Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2569
Tübingen

Collegium illustre - Wilhelmsstift Tübingen

Das Wilhelmsstift (Collegiumsgasse 5) ist einer der größten Bauten in der zentralen Altstadt von Tübingen und ist zwischen Stiftskirche und St. Johannes Evangelist zu finden, im Osten begrenzt von der Langen Gasse, im Süden von der Collegiumsgasse. Vier Flügel bilden einen Hof; die Südostecke mit dem Haupteingang ist abgeschrägt. Der gesamte Komplex ist ca. 75 m lang und 46 m breit. Die breiten Hauptflügel sind diejenigen im Norden und im Westen; der Ostflügel ist schmal, der Südflügel noch schmäler. Mehrere Türme bzw. Treppentürme ergänzen die Anlage, ein großer viereckiger und ein kleiner runder auf der Westseite, ein runder auf der Ostseite, wo der Nordflügel an den Ostflügel stößt, und ein runder innen auf der Nordseite des Hofes.

Das Wilhelmsstift geht zurück auf ein Franziskanerkloster, das sich früher an dieser Stelle befand und 1272-1535 existierte. In diesem Kloster fand bereits im 15. Jh. die ordensinterne Ausbildung statt. Herzog Ulrich von Württemberg (8.2.1487-6.11.1550) hatte es im Zuge der Reformation aufgehoben. Im Innenhof erinnert heute noch eine Franziskusfigur an diese Zeit. Ein Brand vernichtete 1540 die ungenutzten Gebäude. Herzog Christoph von Württemberg (12.5.1515-28.12.1568), selbst tiefgläubiger Lutheraner, gründete 1559 eine herzogliche Hofschule in den verbliebenen Räumlichkeiten. In diesem zwar evangelisch, aber nicht theologisch geprägten Stift sollten junge Adelige auf den Staatsdienst vorbereitet werden. Diese Stiftung darf nicht mit dem Evangelischen Stift am Klosterberg verwechselt werden, das Herzog Ulrich 1536 gegründet hatte und das der Ausbildung evangelischer Theologen und Pfarrer diente.

 

Des Gründers Sohn, Herzog Ludwig von Württemberg (1.1.1554-28.8.1593), gründete als Nachfolgeinstitution das Collegium illustre, dessen Neubau 1588-1592 entstand. Der Baubeginn 1588 fiel mitten in ein aufregendes Jahr: Der Geist der Renaissance hatte sich in Europa voll entfaltet und strebte seiner Blüte entgegen, die Spanische Armada zog gegen England und versank, in Barth wurde die Barther Bibel in mittelniederdeutscher Sprache gedruckt, in Frankreich wurde der Herzog von Guise ermordet und in Rom setzte der sittenstrenge Papst Sixtus V. nach dem Konzil von Trient neue Kongregationen ein und kämpfte mit aller Härte gegen den Sittenverfall. Und hier in Tübingen wurde eines der besten Bildungsinstitute seiner Zeit im protestantischen Geiste gegründet. Aber erst Ludwigs Nachfolger, Herzog Friedrich I. (19.8.1557-29.1.1608) konnte das Collegium eröffnen. Neben den klassischen Fächern wurde hier auch Unterricht in Tanzen, Reiten, Fechten und Ballspielen gegeben. Diese Institution war zunächst, genau wie die vorherige Schule, als Erziehungsanstalt für künftige weltliche Beamte (Hohe Schule, 1594-1596) konzipiert, und nach dem Statut war es sowohl für Adelige als auch Bürgerliche zugänglich. Das sagt entsprechend die zweigeteilte Inschrift:

Linker Teil, lateinisch: "INCLYTVS AETERNO PIETATIS NOMIN(E) PRINCEPS / WVRTEMBERGIACI DVX LVDOVICVS AGRI / GRANDIBVS IMPENSIS HANC A FVNDAMINE MAGNA / EX(S)TRVXIT STVDIIS VTILITATE DOMVM / HINC LVDOVICANI MERITO FVNDANTIS HONOR / COLLEGI DEBET NOMEN HABERE DVCIS / HVC AGE QVISQVIS ERIS PRINCEPSQ(VE) COMESQ(VE) BAROQ(VE) / NOBILIS ET STVDII NOMINE QVISQVIS ADES / HVC AGE SI LEGES PATIERE STATVTAQ(VE) VIVES / PASCERISQ(VE) TVI PRO RATIONE STATVS / POST ETIAM GRATES PERSOLVE DEOQVE DVCQ(VE) / DANTIBVS HAC STVDII COMMODITATE FRVI".

Rechter Teil, deutsch: "DER DVRCHLEVCHTIG(E) FROM(ME) FVRST VND HERR / DES NAM HAT EWIGS LOB VND EHR / HERTZOG LVDWIG ZV WVRT(T)EMBERG / VON GRVND HAT (ER)BAWT DI(E)S(ES) HAVS VND WERCK / D(A)RVMB HEIS(S)T ES ZV DES STIFFTERS RHVM / HERTZOG LVDWIGSS COLLEGIVM / HIE(R) SOLLIN STVDIER(E)N ZV IEDER ZEIT / HERR(E)N VOM ADEL VND ANDER(E) LEVT(E) / HIE(R)HER HALT(E) ORDNVNG VND STVDIER(E) / NACH DEINEM STAND SOLL G(E)SCHEHEN DIER / SAG AVCH DANCK GOTT VND DI(E)SEM HERRN / VMB SOLCHE G(E)LEGENHEIT ZV LERN(EN)".

Diese beiden Inschriften bilden quasi nur die Flügel der Gestaltung über dem Tor. Die rechteckigen Tafeln sind von reichlich manieristischer Ornamentik umgeben, sowohl flächig als auch sich gegenseitig durchdringend. Insbesondere befinden sich oberhalb und unterhalb jeder Tafel ins Beschlag- und Rollwerk eingearbeitete Medaillons mit menschlichen Masken, alle individuell gestaltet (Abb. der Details siehe weiter unten). Die inneren Wangen, die zugleich den äußeren Rahmen für das Wappenfeld bilden, tragen übereinander je zwei Löwenmasken. Das oben rundbogig geschlossene Zentralfeld ist außen mit Schweifwerk geschmückt, in dem sich oben ein Kinder- oder Engelskopf befindet. Alle Inhalte werden zudem innerhalb des plastischen Rahmenwerks von einem flachen Ornamentband mit rotem Hintergrund eingefaßt.

Im Zentrum der üppig dekorierten Komposition steht das Wappen mit der Jahreszahl 1593, im letzten Lebensjahr von Herzog Ludwig von Württemberg angebracht. Über dem Wappen sind die Buchstaben "NGW" zu lesen, das ist die Devise des württembergischen Herzogs: N(ach) G(ottes) W(illen). Das Wappen hat die Form, wie sie von 1495 bis 1593 in Gebrauch war: Der Wappenschild ist geviert, Feld 1: Herzogtum Württemberg, in Gold drei schwarze Hirschstangen übereinander, Feld 2: Herzogtum Teck, schwarz-golden schräggeweckt (schräggerautet), Feld 3: Reichssturmfahne via Markgröningen, in Blau eine goldene Fahne mit Schwenkel, belegt mit einem schwarzen Adler, Feld 4: Grafschaft Mömpelgard, in Rot zwei aufrechte, abgekehrte goldene Barben (Fische).

Dazu werden zwei Kleinode geführt: Helm 1 (rechts): Herzogtum Württemberg, auf dem ungekrönten Helm mit rot-goldenen Decken ein rotes Jagdhorn (Hifthorn) mit goldenem Band und goldenen Beschlägen, mit drei Straußenfedern (eigentlich blau-silbern-rot, hier komplett schwarz) im Mundloch, Helm 2 (links): Herzogtum Teck, auf dem ungekrönten Helm mit schwarz-goldenen Decken wachsend ein schwarz-golden schräggeweckter Brackenkopf mit rot ausgeschlagener Zunge.

Das Jahr 1593 war das letzte Jahr, in dem das Wappen nur zwei Helme hatte, und Ludwig war der letzte Herzog, der es so führte, denn sein Nachfolger führte noch im gleichen Jahr den dritten Helm für die Grafschaft Mömpelgard ein, und so blieb es dann bis 1707. Herzog Friedrich I. von Württemberg, unter dem das Wilhelmsstift letztendlich vollendet wurde, legte als Vertreter der Mömpelgarder Linie Wert auf die Feststellung der Tatsache, daß gerade seine Linie an der Regierung war. Also wurde die Mömpelgarder Helmzier auf Platz 1 gesetzt, die Position für die in den Augen des Trägers hochwertigste Helmzier, zwischen die beiden anderen, an zentraler und damit wichtigster Position. So kommt es zu der im Grunde unlogischen Reihenfolge, denn auf dem hochwertigsten Platz steht eine Helmzier einer Grafschaft, während die beiden Kleinode für die beiden Herzogtümer außen stehen, auf den nachrangigen Plätzen. Wegen der politischen Bedeutung von Mömpelgard zu jener Zeit rückt das Kleinod jedoch in die Mitte.

Der dreistöckige Bau wurde im Stil der Spätrenaissance vom württembergischen Landbaumeister Georg Beer (-1600) errichtet. Das Baumaterial holte man sich teilweise von dem 1580 abgebrochenen Stift Einsiedel. Die Gebäudefassaden des Wilhelmsstifts stammen noch aus der Bauzeit, mit Ausnahme derjenigen des Ostflügels, wo sich früher im Südosten ein Ballhaus für das Jeu de Paume befand. Ab 1596 wurde die Institution mit geänderten Statuten als Ritterakademie bzw. Fürsten- und Adelsschule geführt, also waren fortan Bürgerliche nicht mehr zugelassen - unabhängig davon, was die Inschrift über dem Tor nach wie vor aussagt. 1601 fand die Trennung von der Universität statt; die Institution wurde von einem Oberhofmeister geführt. Die Ritterakademie in Tübingen hatte einen europaweiten guten Ruf und wurde zur bevorzugten Ausbildungsstätte für Sprößlinge des evangelischen Adels.

1629 kam es durch den Dreißigjährigen Krieg zu einer zeitweisen Schließung, die bis 1653 andauerte. Aber die Wiederbelebung schaffte es nicht, an die alte Blütezeit anzuknüpfen, zumal eine weitere Schließung während des Niederländisch-Französischen Krieges erfolgte. 1688 wurde das Collegium illustre aufgelöst, nachdem französische Truppen zu Beginn des Pfälzer Erbfolgekrieges einfielen. Von 1688 bis 1817 nutzte man die Gebäude als Unterkunft für illustre Gäste des Herzogtums Württemberg. Württembergische Prinzen, die an der Universität Tübingen studierten, wohnten hier. Das Collegium hatte zwar wieder Professoren unter Vertrag, die aber als Externe an der Universität lehrten. De facto arbeitete diese Institution also der Universität zu. 1810 wurde der letzte Oberhofmeister entlassen.

1817 wurde aus dem Collegium illustre das Höhere Katholische Konvikt des damaligen Bistums Rottenburg, wodurch hier wieder die Theologen-Ausbildung katholischer Konfession im Vordergrund stand. Der Hintergrund war, daß die katholisch-theologische Ausbildung von Ellwangen nach Tübingen verlegt worden war und hier 1817 eine entsprechende Fakultät gegründet wurde. Josef Sperl, Pfarrer und Schulinspektor, wurde zum ersten Konviktsdirektor berufen. Der neue Bedarf an katholischen Priestern war paradoxerweise durch die Säkularisation entstanden, wodurch jetzt neuerdings katholische Gebiete zum bisher protestantisch geprägten Württemberg gehörten: Württembergs Territorium hatte sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt, so daß das protestantische Alt-Württemberg vom überwiegend katholischen Neu-Württemberg unterschieden wird. Katholisch waren vor allem die Gebiete der ehemaligen Fürstpropstei Ellwangen und der Abtei Zwiefalten, die ehemaligen Besitzungen des Deutschen Ordens, Oberschwaben und das westliche Allgäu, ebenso die ehemals vorderösterreichischen Gebiete im Breisgau, im Südschwarzwald und in der Ortenau. Der bisherige Ballsaal im Südosten der Anlage wurde zur Wilhelmskirche umgebaut, der späteren Pfarrkirche St. Johannes.

Aus diesem Konvikt ging 1822 durch Umbenennung das Wilhelmsstift hervor, wobei sich der Name auf den Gründer, den württembergischen König Wilhelm I. (1781-1864), bezieht. Das geschah auf einen Bittbrief vom 27.4.1822 seitens der Konviktoren hin, eine Geste der Dankbarkeit wie der Lobhudelei. Hier im bischöflichen Theologenkonvikt wird auch heute noch der Priester-Nachwuchs der Diözese Rottenburg-Stuttgart ausgebildet, wobei die Regelstudienzeit in der ersten Ausbildungsphase zum Priester fünf Jahre beträgt (das dritte Jahr an auswärtigen Universitäten). Seit 2005 wird das Wilhelmsstift von Direktor Msgr. Martin Fahrner geleitet. Mit 300000 Bänden ist die Bibliothek des Wilhelmsstifts eine der größten und bedeutendsten Seminarbibliotheken Deutschlands. König Wilhelm I. überließ dem Stift aus seinem Privatbesitz als Startbestand die sogenannte Königliche Handbibliothek mit ca. 10000 Bänden, heute der kostbarste Besitz der Bibliothek.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.5211293,9.0550361,18.73z - https://www.google.de/maps/@48.5211745,9.0550209,95m/data=!3m1!1e3
Webseite des Wilhelmsstifts:
https://wilhelmsstift.de/ - Geschichte: https://wilhelmsstift.de/geschichte/
Franziskanerkloster Tübingen auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franziskanerkloster_Tübingen
Collegium illustre auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Collegium_illustre
Collegium illustre auf Leo-BW:
https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/lmz_bilddatenbank_02/LMZ025400/Tübingen+Collegium+Illustre
Collegium illustre auf Tüpedia:
http://www.tuepedia.de/index.php/Wilhelmsstift#Das_Collegium_Illustre
Wilhelmsstift auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelmsstift
Wilhelmsstift auf Tüpedia:
https://www.tuepedia.de/wiki/Wilhelmsstift
Konviktsbibliothek:
https://de.wikipedia.org/wiki/Konviktsbibliothek_Wilhelmsstift
Wolfram Hauer: Lokale Schulentwicklung und städtische Lebenswelt - das Schulwesen in Tübingen von seinen Anfängen im Spätmittelalter bis 1806, Contubernium, Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Nr. 57, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden/Stuttgart 2003, ISBN 3-515-07777-4, S. 175-183
Inge Jens und Walter Jens: Eine deutsche Universität - 500 Jahre Tübinger Gelehrtenrepublik, Verlag Rororo, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-61690-4, S. 211-216
Franziskanerkloster Tübingen in der Klosterdatenbank BW:
https://www.kloester-bw.de/kloster1.php?nr=555 - Geschichte: https://www.kloester-bw.de/klostertexte.php?kreis=&bistum=&alle=&ungeteilt=&art=&orden=&orte=&buchstabe=&nr=555&thema=Geschichte
Wilfried Setzler: Franziskanerkloster Tübingen, in: W. Zimmermann, N. Priesching (Hrsg.): Württembergisches Klosterbuch, Stuttgart 2003, S. 473 f.
August Willburger: Das Collegium illustre zu Tübingen, Verlag des Tübinger Bürgervereins, Tübingen 1912
Wolfgang Willig, Landadel-Schlösser in Baden-Württemberg, eine kulturhistorische Spurensuche, 1. Auflage 2010, ISBN 978-3-9813887-0-1, S. 525-526

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