Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 1976
Kiedrich (Rheingau-Taunus-Kreis)

Der Marktbrunnen in Kiedrich

An der westlichen Mauer des Kirchbereichs steht der restaurierte Kiedricher Marktbrunnen. Dies ist nicht der ursprüngliche Aufstellungsort, denn der im Jahre 1541 vom Baumeister Moritz Lechler (sein Meisterzeichen ist seitlich am Architrav) errichtete Marktbrunnen stand vorher vor dem allerdings erst 1586 errichteten Renaissance-Rathaus. Und eigentlich war der echte Brunnen sogar noch älter, denn er war vor 1393 angelegt worden und nur 1541 mit einem neuen Aufsatz versehen worden. Es handelt sich um einen der ältesten Marktbrunnen im Rheingau. Ein unter dem selben Fürstbischof errichteter Vergleichsbrunnen steht in Mainz, datiert auf 1526. Heute steht der Kiedricher Marktbrunnen an der Stelle des alten Rathauses und der Dorfschmiede mit dem Prangerstein. Was wir hier sehen, ist zudem nur der funktionslose Brunnengalgen mit Aufsatz, denn es handelte sich im Original um einen Ziehbrunnen mit entsprechend kreisförmig ummauertem Brunnenschacht in der Mitte, auf dessen Einfassung sich der Galgen erhob. Dieser noch etwas über 5 Meter tiefe Schacht ist noch vor dem Renaissance-Rathaus erhalten und führt noch Wasser.

   

Doch wir wollen lieber froh sein, daß wir den alten Renaissance-Brunnen überhaupt wenigstens in dieser Form zu Gesicht bekommen, denn er war gänzlich zerstört bis auf den in zwei Teile zerbrochenen und auch ansonsten stark beschädigten Aufsatz. Als man in Kiedrich im späten 19. Jh. Wasserleitungen einführte, hatte man die oberirdische Brunnenstruktur abgebrochen. Einige Bruchstücke tauchten in der ersten Hälfte des 20. Jh. wieder auf, so die beiden Teile des halbkreisförmigen Brunnenaufsatzes in der Oberstraße. Zum 750jährigen Jubiläum der Selbständigkeit der Gemeinde Kiedrich wurde der Brunnen anhand der Trümmer im Jahre 1994 auf Initiative des Förderkreises der Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen mit Spendengeldern rekonstruiert, nicht mehr als Zieh-, sondern als Laufbrunnen an der Kirchhofmauer mit rechteckigem Trog, weil am alten Standort der Verkehr mittlerweile Tatsachen geschaffen hatte. Deshalb fehlt oben auch die Seilrolle, die für die Funktion eines Ziehbrunnens notwendig wäre, und der neue Wasseraustritt ist ein horizontal aus der Kirchhofmauer kommendes Rohr. Der ausführende Bildhauer war Robert F. Schmidt. Auf dem auf zwei Pfeilern ruhenden Architrav steht die Inschrift: "ANNO DOMINI 1541 IST DIS WERCK GEMACHT WORDEN".

Im halbrunden Brunnenaufsatz sind auf der aus Sandstein gehauenen Fächerrosette zwei leicht einander zugeneigte Wappenschilde in Form einer beidseitig eingebuchteten, unten und oben zweimal eingekerbten Tartsche zu sehen. Heraldisch rechts befindet sich das Wappen des Albrecht II. Markgraf von Brandenburg (geb. 28. Juni 1490 in Cölln an der Spree, gest. 24. September 1545 in Mainz), der zugleich Erzbischof von Magdeburg (1513-1545) und von Mainz (1514-1545) war und damit auch Kurfürst des Heiligen Römischen Reichs, dazu auch noch Bischof von Halberstadt (1513-1545) und bis zu seiner Bischofsweihe Co-Markgraf von Brandenburg (1499-1513) zusammen mit seinem Bruder.

Von dem Wappen des Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg gibt es verschieden komplexe Ausführungsformen. Hier ist das vierfeldrige Wappen mit drei aufgelegten Schildchen gewählt worden, wie man es auch in Aschaffenburg auf dem Gemälde "Die Beweinung Christi" finden kann, nicht das komplexe, wie es am Mainzer Renaissance-Brunnen zu sehen ist. Der Hauptschild besteht aus familiären Komponenten, die drei aufgelegten Schildchen stehen für die geistlichen Ämter. Die Farben sind jedoch in der Kiedricher Fassung (Abb. oben) nicht korrekt, so daß die Inhalte erst nach einer am PC vorgenommenen Farbkorrektur (Abb. unten) beschrieben werden. Denn die Feldfarbe des Greifen in Feld 2 muß silbern sein und nicht schwarz, was zudem ein offensichtlicher Verstoß gegen die Farbregel wäre, und die Hohenzollern führen die Farben normalerweise genau invers.

Es gibt - abgesehen von den bereits erwähnten Fehlern des Anstrichs - ein paar Unterschiede zur bereits erwähnten Darstellung auf der "Beweinung Christi" in der Stiftskirche zu Aschaffenburg: Dort sind alle Tiere einwärts gewendet, der Löwe des Burggrafentums Nürnberg ist rot gekrönt, und die beiden Schildchen für die Erzstifte tragen ein goldenes Kreuz.

Der Schild auf der heraldisch linken Seite zeigt das Kommunalwappen von Kiedrich in seiner alten Anordnung und Farbfassung, wobei auf die ausführliche Diskussion bei der Michaelskapelle verwiesen sei. Die alte Variante zeigt in rotem Feld rechts ein silbernes, pfahlweise gestelltes, mit einem Kreuz verbundenes Doppelrad und links einen silbernen Wehrturm, der hier zusätzlich noch auf einem schwebenden Dreiberg steht und oben einen phantasievollen Abschluß mit Erkern und mit goldenen Kugeln besteckten schwarzen Spitzdächern besitzt.

Literatur, Links und Quellen:
Hinweistafel des Fördervereins Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen e. V. am Objekt
Wolfgang Einsingbach, Kiedrich im Rheingau, Rheinische Kunststätten, Heft 4/1973, herausgegeben vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz.
Kiedrich:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kiedrich
Gemeindewappen und Siegel:
http://www.kiedrich-geschichte.de/cms/front_content.php?idcat=29
Marktbrunnen: http://www.kiedrich-geschichte.de/cms/front_content.php?idcat=114&lang=1&client=1 und http://www.kiedrich-geschichte.de/cms/front_content.php?idcatart=75&lang=1&client=1
Yvonne Monsees und Josef Staab, der Kiedricher Marktbrunnen, in: Kiedrich im Rheingau 1244-1994, Zeugen aus 750 Jahren Selbständigkeit, hrsg. vom Förderkreis Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen e.V. Kiedrich 1994, S. 74 ff.

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