Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2009
Würzburg - ein heraldischer Leckerbissen

Der Rückermainhof in Würzburg

Der Rückermainhof ist ein größerer Baukomplex im Westen der Würzburger Altstadt. Er grenzt an die Karmelitenstraße im Westen, an die Marktgasse im Norden und die Rückermainstraße im Süden, mit einem langen Flügel zur ersteren und zwei kurzen Seitenflügeln entlang der beiden letzteren. Bei dem Gebäude, dessen Namen sich von einem früheren, bürgerlichen Besitzer des Namens Rüger oder Rutger am Main (Ruger ad Moenum) ableitet, handelt es sich um einen ehemaligen Amtshof des Ritterstifts St. Burkard auf der anderen Mainseite. Vermutlich in der zweiten Hälfte des 13. Jh. wurde der Hof (curia Rutgeri), der mit einer Nikolauskapelle verbunden war, vom Klosterabt Friedericus um 61 Pfund Heller erworben. Spätere Erbschaften (so 1351 der Hof "Sunneberg" oder "Zum hl. Nikolaus vom Neumünster") und Zukäufe (so 1368 der Hof "Zu Herrn Kunrad von Carlstatt") erweiterten den Besitz. Die Nikolauskapelle wurde später wegen Streitigkeiten mit dem Karmelitenkloster auf fürstbischöfliche Anweisung hin 1674 abgebrochen. Im 14. Jh. erfolgten Umbaumaßnahmen, und in der Folgezeit, insbesondere nach Umwandlung des Klosters in ein Ritterstift im Jahre 1464, wurde dieser Bau mit Räumlichkeiten für den Dekan, den Amtmann, die Kapitelzusammenkünfte und Lagerräumen für die Zehnteinnahmen in Form von Naturalien als Amtshof zum eigentlichen Verwaltungszentrum des Ritterstifts, dessen Stiftskirche aber nach wie vor auf der anderen Flußseite lag. Das aus dem Mittelalter stammende Gebäude genügte bald den Ansprüchen nicht mehr, und am 7.5.1590 wurde der Grundstein für einen Neubau gelegt, der im Sommer 1591 vollendet war.

Rund ein Jahrhundert später, nämlich am 16.10.1690, wurde vom Kapitel erneut ein Neubau beschlossen, und dieser wurde zu einem Meisterwerk des Barockbaumeisters Johann Joseph Greissing (-12.12.1721), zu einem der bedeutendsten Profanbauten Würzburgs, auch wenn sich der tatsächliche Baubeginn noch lange herauszögerte. Zuletzt war der alte Bau richtig baufällig, Erker und Dachwerk drohten ab 1713 wirklich jeden Moment einzustürzen, die zu veranschlagende Baukostensumme stieg von veranschlagten 5000 fl. immer mehr auf ein Vielfaches der ursprünglichen Summe an, man kam nicht in die Gänge, sondern machte immer neue Pläne und Berechnungen, und der Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau-Vollraths drängte auf Erneuerung, je eher, desto besser. Dann hatte man zu weit vor in die Marktstraße gebaut und sollte wieder zurücksetzen, woraus sich Streit um die verbleibende Straßenbreite und das Ausmaß des Zurücksetzens ergab. Finanziert wurde das alles durch die Untertanen des Ritterstifts, die auch zu Frondiensten verpflichtet waren. Die Bauherren seitens des Ritterstifts waren Propst Christoph Heinrich von Greiffenclau (1.3.1672-5.7.1727), der jüngere Halbbruder des Fürstbischofs (die Eltern des Bischofs waren Georg Philipp Freiherr von Greiffenclau und Rosina von Oberstein, der Propst war der Sohn der zweiten Ehefrau, Anna Margaretha von Buseck), und Stiftsdechant Johann Philipp von Guttenberg, der auch eng mit dem Fürstbischof verbunden war.

Die erste Diskussionsgrundlage, die Grund- und Außenmauern des Vorgängerbaus übernahm, wo möglich, war ein Riß des Stiftsmaurermeisters Peter Zwerger. Damals ging es noch um die Reparatur des alten Amtshofs. Zwergers Entwurf wurde zunächst abgelehnt, vor allem, weil man sich inzwischen gegen eine Reparatur und für eine komplette Neubebauung entschieden hatte. Der fürstbischöfliche Stadt- und Landbaumeister Greissing überarbeitete 1715 diesen Entwurf künstlerisch so weit, daß letztendlich der komplette Plan für die Neugestaltung Greissings Handschrift trägt. Das Vorbild war die Hauptfassade des Stuttgarter Prinzenbaus, 1682-1685 von Matthias Weiß gestaltet. 1715 wurde definitiv der Entschluß zugunsten des kompletten Neubaus gefaßt. 1716 begann Zwerger mit den Maurerarbeiten. Doch es gab Differenzen wegen überzogener Preise, man entzog Zwerger die Ausführung der Maurerarbeiten, und ab 1717 übernahm Greissing die Ausführung insgesamt als Generalunternehmer. Es ging weniger schnell voran als gedacht. Schuld waren zum einen die schleppende Finanzierung und zum anderen die Tatsache, daß der vielbeschäftigte und überall gefragte Greissing einfach überlastet war. Als er starb, fehlten noch die letzten Achsen der nördlichen Hauptfassadenhälfte.

Der aus dem Umfeld der Vorarlberger Bauschule kommende Johann Joseph Greissing, künstlerisches Bindeglied zwischen Antonio Petrini und Balthasar Neumann, ist für etliche barocke Neubauten im Bereich des Hochstifts Würzburg verantwortlich, für die Peterskirche in Würzburg, für den Umbau des Neumünsters in Würzburg, den Ehrenhof des Klosters Ebrach, für Schloß Burgpreppach, für den Nordflügel des Würzburger Priesterseminars, für die Stiftskirche St. Nikolaus auf dem Klosterberg der Comburg, für das Amtsschloß in Ebenhausen, für das Schloß Elfershausen, für die Talkirche Münnerstadt, für die Pfarrkirche in Rannungen u.v.a.m. Diese späte, hochbarocke Bauzeit überrascht beim Rückermainhof, wenn man die klare Fassadengliederung, die übergreifende Rasterung der Fassade mit ihren strengen horizontalen und vertikalen Gliederungselementen, die aufwendige Säulenordnung, die Zierformen etc. sieht: Für diese Zeit baute man hier betont konventionell, direkt altmodisch - aber äußerst harmonisch und wohlproportioniert. Der Bau steht gestalterisch in der Tradition der deutschen Spätrenaissance, eine bewußte Pflege der Bautradition, wie er für Bauten der Greiffenclau-Zeit typisch ist.

Die Fertigstellung des Gebäudes fand erst nach Greissings Tod statt, im Jahre 1723 unter seinem Nachfolger und unter Fürstbischof Johann Philipp Franz Graf von Schönborn (regierte 1719-1724). Als die Regierung im Fürstbistum vom Greiffenclau-Bischof auf den Schönborn-Bischof erfolgte, trat die latente Parteienbildung und Rivalität zwischen den rivalisierenden Familien und ihren Anhängern zum Vorschein. Schönborn verhängte als erstes 1721 einen Baustop, noch zu Lebzeiten Greissings. Dann wollte er die Marktgasse breiter haben und dafür die Symmetrie und die Proportionen der Fassade opfern, was einem künstlerischen Massaker an der wohlkomponierten Fassade bedeutet hätte. Es war im Grunde nur eine Zickerei der Schönborn-Partei gegen die Greiffenclau-Partei. Schönborn behauptete, er wollte hier mit einer sechsspännigen Kutsche durchfahren, und das ginge nicht, wenn die Straße zu eng wäre. Völlig aus der Luft gegriffen, wann kam das schon vor - aber es ging nur darum, der Greiffenclau-Partei "eins reinzuwürgen", nicht um Sachargumente. Die empörten Stiftsherren von St. Burkard, die sehr wohl die wahre Natur dieses Einwands erkannten, gehörten zur Greiffenclau-Partei, und erst einmal ging der Streit hin und her. Schließlich wurde Balthasar Neumann hinzugezogen, und er schuf einen Kompromiß: Die Marktgasse wurde nicht 5,5 Schuh, sondern nur 2 Schuh breiter, und die letzten Fensterachsen wurden alle ein bißchen schmäler, insgesamt etwas mehr als 50 cm, im Grunde kaum wahrnehmbar: Wenn man es nicht weiß, sieht man es nicht. Und Schönborn, der mittlerweile begriffen hatte, daß er etwas zu weit vorgeprescht war, konnte sein Gesicht wahren. Als dieser Kompromiß endlich von den Konfliktparteien akzeptiert wurde, baute der neue Stiftsbaumeister Johann Michael Schäffner bis 1723 den Rückermainhof zu Ende.

Die Fassade lebt vom Kontrast aus rotem und honiggelbem Sandstein, wobei die beiden Sorten geschickt miteinander kombiniert werden und die konstruktiven und dekorativen Elemente voneinander abgesetzt werden. Dadurch entsteht ein belebendes Farbenspiel. Die dreistöckige Hauptfassade ist die zum Fischmarkt hin gerichtete im Westen. Die Fassade beeindruckt vor allem durch ihre handwerkliche Qualität, den akkurat verarbeiteten Haustein und die fugenlose Verarbeitung. Die gekuppelten Fenster rhythmisieren die lange Fassade. Hier wird die Mitte durch einen kaum vorspringenden dreiachsigen Mittelrisalit betont, der von einem Zwerchhaus mit Dreiecksgiebel überhöht wird. In der Mittelachse sind mehrere von Jakob van der Auwera angefertigte Figuren, auf Höhe des zweiten Obergeschosses befinden sich der hl. Andreas und der hl. Burkard - das Ritterstift St. Burkard war aus dem Kloster St. Andreas hervorgegangen. Ganz oben sind Allegorien der Fides und der Justitia, diese beiden Figuren wurden jedoch im 20. Jh. erneuert.

In dem bekrönenden flachen Dreiecksgiebel befindet sich das Wappen des Fürstbischofs Johann Philipp von Greiffenclau-Vollraths (amtierte 1699-1719). Es ist geviert, Feld 1: "Fränkischer Rechen" = von Rot und Silber mit drei aufsteigenden Spitzen geteilt, Herzogtum zu Franken, Feld 2 und 3: von Greiffenclau-Vollraths, erneut geviert: Feld a und d: silbern-blau geteilt, darüber ein goldenes Glevenrad, Stammwappen der von Greiffenclau-Vollraths, Feld b und c: in Schwarz ein silberner Schräglinksbalken, Ippelbrunn, Feld 4: "Rennfähnlein" = in Blau eine (von der Stange aus gesehen) rot-silbern gevierte, schräglinksgestellte und an den beiden senkrechten Seiten je zweimal eingekerbte Standarte mit goldenem Schaft, Hochstift Würzburg. Das Wappen wird mit einem Fürstenhut darüber und einem gestürzten Schwert schrägrechts und einem Krummstab schräglinks hinter dem Schild geführt.

 

Der Rückermainhof, der mit der Säkularisierung 1803 an den bayerischen Staat überging und als Ämtergebäude genutzt wurde, wurde 1904 umgebaut. Durch die Umbauten im Inneren wurde Vieles der ursprünglichen Architektur zerstört. Im zweiten Weltkrieg wurde der Rückermainhof schwer beschädigt, aber die Fassade blieb stehen, auch der Figurenschmuck blieb erhalten. In den 50er Jahren wurden die rückwärtigen Teile wiederaufgebaut, danach diente der Hof der Stadtverwaltung als Amtsgebäude. Heute wird praktisch das ganze Erdgeschoß von gastronomischen Betrieben genutzt, zur Karmelitenstraße hin sind mehrere Kneipen, im Innenhof befindet sich ein Biergarten.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@49.7946145,9.927723,20z - https://www.google.de/maps/@49.7946145,9.927723,81m/data=!3m1!1e3
Peter Kolb: Die Wappen der Würzburger Fürstbischöfe. Herausgegeben vom Bezirk Unterfranken, Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V. und Würzburger Diözesangeschichtsverein. Würzburg, 1974. 192 Seiten.
Die Wappen der Hochstifte, Bistümer und Diözesanbischöfe im Heiligen Römischen Reich 1648-1803, hrsg. von Erwin Gatz, von Clemens Brodkorb, Reinhard Heydenreuter und Heribert Staufer, Schnell & Steiner Verlag 2007, ISBN 978-3-7954-1637-9
Thomas Memminger, Würzburgs Straßen und Bauten, Gebrüder Memminger Verlagsbuchhandlung, Würzburg 1921, S. 219 ff., online: http://franconica.uni-wuerzburg.de/ub/wuesub/pages/wuesub/text/215.html
Rückermainhof im Würzburg-Wiki:
http://www.wuerzburgwiki.de/wiki/R%C3%BCckermainhof
Joseph Greissing:
http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Greissing und http://deu.archinform.net/arch/20803.htm
Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg 6, Die Benediktinerabtei und das Adelige Säkularkanonikerstift St. Burkard in Würzburg, = Germania Sacra NF 40, Berlin/New York 2001, S. 29-30, online: http://rep.adw-goe.de/handle/11858/00-001S-0000-0005-745C-F und http://rep.adw-goe.de/bitstream/handle/11858/00-001S-0000-0005-745C-F/NF%2040%20Wendehorst%20St.%20Burkhard.pdf
Baudenkmäler in Würzburg:
http://www.wuerzburgwiki.de/wiki/Baudenkmale_in_der_Gemarkung_W%C3%BCrzburg
Johannes Mack: Der Baumeister und Architekt Joseph Greissing, mainfränkischer Barock vor Balthasar Neumann, hrsg. von der Gesellschaft für fränkische Geschichte, VIII. Reihe: Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte, c/o Verlag PH. C. W. Schmidt, 1. Auflage 2009, 797 S., ISBN-10: 3866528167, ISBN-13: 978-3866528161, S. 390-397, 646-647

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