Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 1799
Rheda (Kreis Gütersloh, Reg.-Bez. Detmold)

Grabplatten an der evangelischen Stadtkirche Rheda

Die Stadtkirche in Rheda ist eine kleine Hallenkirche von 3x 3 Jochen mit einem westlich angebauten Turm und einem östlich angebauten Chor. Die Formensprache orientiert sich noch an der Gotik, obwohl die Kirche erst ab 1611 erbaut wurde und der Turm sogar die Jahreszahl 1654 zeigt. Vom Typus her ist es eine protestantische Hallenkirche (die Reformation wurde 1527 von Konrad von Tecklenburg eingeführt), und vom Alter her ist sie eine der frühesten in Westfalen. An der östlichen Außenmauer des Choranbaus sind zwei barocke Grabplatten eingelassen, die von heraldischem Interesse sind.

Die erste Platte, aus Anröchter Bitterkalk hergestellt und 2,09 m x 1,01 m messend, hat eine doppelte umlaufende Inschrift; diese lautet außen, wobei die untere Partie kaum noch zu entziffern ist: "DIE HOCHGEBOHRNE GRAFFIN SOPHIA AGNESA ELEONORA GEBOHRNE GRAFFIN ZV BENTHEIM TECKLENBVRG STE(INFVRT VND LIMBVRG DEN 18. OCTOBRIS) 1691 SEHLIG VERSTORBEN IHRES ALTERS 53 JAHRE" und innen: "TEXT 2 COR 1 WIR WISSEN ABER SO VNSER IRDISCH HAVS DIESER HVTTEN ZVBROCHEN WIRD........VON GOTT ERBAVET EIN HAVS NIGHT MIT HANDEN GEMACHT DAS EWIG IST" - das ist die Stelle aus 2 Korinther, Kapitel 5, Satz 1: "Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel.". Sophie Agnes Eleonore v. Bentheim-Tecklenburg (1638-8.10.1691) liegt hier begraben, weil die Familie 1671 ihre Residenz von Tecklenburg nach Rheda verlegt hatte.

Die Grabplatte hat reichlichen heraldischen Schmuck, und hatte sogar einmal dessen mehr: Ein großes, später herausgeschlagenes zentrales Wappen befand sich inmitten einer Ahnenprobe mit vier Schilden des Hochadels. Was war einst wohl im Zentrum? Sophie Agnes Eleonore v. Bentheim-Tecklenburg (1638-8.10.1691) war nicht vermählt, daher wird in der Mitte ein Wappen gewesen sein, das inhaltsgleich mit dem in der optisch linken oberen Ecke war, wohl kaum als Vollwappen ausgebildet, weil der mit Haumarken versehene Platz dafür nicht ausgereicht hätte. Über die Gründe, warum dieses zentrale Wappen selektiv entfernt wurde, kann nur spekuliert werden. Die Beschriftung "Tecklenburg" ist noch vorhanden, ist aber in Zusammenhang mit der Beschriftung des Wappens optisch oben links zu sehen, wobei der lange Doppelname Bentheim-Tecklenburg auf die beiden gleichen Wappen aufgeteilt worden ist. Gut hingegen ist die Ahnenprobe erhalten.

Sophie Agnes Eleonore v. Bentheim-Tecklenburg (1638-8.10.1691) war die Tochter von Moritz Graf v. Bentheim-Tecklenburg (31.5.1615-25.2.1674) und dessen Frau Johanna Dorothea v. Anhalt-Dessau (24.3.1612-26.4.1695). Ihre Großeltern väterlicherseits waren Adolf Graf v. Bentheim-Tecklenburg (17.7.1577-1623) und dessen Frau Margarete Gräfin v. Nassau-Wiesbaden (15.9.1589-28.12.1660) und diejenigen mütterlicherseits waren Johann Georg I. Fürst v. Anhalt-Dessau (9.5.1567-24.5.1618) und dessen zweite Frau Dorothea Pfalzgräfin bei Rhein zu Simmern (6.1.1581-18.9.1631). Der ältere Bruder von Sophie Agnes Eleonore war Johann Adolf Graf v. Bentheim-Tecklenburg (22.9.1637-29.8.1704), das war derjenige, der 1699 drei Viertel von Tecklenburg und ein Viertel von Rheda an das Haus Solms abtreten mußte. Ihr jüngerer Bruder war Friedrich Moritz Graf v. Bentheim-Tecklenburg-Rheda (1653-13.12.1710), kgl. dänischer General-Lieutenant, der zu Rheda die gräfliche Linie fortsetzte, nachdem der ältere Bruder keinen Sohn mehr hatte, der dafür in Frage kam.

Das Wappen heraldisch oben rechts steht für den Großvater väterlicherseits, Adolf Graf v. Bentheim-Tecklenburg (17.7.1577-1623) zu Tecklenburg, Rheda und Hoya, Sohn von Arnold III. Graf v. Bentheim, Steinfurt, Tecklenburg und Limburg (1554-11.1.1606) und dessen Frau Magdalena v. Neuenahr (1551-13.1.1626). Das elffeldrige Wappen der Grafen von Bentheim-Tecklenburg ist wie folgt aufgebaut:

Mehrere Schlüsselheiraten ermöglichten diese Vielfalt an Feldern und Ansprüchen: Katharina v. Gemen, Erbin v. Wevelinghofen, hatte Arnold I. Graf v. Bentheim-Steinfurt (-16.2.1466) geheiratet. Katharinas Mutter war eine geborene v. Wevelinghofen, und so kam diese Herrschaft an die Grafen von Bentheim. Arnolds Sohn Everwin II. Graf v. Bentheim-Steinfurt (-1498) heiratete Adelheid v. Hoya (-11.4.1513), was weitere Ansprüche begründete. Und Everwins II. Enkel, Everwin III. Graf v. Bentheim und Steinfurt (1536-19.2.1562), hatte Anna v. Tecklenburg (5.7.1532-23.8.1582) geheiratet, die Erbtochter von Konrad Graf v. Tecklenburg (1493-1557) und dessen Frau Mathilde v. Hessen (-6.5.1558). Sein einziger Sohn Arnold III. erbte Bentheim vom Vater, Steinfurt vom Onkel, Tecklenburg und Rheda von seiner Mutter, und er bekam zwei Ämter von Hoya über Hessen als Erbe. Konrad, der 1557 verstorbene letzte Graf von Tecklenburg, hatte 1541 die Grafschaft Lingen von seinem Onkel Nikolaus IV. geerbt, das war auch in der Erbschaft von Anna v. Tecklenburg enthalten.

Jetzt geht es weiter: Arnold III., jetzt Graf v. Bentheim, Steinfurt und Tecklenburg (1554-11.1.1606) hatte Magdalena v. Neuenahr (1551-13.1.1626) geheiratet, Tochter von Gumprecht IV. v. Neuenahr Graf v. Limburg und Amöne v. Daun Gräfin v. Falkenstein und Limburg, und diese Magdalena war nach dem Tod ihres Bruders Adolf 1589 die Erbin der Herrschaft Alpen, der Herrschaft Helpenstein, der Herrschaft Linnep, von Heppendorf und der Erbvogtei zu Köln, und nach dem Tod ihrer Halbschwester Amalia im Jahr 1602 war sie auch Erbin der Grafschaft Limburg, und dadurch kamen Feld 5 des Hauptschildes und die Felder 4, 5 und 6 des Herzschildes hinzu. Viel hatten sie nicht von dem Erbe, denn der Herzog von Jülich zog die Grafschaft als erledigtes Lehen ein und ignorierte Magdalenas Ansprüche, was einen längeren Streit zwischen Jülich, Kurköln und den Erben verursachte.

Eine Anmerkung zu Feld 6: Es wird oft der Erbvogtei Köln zugeordnet, was in einigen Siebmacher-Bänden vertreten wird, in anderen nicht. Eine andere diskutierte Zuweisung ist Loon (Looz). Die eindeutige Zuweisung wird durch identische Schildbilder erschwert. Als mögliche Erklärung für die Interpretation Loon wird eine genealogische Verbindung zwischen Gumprecht I. Graf v. Neuenahr Herr zu Alpen (-1425) mit Philippa v. Loon u. Heinsberg (Tochter von Gottfried III. v. Heinsberg Graf v. Loon u. Chiny (-1395) und Philippa v. Jülich (-24.8.1390)) herangezogen.: Deren Sohn Gumprecht II. v. Neuenahr war mit Margareta Gräfin v. Limburg (- 1479) vermählt. Ein unmittelbarer genealogischer Zusammenhang mit Bentheim besteht jedoch nicht.

Die Kölner Erbvogtei war nur solange von Bedeutung, wie Köln noch nicht Reichsstadt war. Der Stadtvogt war ein weltlicher Vertreter des geistlichen Landesherrn und leitete zusammen mit dem Burggrafen im Auftrag des Bischofs die Stadt. Er war auch Gerichtsherr. Als Köln Reichsstadt und der Erzbischof entmachtet wurde, nahm es seine Geschicke selbst in die Hand, nur ein erbvogteiliches Gericht blieb bestehen. Die Kölner Erbvögte kamen bis ins 14. Jh. aus der Familie der von Heppendorf. Danach wurde das Amt an die von Neuenahr verliehen. Hermann von Neuenahr d. J. führte zwischen 1555 und 1570 auf seinem Familienwappen das rot-goldene Streifenwappen als Herzschild und nahm in Vormundschaft für seinen Neffen Adolph von Neuenahr-Alpen die Kölner Erbvogtei wahr. Auf dem Erbweg kam das Lehen an Arnold III. Graf v. Bentheim, Steinfurt und Tecklenburg. Es kam zu umfangreichen Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit des Übergangs, vor allem mit Bayern. Zeitweise wurde das Lehen eingezogen, und erst 1658 wurden die Rechte des Hauses Bentheim anerkannt. Doch damit war das Thema noch nicht durch, weil die Kölner Erbvogtei verpfändet und erneut eingezogen wurde. In den Jahren 1728 und 1778 bekam das Haus Bentheim-Tecklenburg den Titel Erbvogt wieder zurück. Ohne hier ins Detail zu gehen, bestand jedenfalls seit der Einheirat von Magdalena von Neuenahr seitens des Hauses Bentheim ein Anspruch auf die Kölner Erbvogtei, der im Laufe der Geschichte mal mehr oder mal weniger als berechtigt und begründet angesehen wurde und immer vom Haus Bentheim selbst aufrechterhalten wurde, weswegen diese Zuweisung des fraglichen Feldes berechtigter erscheint.

Das Wappen heraldisch oben links steht für den Großvater mütterlicherseits, Johann Georg I. Fürst v. Anhalt-Dessau (9.5.1567-24.5.1618), Sohn von Joachim Ernst Fürst v. Anhalt (1536-1586) und dessen Frau Agnes v. Barby u. Mühlingen (23.6.1540-27.11.1569). Das Wappen der Fürsten von Anhalt-Dessau hat einen zweimal gespaltenen und dreimal geteilten Hauptschild und einen gespaltenen Herzschild:

Das Wappen heraldisch unten rechts steht für die Großmutter väterlicherseits, Margarete Gräfin v. Nassau-Wiesbaden (15.9.1589-28.12.1660), Tochter von Johann Ludwig I. Graf v. Nassau-Wiesbaden (15.4.1567-2.6.1596) und dessen Frau Maria Gräfin v. Nassau-Dillenburg (12.11.1568-30.4.1632). Das Wappen ist das Stammwappen der Grafschaft Nassau, in blauem und mit goldenen aufrechten Schindeln bestreuten Feld ein goldener Löwe, rot gezungt, rot bewehrt und auch golden gekrönt.

Das Wappen heraldisch unten links steht für die Großmutter mütterlicherseits, Dorothea Pfalzgräfin bei Rhein zu Simmern (6.1.1581-18.9.1631), Tochter von Johann Kasimir Pfalzgraf bei Rhein, Herzog v. Bayern (7.3.1543-16.1.1592) und dessen Frau Elisabeth v. Sachsen (18.10.1552-1590). Das Wappen der Pfalzgrafen bei Rhein ist geviert, Feld 1 und 4: in Schwarz ein goldener Löwe einwärts (Pfalz), Feld 2 und 3: von Silber und Blau schräg geweckt (Wittelsbacher).

Die zweite hier interessierende Grabplatte aus Baumberger Sandstein, die ebenfalls auf der östlichen Rückseite aufrecht an der Außenmauer befestigt ist und 2,97 m x 1,46 m mißt, ist sehr ungleichmäßig abgenutzt, als wenn sie zuvor in den Fußboden eingelassen gewesen wäre und der Weg der Besucher nur über Teile der Platte hinweggeführt hätte. Es handelt sich um die Platte für den 1685 verstorbenen früheren Hofmeister und späteren Drosten Johannes von Bistram. Von der stark in Mitleidenschaft gezogenen Inschrift sind gerade noch lesbar: "....nobilis et generosus d(omi)n(u)s Johannes a Bistram, Consiliarius Tecklenburgensis Rhedensis ............obiit a(nn)o 1685 den 24. Novembris......". Unter dem Wappen steht noch einmal der Familienname "....Bistram". Johannes von Bistram war also Bentheim-Tecklenburgischer Rat zu Rheda, und er starb am 24.11.1685.

Das Wappen der alten preußischen Adelsfamilie von Bistram, die bereits 1340 urkundlich auftritt und auch im Baltikum vorkommt, zeigt in Rot ein silbernes, hier fußgespitztes Passionskreuz (Hochkreuz), im rechten Untereck eine gegen das Kreuz gekehrte goldene Mondsichel. Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Band: Pr Seite: 89 Tafel: 114, Band: Ost Seite: 493, Band: Ost Seite: 129 Tafel: 29. Die hier nicht dargestellte Helmzier wäre zu rot-silbernen Decken auf dem gekrönten Helm ein Straußenfederbusch. Gotthard von Bistram aus dem baltischen Zweig erhielt am 13.6.1604 den schwedischen Freiherrenstand, der russische Freiherrenstand wurde anerkannt am 18.5.1834 bzw. 3.4.1862, dazu noch einigen Mitgliedern gesondert bestätigt. Die Farbe der Federn wird bei der kurländischen Linie als silbern angegeben, bei der estländischen Linie rot-golden abwechselnd zwischen zwei roten Büffelhörnern (Vereinigung beider Kleinode auch bei Dorst III, 589), Decken rot-golden-silbern (vgl. schwedisches Diplom). Die estländische Linie führt den Mond heraldisch rechts unten und abnehmend, die kurländische Linie spiegelverkehrt, also links unten und zunehmend. Von den beiden schildhaltenden Löwen hat nur der heraldisch linke mit Feinstruktur überlebt.

Literatur, Links und Quellen:
Hinweistafeln an der Kirche
Hermann Schaub, die Residenzstadt Rheda, von den Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches, Verlag für Regionalgeschichte, 1. Auflage 2006, ISBN-10: 3895346101, ISBN-13: 978-3895346101, teilweise online:
http://books.google.de/books?id=Piuzq8DosnwC
Anhalt: Hugo Gerard Ströhl, Deutsche Wappenrolle, Reprint von 1897, Komet Verlag Köln, ISBN 3-89836-545-X
Siebmachers Wappenbücher
Evangelische Stadtkirche Rheda:
http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Stadtkirche_%28Rheda%29
Grafschaft Bentheim:
http://de.wikipedia.org/wiki/Grafschaft_Bentheim
Neuenahr-Alpen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Magdalena_von_Neuenahr-Alpen
Bentheim-Tecklenburg:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bentheim-Tecklenburg
Die Herrschaft Rheda:
http://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaft_Rheda
Territorialgeschichte: Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder - die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C. H. Beck Verlag München 7. Auflage 2007, ISBN 978-3-406-54986-1
Genealogien: Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9
Max von Spießen (Hrsg.): Wappenbuch des Westfälischen Adels, mit Zeichnungen von Professor Ad. M. Hildebrandt, 1. Band, Görlitz 1901 - 1903.
Fürsten von Bentheim:
www.fuerst-bentheim.de
Hartmut Platte, das Haus Bentheim-Tecklenburg in Vergangenheit und Gegenwart, Börde-Verlag Theresia Platte, Werl, 3. Auflage 2005, ISBN 3-9806221-6-9
Thomas Gehrlein, das Haus Anhalt, Börde-Verlag Theresia Platte, Werl, 1. Auflage 2011, ISBN 978-3-9814458-1-7
Ein herzliches Dankeschön an Herrn Eckart Schwab für wertvolle Hinweise zur Kölner Erbvogtei
Kölner Erbvogtei:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kölner_Erbvogtei

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