Bernhard
Peter
Der
Goldene Schnitt in der konkreten Kunst:
Beispiele von Jo Niemeyer
Auf dieser Seite möchte ich anhand einiger weniger Beispiele einen Künstler vorstellen, der sich in besonderer Weise um den Goldenen Schnitt in der Kunst verdient gemacht hat. Anders als bei vielen anderen Kunstwerken, wo der Goldene Schnitt ein Gestaltungsmerkmal unter vielen ist, ist er hier das grundlegende Gestaltungsprinzip, die Seele von Proportion und Harmonie seiner Werke. Um besser zu verstehen, wie weit seine Kunst dem Harmonieprinzip des Goldenen Schnittes Gestalt und Leben verleiht, sei im nächsten Abschnitt mit einem kleinen Exkurs über konkrete Kunst begonnen.
Was ist
konkrete Kunst?
Konkrete Kunst ist eine
Stilrichtung der modernen Kunst, die auf
mathematisch-geometrischen Grundlagen der Ästhetik basiert. Sie
ist die geometrische bzw. formale Materialisierung einer Idee,
von etwas Geistigem, ohne primären Bezug zur sichtbaren
Wirklichkeit. Sie wird erzeugt durch geometrische Konstruktionen.
Typisch sind die Beschränkung auf wenige elementare geometrische
Grundformen wie Quadrate, Rechtecke, Linien und die Verwendung
weniger Primärfarben, die in ihrer Kombination gerade durch die
Reduktion auf wenige klare graphische Elemente das
zugrundeliegende Gestaltungsprinzip um so wirkungsvoller zur
Aussage bringen und damit eine zeitlose und dauerhafte Ästhetik
besitzen. Die Herausforderung für den Künstler ist die
Reduzierung ohne Verlust der Aussagekraft, im Gegenteil, sein
Ziel ist es, die Aussagekraft quasi zu verdichten, zu
kondensieren, bis sich Balance, Rhythmus und Harmonie mit der
Eindringlichkeit des Einfachen manifestieren. Die
Gestaltungselemente Raum, Wand, Bildfläche, Farbfläche, Linie
und Punkt bedeuten nur sich selbst und verweisen auf die sie
erzeugende Grundidee. Diese essentielle Einfachheit der Struktur
ist es, aus der Werke von dauerhafter und universeller Wirkung
entstehen, die nicht nur aus ihrer Zeit und ihrem Kontext heraus
erlebt werden können. Konkrete Kunst ist der künstlerische
Ausdruck von harmonischem Maß und Gesetz, so rein wie möglich
graphisch umgesetzte und mit Leben versehene Idee. Treffend
formuliert es Theo van Doesburg "Die Malerei ist ein Mittel,
um auf optische Weise den Gedanken zu verwirklichen". Oder
Max Bill 1947: Konkrete Kunst macht den abstrakten Gedanken
an sich mit rein künstlerischen Mitteln sichtbar und schafft zu
diesem Zweck neue Gegenstände. Das Ziel der konkreten Kunst ist
es, Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu entwickeln,
ähnlich wie der Mensch sich Gegenstände schafft für den
materiellen Gebrauch. Und genau dieser Gedanke ist die
Schnittstelle zur kontemplativen Wahrnehmung der konkreten Kunst
durch den Betrachter und Fortsetzung des
künstlerisch-kontemplativen Prozesses in ihm selbst.
Was ist
konkrete Kunst nicht?
Konkrete Kunst ist keine
gegenständliche Kunst, denn sie bildet nichts ab, weder die
sichtbare noch die unsichtbare Wirklichkeit. Konkrete Kunst ist
gegenstandsfrei.
Konkrete Kunst ist keine abstrakte Kunst. Denn abstrakt setzt das Abstrahieren von etwas Gegenständlichem voraus, das materielle Vorhandensein dessen, was in abstrahierter Form abgebildet wird. Konkrete Kunst ist gerade keine Kunst, die sich aus der verarbeitenden Wahrnehmung der sichtbaren Wirklichkeit ergibt. Konkrete Kunst ist bildgewordene Idee, geht also eher den umgekehrten Weg.
Konkrete Kunst ist kein Konstruktivismus, denn von diesem unterscheidet sie sich durch ihr wissenschaftliches Denken, die Konzentration auf das Zusammenspiel von Form und Farbe und ihr Interesse an der Erforschung von geometrischen und harmonischen Gesetzen sowie der Farbe.
Wie und wo
ist konkrete Kunst entstanden?
Die Zielsetzungen wurden schon
vor der eigentlichen Begriffsprägungen formuliert, und zwar von
der Gruppe von Malern, Architekten und Designern De
Stijl, die 1917 in Leiden gegründet wurde und eine
Zeitschrift gleichen Namens herausgab. Ideen- und
kunstgeschichtlich besteht eine enge Beziehung zum deutschen
Bauhaus. Gründungsmitglieder waren der Maler und
Kunsttheoretiker Theo van Doesburg, die Maler Piet Mondrian und
Georges Vantongerloo sowie die Architekten Robert van't Hoff,
J.J.P. Oud etc. Gemeinsames Anliegen der Gruppe war es, sich von
den Darstellungsgrundsätzen der traditionellen Kunst als Abbild
der sichtbaren Wirklichkeit abzuwenden und eine Formensprache zu
entwickeln, die sich auf der Variation von wenigen elementaren
Prinzipien der bildnerischen Gestaltung (waagerecht - senkrecht,
groß - klein, hell - dunkel, Grundfarben weiß schwarz
blau gelb - rot etc.) gründet. Mitte der
Zwanzigerjahre kam es zu ersten Auflösungserscheinungen
innerhalb der Gruppe, einige Künstler gingen eigene Wege. Der
Begriff konkrete Kunst wurde im Jahre 1924 von dem
niederländischen Maler Theo van Doesburg eingeführt und 1930 in
einem Manifest Grundlagen der konkreten Malerei bei
der Gründung der Gruppe Art concret programmatisch
festgelegt. Darin wird u. a. formuliert: Auf der Suche nach
der letzten Reinheit waren die Künstler gezwungen, die
Naturformen, die die rein bildnerischen Elemente verdeckten, ganz
auszuschalten und die Naturformen durch
Kunstformen zu ersetzen. Konkrete Malerei also, keine
abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist, als eine
Linie, eine Farbe, eine Fläche. Es ist das
Konkretwerden des menschlichen Geistes.
Jo
Niemeyer, ein Vertreter der konkreten Kunst
Die Kunst von Jo Niemeyer folgt den
elementaren Gestaltungsgrundsätzen der konkreten Kunst, wobei
das seinen Werken innewohnende Gestaltungskonzept der Goldene
Schnitt ist. Mit wenigen Linien und Teilungen in Flächen von
einprägsamer und reiner Farbwirkung erzeugt er in seinen Bildern
eine so eng verflochtene gegenseitige Abhängigkeit aller
Gestaltungselemente unter dem Regime des Goldenen Schnittes, daß
seine Werke zu einer Manifestation der Idee der harmonischen
Teilung werden. Im Rahmen dieser Seite werden insgesamt 6
Beispiele gezeigt, jeweils in ihrer reinen Darstellung und
zusätzlich mit eingezeichneten Proportionen. Man erkennt, daß
es keine zwei Abstände gibt, die nicht mit irgendeiner Potenz
des Goldenen Schnittes miteinander in Beziehung stehen. Die hier
gezeigten Beispiele zeigen, daß die vom Betrachter wahrgenommene
ausgeglichene Spannung, die vollkommene Harmonie der markanten
Gestaltungselemente auf purer Mathematik beruhen, daß Mathematik
zugleich die Idee der Schönheit in sich trägt und daß
Schönheit durch mathematisch-geometrische Konzepte begründet
werden kann.
Jo
Niemeyer
1946 geboren in Alf (Mosel).
Erste Begegnungen mit konstruktiver Kunst im Atelier des Vaters
und der Mutter
1961-67 Ausbildung Graphik und Photographie in Freiburg.
Studium am Institute of Industrial Arts in Helsinki.
1966 Studienaufenthalte in Skandinavien und Nordamerika.
1966 erste Bilder mit geometrischen Strukturen.
1970 Beginn der freien künstlerischen Tätigkeit.
1971 erste Arbeiten nach seriellen Prinzipien, systematische
Untersuchungen der Bildformen, Ordnungssysteme und
Bildstrukturen.
1977 systematische Flächenteilungen, Proportionen.
1983-86 Lehrtätigkeiten an der Kunstakademie Helsinki u.a.
1979 entsteht modulon.
1988 Studienaufenthalte in Indien, Nepal, China.
Jo Niemeyer lebt und arbeitet in Süddeutschland, Finnland und
der Provence.
Zahlreiche Realisationen, Ausstellungen, Auszeichnungen und Preise im In- und Ausland. Arbeiten in öffentlichen und privaten Sammlungen u. a. der Stadt Jyväskylä (Finnland), Museum of Modern Art (New York, modulon), Pinakothek der Moderne- die neue Sammlung (München), Universität Tel Aviv, Museum Pecs (Ungarn), Louisiana Museum, Forum konkrete Kunst (Erfurt), Bauhaus Archiv (Berlin, modulon), Museum für konkrete Kunst (Ingolstadt), Stiftung für konkrete Kunst (Reutlingen), Museum Ushiroyama (Higashiawakura, Japan), Finnish National Gallery (Helsinki), Mondriaanhuis (Amersfoort/Niederlande), Nickle Arts Museum - University of Calgary, Institut für konkrete Kunst (Rehau) etc.
Jo
Niemeyer, Ausstellungen seit 1999 (auszugsweise):
Pure Abstract Art
Mondriaanhuis, Amersfoort/Niederlande.
Hommage à Vordemberge-Gildewart, Kunsthalle
Osnabrück.
10 Jahre Galerie Walzinger, Museum Haus Ludwig,
Saarlouis.
Konkrete Druckgrafik htl-Galerie Innsbruck.
Konkrete Begegnungen Museum Schloß Bonndorf.
Galerie Forsblom, Helsinki.
Galerie Walzinger, Saarlouis.
Graphics International Mumbai/Indien.
Galleria Villa Jankovsky, Kajaani, Finnland.
Hans Thoma Museum, Bernau 2003.
Grafikzyklen Sammlung Rosskopf, Freiburg.
Divinia Proportione, Institut für konkrete Kunst,
Rehau.
Europe - Concrete - Reductive Architekturmuseum,
Wroclaw/Polen.
konstruktiv-konkret Galerie Neher, Essen.
konkrete Kunst - Einheit und Vielfalt Villa Kobe,
Halle.
Installation 2003, New Art Centre, Roche Court,
England.
Europa konkret Universitätsammlungen TU, Dresden.
I'Arte Costruisce I'Europa Arte Struktura, Milano.
konkrete Kunst aus Baden-Württemberg Warschau 2004.
Experiment konkret 2005 Museum für konkrete Kunst
Ingolstadt.
8 Positionen der Gegenwart Schloß Dätzingen,
Grafenau, Galerie Schlichtenmaier 2006
Beispiele
für weitere Künstler der konkreten Kunst
Theo van Doesburg, Josef
Albers, Thomas P. Kausel, Maricia Hafif, Paul Lohse, Piet
Mondriaan, Robert Ryman, Phil Sims, Camille Graeser, Verena
Loewensberg, Richard P. Lohse, Rudolf de Crignis, Olivier Messet,
Andreas Christen, Jean Pfaff, Karl Gerstner, Max Bill, Jakob
Bill, Hans Arp, George Vantongerloss, Friedrich
Vordemberge-Gildewart, Fritz Glarner, Hansjörg Glattfelder,
Nelly Rudin, Rosa M. Hessling, Florin Granwehr, Hartmut Böhm,
Ingo Glass, Jean-Pierre Husquinet, Roland Phleps, Josef
Linschinger, Ulrich Otto, Claude Pasquer, Kurt Teuscher, Hellmut
Bruch, Gilbert Decock, Karl Duschek, Willem Kloppers, Jo Kuhn,
Knut Navrot, Claude Pasquer, Henri Prosi, Daniel de Spirt, Peter
Staechelin, Marie-Thérèse Vacossin, Jean-Pierre Viot, Gido
Wiederkehr, Michael Wiesinger, Martin Wörn, Piet van Zon etc.
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit).
Quellen:
Alle Bilder: Jo Niemeyer stellte
freundlicherweise die abgebildeten Druckgraphiken und
aufgelisteten Daten zur Verfügung.
http://www.konkrete-kunst.de
http://www.konkrete-kunst.de/Konkrete_Kunst/Aufsatz/aufsatz.html
http://www.stiftung-konkrete-kunst.de/
Einführung
Geometrische Konstruktionen (1) - Geometrische
Konstruktionen (2)
Geometrische Konstruktionen (3) - Geometrische
Konstruktionen (4)
Geometrische Konstruktionen (5) - Geometrische
Konstruktionen (6)
Geometrische Konstruktionen (7) - Geometrische
Konstruktionen (8)
Geometrische Konstruktionen (9) - Geometrische
Konstruktionen (10)
Fünfecke, Zehnecke, Ikosaeder und der
Goldene Schnitt
Mathematik des Goldenen Schnittes
Die Zahl des geometrischen Wachstums bzw.
der geometrischen Teilung
Immer schön kritisch bleiben!
Der Goldene Schnitt in der konkreten Kunst -
Beispiele von Jo Niemeyer
Land Art mit dem Goldenen Schnitt
Literatur, Links, Quellen
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Copyright Text und Graphik: Bernhard Peter 2006
© Copyright abgebildete Werke: Jo Niemeyer 2006
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