einmal, und das hatten wir bereits).

Man könnte sich die Mühe machen, diese Ahnenprobe anhand der oben gegebenen Vorfahrenabfolge fiktiv nach den Gesetzen der Logik richtigzustellen, vgl. Versuch von Neubecker, dessen auf dem Ist-Zustand basierende Mutmaßungen in der nachfolgenden Tabelle wiedergegeben werden:

        Hessen Lippe        
  Pommern Württemberg Mecklenburg Hessen Lippe Schauenburg Braunschweig Honstein  
Sachsen                 Mansfeld
Pfalz                 Gleichen
Braunschweig                 Mansfeld
Münsterberg                 Beichlingen
    Pfalz Sachsen Hessen Lippe Solms Wertheim    
  Brandenburg             Dhaun  
  Pommern             Nevers  
  Sternberg             Waldeck  
  Holszanski             Cleve  
  Ungarn             Österreich  

Da aber nahezu alles vertauscht ist, wie man beim Abgleich mit der Ahnenliste erkennen kann, und Neubeckers Überlegungen auf den bereits angerichteten Vertauschungen basieren, ist jedes weitere Grübeln sinnlose Quälerei des Betrachters und unergiebig, und da die Farbgebung so oft falsch ist, macht das auch keinen Spaß (wie der Leser bereits unschwer erkennen konnte). Allein schon in der Generation der Großeltern sind die meisten Schilde vertauscht. So einfach könnte es der strengen Logik nach sein, basierend auf den Ahnen der 4. Generation zurück:

        1 Hessen 1 Lippe        
  4 Polen 3 Mecklenburg 2 Sachsen 1 Hessen 1 Lippe 2 Waldeck 3 Mansfeld 4 Cleve  
5 Württemberg                 5 Schauenburg
6 Böhmen                 6 Solms
7 Pommern                 7 Gleichen
8 Österreich/Ungarn                 8 Hessen
    11 Brandenburg 10 Österreich 9 Sachsen 9 Braunschweig 10 Wertheim 11 Mansfeld    
  12 Kiewskaja             12 Nevers  
  13 Pfalzgrafen             13 Honstein  
  14 Sternberg             14 Dhaun  
  15 Pommern             15 Beichlingen  
  16 Luxemburg             16 Katzenelnbogen  

Ist es aber nicht, die Übereinstimmung zwischen beiden Tabellen ist minimal, nämlich genau vier Positionen (alle mit der Nr. 1): Irgendjemand hat beim Zusammensetzen Lotterie gespielt, und beim Anmalen ebenfalls. Es fehlen zudem wichtige Schilde, andere sind zuviel. Vielleicht hat man bei der Konzeption auch munter "eine Etage weiter nach oben" gegriffen in der Ahnenliste (zusätzlich Ahnen der 5. Generation zurück untergemischt) und dafür anderes weggelassen.

Ok, gehen wir mal von Neubeckers Zuordnung basierend auf dem Ist-Zustand aus. Jetzt streichen wir alle Wappen, wo die gegebenen Farben nicht stimmen oder sonstige Zweifel aufkommen, und dann sehen wir das ganze Elend: Eine ohnehin nicht verläßliche Grundlage ist noch einmal größtenteils verfälschend angemalt worden.

        Hessen Lippe        
  Pommern Württemberg Mecklenburg Hessen Lippe Schauenburg Braunschweig Honstein  
Sachsen                 Mansfeld
Pfalz                 Gleichen
Braunschweig                 Mansfeld
Münsterberg                 Beichlingen
    Pfalz Sachsen Hessen Lippe Solms Wertheim    
  Brandenburg             Dhaun  
  Pommern             Nevers  
  Sternberg             Waldeck  
  Holszanski             Cleve  
  Ungarn             Österreich  

Jetzt streichen wir alle Wappen, die nicht der richtigen Position der Ahnenprobe entsprechen UND wo die gegebenen Farben nicht stimmen oder sonstige Zweifel aufkommen, und dann sehen wir, daß als traurige Wahrheit genau vier "verwertbare" und eindeutig zuzuordnende Wappen übrigbleiben:

        Hessen Lippe        
  Pommern Württemberg Mecklenburg Hessen Lippe Schauenburg Braunschweig Honstein  
Sachsen                 Mansfeld
Pfalz                 Gleichen
Braunschweig                 Mansfeld
Münsterberg                 Beichlingen
    Pfalz Sachsen Hessen Lippe Solms Wertheim    
  Brandenburg             Dhaun  
  Pommern             Nevers  
  Sternberg             Waldeck  
  Holszanski             Cleve  
  Ungarn             Österreich  

Fazit: Hier stimmt fast nichts. Es vergeht einem einfach die Lust, das richtigzustellen, weil die Ausgangsbasis so ein Chaos ist und hier die Generationen und die männliche und die weibliche Seite durcheinandergemischt sind. Freuen wir uns wenigstens an den beiden Hauptwappen oben und an den wenigen korrekten Schilden, woi auch immer sie stehen, und über den Rest breiten wir den Mantel des gnädigen Schweigens und sparen uns die Energie für andere Fälle.

Literatur, Links und Quellen:
Siebmachers Wappenbücher
Genealogien entnommen aus Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9
Prof. Herbert Stoyan ein herzliches Dankeschön für wertvolle Hinweise
Ottfried Neubecker: Die Ahnenwappen Landgraf Georgs I. von Hessen und seiner ersten Gemahlin Magdalena zur Lippe auf deren Grabmal von 1489 in der Stadtkirche zu Darmstadt, in: Archiv für hessische Geschichte, NF 25 (1955/1957), S. 40-51.
Stadtkirche Darmstadt:
http://www.stadtkirche-darmstadt.de
Herrn
Mathias v. Nordeck ein herzliches Dankeschön für wertvolle Hinweise
Adolf Genth: Kulturgeschichte der Stadt Schwalbach, Wiesbaden 1858, S. 204

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