Bernhard
Peter
Galerie:
Photos schöner alter Wappen Nr. 2883
Grettstadt (Landkreis Schweinfurt)
Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Grettstadt
Die mitten im Ort im Norden des historischen Rathauses zu findende katholische Pfarrkirche St. Peter und Paul in Grettstadt ist ein ungewöhnlicher Bau: Eine klassische Chorturmkirche mit kontrastierender Rokoko-Fassade wird auf beiden Längsseiten von zwei niedrigen Anbauten begleitet, die jeweils vorne und hinten wie ein kleiner Pavillon mit Zeltdach gestaltet sind, so daß die Fassade dadurch ca. 20 m breit wird, bei ca. 26 m Länge der Anbauten. Diese Kirche entstand in insgesamt vier Bauphasen. Eine erste Kirche muß in romanischer Zeit bestanden haben, davon ist keine Bausubstanz mehr nachweisbar, aber der aufgefundene romanische Taufstein mit umlaufendem Rundbogenfries im linken Seitenschiff und das Missionskreuz stammen noch von dieser Kirche. In der Zeit der Spätgotik wurde die Grettstadter Pfarrkirche in eine regionaltypische Kirchenburg mit Mauer und Gaden umgewandelt. Der fünfgeschossige Turm ist der älteste erhaltene Teil und stammt von 1471 (Bauinschrift an der Südostecke). An der Südseite des vierten Turmgeschosses, knapp unter der spitzbogigen Schallöffnung, ist ein Wappenschild des Würzburger Fürstbischofs Rudolf von Scherenberg (amtierte 1466-1495) angebracht (ohne Abb.). Bis mindestens hierhin ist die Bausubstanz also vor-Echter-zeitlich, wahrscheinlich sogar bis zur Dachkante. Auch der eingezogene Chor mit seinem Netzgewölbe und den gekehlten Gewölberippen und die alte Sakristei auf der Nordseite entstammen der spätgotischen Bauphase, ebenso das sandsteinerne Sakramentshäuschen an der Nordwand des Chores, das ebenfalls auf 1471 datiert ist. Auch die Pietà des linken Seitenaltars und das Steinrelief mit einer Darstellung von Mariae Krönung sind spätgotisch.
Dann folgt eine Echter-zeitliche Renovierung, und dabei bekam der Turm den typischen Spitzhelm. Die Kirche wurde 1596 instandgesetzt, bekam neue Altäre und mehr Licht. Die auf 1614 datierte Echter-zeitliche Bautafel ist unter einem kleinen, giebelförmigen Schutzdach auf der Südseite außen sekundär angebracht. Früher war sie an der Kirche, dann wurde sie an die Kirchhofmauer versetzt, wo sie bis 1824 blieb. Mit dem Anfügen der Seitenschiffe kam sie an die heutige Stelle. Die Bauinschrift lautet: "Richt her dein aug mit Vleis besihe / Kirchen pfarr vnd Schuelhaus alhie / Julius Echter bauts als er war / Bischoff zu Wirtzburg viertzig Jar / Gros sorg vnd Costen er anwendt / Versicht die pfarr mit gewiser Rend / Rott aus die Rotten pflanzt alte lehr / Dar von O Christ Weich nimmer mehr / 1614" (die Beschreibung dieser Kirche fehlt bei Schock-Werner, das Baugedicht wird zwar aufgeführt, ist aber ungenau gelesen wie fast alle in dem Buch). Es sind unendlich viele Bautafeln mit der Jahreszahl 1614 versehen, so viele, daß es fast scheint, als sei man nach vierzig Jahren einmal durchs Hochstift gegangen und hätte an jeder Kirche, die noch keine solche Tafel hatte, eine angebracht. Denn zumindest an einigen Kirchen liegen die Daten des Neubaus deutlich vor der Jahreszahl an der Tafel. Vermutlich war das vierzigjährige Regierungsjubiläum ein Anlaß, an allen seinen Bauten noch einmal an seine Fürsorge für sein Volk zu erinnern. Die Häufung spricht für eine eigene konzertierte Bautafel-Aktion in diesem Zeitraum unabhängig vom tatsächlichen Baujahr. Der Tenor dieser Tafeln ist überall gleich: Rekatholisierung im Zuge der Gegenreformation, große Sorge um die Seelsorge, Bau von Kirchen, Schulen, Pfarrhäusern unter Einsatz erheblicher Mittel und Dotierung der Pfarrei mit einer Rente, dafür wenden sich die Untertanen wieder der alten Religion = der römisch-katholischen Konfession zu. Aber so deutlich wie hier wird es selten gesagt, daß jetzt nur noch der alte Glaube zählt: Rott aus die Rotten! Das ist im Querschnitt der Bautafeln schon eine der stärkeren Formulierungen. Diese Tafel entspricht in zwei Punkten nicht den Tatsachen: Erstens fand die Baumaßnahme nicht 1614 statt, sondern schon früher. Und zweitens handelt es sich lediglich um eine Renovierung, bei der der Turm seine zeittypische Spitze erhielt, nicht um einen Neubau. Aber vermutlich wurden so viele Kirchen und andere Bauwerke 1614 mit solchen Tafeln ausgestattet, daß der tatsächliche Anteil der fürstbischöflichen Baumaßnahme nicht differenziert formuliert wurde. Auch die Aufmachung der Tafeln dieses Jahres besitzt eine gewisse Stereotypität.
Die Kartusche wird von Rollwerk eingefaßt, oben flankieren zwei geflügelte Engelsköpfe das Wappen des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn (18.3.1545-13.9.1617, amtierte 1573-1617) in einer ovalen Schmuckkartusche, dieses ist geviert, Feld 1: "Fränkischer Rechen" = von Rot und Silber mit drei aufsteigenden Spitzen geteilt, Herzogtum zu Franken, Feld 2 und 3: in Blau ein silberner Schrägbalken, belegt mit drei blauen Ringen, Stammwappen der Echter von Mespelbrunn, Feld 4: "Rennfähnlein" = in Blau eine rot-silbern gevierte, an den beiden senkrechten Seiten je zweimal eingekerbte, schräggestellte Standarte mit goldenem Schaft, Hochstift Würzburg. Ein weiterer geflügelter Engelskopf ist unter der Jahreszahl angebracht, aber stark verwittert. Auch das Wappen ist schon stark abgewittert, wenn auch noch gut erkennbar. Zudem zieht sich ein Riß durch den Rand und Feld 3.
Nach der Echter-Renovierung folgten mehrere kleinere Baumaßnahmen, Reparatur der Schäden des Dreißigjährigen Krieges, Verlängerung der alten Sakristei 1718 etc. Doch die Kirche wurde immer baufälliger, der Platzbedarf immer größer. Schließlich wurde 1766-1769 vom Würzburger Hofarchitekten Johann Michael Fischer das Langhaus erneuert. Dazu wurden 1766 auch alle Gaden der alten Wehrkirche abgerissen, ebenso das alte Beinhaus. Das neue Langhaus im Stil des Rokoko wurde höher als das alte und ca. 10 m länger. Im Westen entstand eine neue Schaufassade mit Pilastergliederung und mit einem Giebel mit geschweiften Seitenteilen. In den Seitenflächen der Fassade wurden Figurennischen eingetieft für den hl. Petrus und den hl. Paulus. Die dritte Nische in der Mitte des Giebels trägt Christus als Welterlöser. Im Inneren wurde die Kirche hauptsächlich von Johann Peter Wagner im Stil des fränkischen Spätrokoko gestaltet, von ihm stammen der Hauptaltar, die beiden Seitenaltäre und auch die Kanzel. Der die Kirche umgebende Friedhof wurde 1804 aufgelöst. Und in einer letzten Bauphase wurden 1923-1925 die Seitenschiffe durch Fritz Fuchsenberger umgebaut. Sehenswert ist auf dem Platz vor der Kirche die pyramidenförmig gewachsene und etagenförmig gezogene Tanzlinde mit einer Höhe von über 20 m und einem Stammumfang von rund 3 m. Dieser ca. 250 Jahre alte Baum ist hinsichtlich Größe und Form einzigartig. Steinpfeiler und ein Holzgestell stützen ihn.
Grettstadt stand bis zur Säkularisation unter geteilter geistlicher Herrschaft, wobei neben dem Hochstift Würzburg auch das Kloster Ebrach Rechte über das Dorf hatte. Damit gab es in Grettstadt auch zwei Instanzen, die die Gerichtsbarkeit ausübten: Das Hochstift als eigentlicher Ortsherr hatte die hohe und auch die niedere Gerichtsbarkeit, während das Kloster Ebrach für seine eigenen Besitzungen die niedere Gerichtsbarkeit ausüben durfte. Es gab nur eine kurze Zäsur: Während des Dreißigjährigen Krieges gehörte Grettstadt zwei Jahre lang aufgrund einer Schenkung des Schwedenkönigs Gustav Adolf zu Schweinfurt. Nach der Säkularisation zugunsten Bayerns 1803 kam Grettstadt 1805 zum Großherzogtum Würzburg und 1814 wieder an Bayern. Die Pfarrei St. Peter und Paul in Grettstadt ist zusammen mit Gochsheim (St. Matthias), Obereuerheim (St. Laurentius), Schwebheim (St. Hedwig), Sennfeld (St. Elisabeth), Untereuerheim (St. Gallus) und Weyer (St. Bonifatius) in der Pfarreiengemeinschaft St. Christophorus im Mainbogen aufgegangen mit Verwaltungssitz in Gochsheim.
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@49.9849943,10.3125541,20z - https://www.google.de/maps/@49.9849943,10.3125541,83m/data=!3m1!1e3
Siebmachers Wappenbücher, insbesondere Band Bistümer
Peter Kolb: Die Wappen der Würzburger Fürstbischöfe, hrsg. vom
Bezirk Unterfranken, Freunde Mainfränkischer Kunst und
Geschichte e.V. und Würzburger Diözesangeschichtsverein,
Würzburg, 1974, 192 S.
Julius Echter von Mespelbrunn in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Echter_von_Mespelbrunn
Julius Echter von Mespelbrunn im Würzburg-Wiki: https://wuerzburgwiki.de/wiki/Julius_Echter_von_Mespelbrunn
Rainer Leng: Julius Echter von Mespelbrunn, Fürstbischof von
Würzburg, hrsg. vom Mainfränkischen Museum, Würzburg 2013,
ISBN 978-3-932461-35-4
Rainer Leng, Wolfgang Schneider, Stefanie Weidmann (Hrsg.):
Julius Echter 1573-1617, der umstrittene Fürstbischof, eine
Ausstellung nach 400 Jahren, Quellen und Forschungen zur
Geschichte von Bistum und Hochstift Würzburg, Echter Verlag,
Würzburg 2017, ISBN 978-3429043261
Götz Freiherr von Pölnitz: Julius Echter von Mespelbrunn, in:
Neue Deutsche Biographie, Bd. 10, Duncker & Humblot, Berlin
1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 655 f. - https://www.deutsche-biographie.de/gnd118528696.html#ndbcontent - https://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016327/images/index.html?seite=669
Alfred Wendehorst (Bearb.): Das Bistum Würzburg 3: Die
Bischofsreihe von 1455 bis 1617, Germania Sacra Neue Folge Nr.
13, De Gruyter, Berlin/New York 1978, ISBN: 978-3-11-007475-8 - https://rep.adw-goe.de/handle/11858/00-001S-0000-0003-16E3-3 - https://rep.adw-goe.de/bitstream/handle/11858/00-001S-0000-0003-16E3-3/NF%2013%20Wendehorst%20W%c3%bcrzb.%20Bfsreihe%201455%e2%80%931617.pdf?sequence=1&isAllowed=y
Barbara Schock-Werner: Die Bauten im Fürstbistum Würzburg unter
Julius Echter von Mespelbrunn, Struktur, Organisation,
Finanzierung und künstlerische Bewertung, Verlag Schnell &
Steiner, Regensburg 2005, ISBN 978-3795416232: Die Beschreibung
dieser Kirche fehlt. Das Baugedicht wird zwar aufgeführt, ist
aber unpräzise gelesen wie fast alle in dem Buch.
Liste der Baudenkmäler in Grettstadt: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Grettstadt#Grettstadt
Maria Dorda: Das Gotteshaus St. Peter und Paul in Grettstadt,
Grettstadt 1983
Pfarreiengemeinschaft St. Christophorus im Mainbogen: https://www.pg-st-christophorus-im-mainbogen.de/
Grettstadt: https://www.grettstadt.eu/geschichtliches-2.php
Grettstadt: https://www.schweinfurtfuehrer.de/stadtrandgemeinden/grettstadt/
Die Entwicklung der Wappen der
Fürstbischöfe von Würzburg - Teil (1) - Teil (2) - Teil (3) - Teil (4)
Der Fränkische Rechen - Das Rennfähnlein
Ortsregister - Namensregister - Regional-Index
Zurück zur Übersicht Heraldik
©
Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard
Peter 2022
Impressum