Bernhard
Peter
Galerie:
Photos schöner alter Wappen Nr. 2463
Groß-Umstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg)
Marktbrunnen (Bietbrunnen)
Der Brunnen auf dem Groß-Umstadter Marktplatz wurde in seiner jetzigen Form mit seinem kreisrunden Becken, zentraler vierkantiger Säule und vier jeweils aus einer vergoldeten Löwenmaske hervorkommenden Röhren 1714 gestaltet. Aber der den Platz dominierende Brunnen wird bereits 1547 als "springender bron" erwähnt. Versorgt wurde der Brunnen über eine hölzerne Wasserleitung, die von einer nahe dem Gruberhof befindlichen Quelle gespeist wurde. Einst war die Wasserstelle doppelt angelegt: Während der eigentliche Marktbrunnen als Trinkwasserbrunnen diente und man daher den Brunnentrog vor Verunreinigungen schützte, leitete man den Überlauf in einen direkt daneben befindlichen Holzbrunnen als Tränke für Tiere. Der Trinkwasserbrunnen war ringsum durch zwischen zwölf Pollern gespannte Ketten gegen Zutritt von Pferden und anderen Vierbeinern geschützt. Noch einmal vier rotsandsteinerne Pollerpaare stehen mit je einer weiteren einzelnen Kette außerhalb des Ringes an den offenen Stellen des inneren Ringes, genau an den Stellen, wo das Wasser aus den vier Röhren herauskommt. Da die äußeren Poller in radialer Verlängerung der Linie von der Brunnensäule zu den inneren Pollern stehen, ergibt sich eine größere Kettenlänge.
Der Marktbrunnen wird auch als "Biet" bezeichnet; die Frauenfigur oben auf dem Brunnen, die bei der Neugestaltung 1714 einen bisher dort plazierten steinernen Löwen ersetzte, heißt Bietjungfer. Das Wort "Biet" stammt aus der Weinbausprache der Region, geht auf das althochdeutsche "biudaz" zurück und bezeichnet einen Keltertrog. Hier wurde das Wort auf das Wasserbecken als volkstümlicher Name übertragen. Laut Inschrift erfolgte eine Renovierung 1834 durch den Bürgermeister Georg Adam Mai, eine weitere 1884 und eine letzte 1996 durch Bürgermeister Köbler.
Am Brunnen ist auf dem viereckigen Schaft oberhalb einer Renovierungsinschrift innerhalb einer vergoldeten Kartusche das Stadtwappen von Groß-Umstadt angebracht. Es zeigt in Blau eine silberne Stadtsilhouette mit Zinnenmauer, einem viereckigen Mittelturm mit Dreipaßfenster über einem geschlossenen roten Tor zwischen zwei Dreipaßfenstern in der hier erhöhten Mauer und zwei achteckigen Seitentürmen mit je drei Fenstern, jeweils mit rotem Dach, der mittlere mit einem goldenen Kreuz an der Spitze, die äußeren mit goldenen Knäufen; zwischen den Türmen befinden sich zwei Wappenschilde, beide durch einen Steg mit dem Turm verbunden, rechts golden mit drei roten Sparren (Grafschaft Hanau), links silbern mit einem durchgehenden schwarzen Kreuz (Stift Fulda). Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Band: St Seite: 8 Tafel: 15. Es basiert auf den ältesten Stadtsiegeln des 14. Jh. Seit 1255 waren das Stift Fulda und die Herren von Hanau die beiden Stadtherren und blieben es bis 1390 gemeinsam. Im 18. Jh. gingen die beiden Schildchen im Stadtwappen verloren und hielten erst im frühen 20. Jh. wieder Einzug. 1956 war ein etwas anderes Wappen in Gebrauch mit dem Hanauer Schild auf dem Mittelturm und dem Fuldaer Schild auf dem Tor aufgelegt. Im Jahr 1978 wurde das Wappen mit den beiden wieder seitlichen Schilden offiziell verliehen.
Weiter oben befinden sich die landesherrlichen Wappen: Wie auch am Rathaus sehen wir hier ein Pfälzer Wappen und ein hessisches Wappen auf den beiden Schilden, die die Bietjungfrau hält, ersteres in der rechten Hand und letzteres in der linken Hand. Im Jahr 1714 gehörte die eine Hälfte von Groß-Umstadt der Kurpfalz, die andere Hälfte den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, nachdem zuvor mehrere Linien Anteile daran hatten, was aber alles 1705 wieder per Gebietstausch vereint wurde. So blieben die Besitzverhältnisse bis zur Auflösung des Kondominiums im Jahre 1803, als mit dem Reichsdeputationshauptschluß Umstadt gänzlich zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt geschlagen wurde, aus der 1806 das Großherzogtum Hessen hervorging.
Das hessische Wappen hat eine Form, wie sie von der Linie Hessen-Darmstadt von 1642/1659 bis 1736 geführt wurde. Von zeitgleichen Wappen der Linie Hessen-Kassel unterscheidet es sich durch das Auftreten der zwei Balken für Isenburg-Büdingen: Georg II. von Hessen-Darmstadt hatte 1642 die Anwartschaft auf die Grafschaft Isenburg erworben, das Recht, Wappen und Titel zu tragen, eingeschlossen. Das neue Wappen ist einmal gespalten und zweimal geteilt mit Herzschild: Feld 1: in Silber ein rotes Patriarchenkreuz (Fürstentum Hersfeld), Feld 2: schwarz-golden geteilt, oben ein silberner sechsstrahliger Stern (Grafschaft Ziegenhain), Feld 3: in Gold ein roter Löwe, blau bewehrt und blau gekrönt (Grafschaft Katzenelnbogen), Feld 4: in Rot zwei goldene, blau bewehrte schreitende Löwen übereinander (Grafschaft Diez), Feld 5: geteilt, oben schwarz-golden geteilt, oben zwei achtstrahlige silberne Sterne (Grafschaft Nidda), unten in Silber zwei schwarze Balken (Grafschaft Isenburg-Büdingen), Feld 6: in Rot ein silbernes Nesselblatt, belegt mit einem silbern-rot geteilten Schildchen (Grafschaft Schaumburg, hier farblich komplett irrig), Herzschild: in Blau ein silbern-rot mehrfach geteilter aufrechter Löwe, golden gekrönt und golden bewehrt (Landgrafschaft Hessen). Viele Felder sind vereinfacht angestrichen unter Vernachlässigung der Nebenteile, oben gelistet ist die Soll-Fassung. Das Feld 6 ist komplett falsch angestrichen.
Ein interessantes Detail ist,
daß bei beiden Wappen unten ein kleiner Elephant zu sehen ist,
das ist das Ordenszeichen des dänischen Elephantenordens. Im
fraglichen Zeitraum wurden mehrere Mitglieder des Hauses Hessen
in den Orden aufgenommen:
26.6.1667 Wilhelm VII. Erbprinz von Hessen-Kassel
(21.6.1651-21.11.1706)
26.6.1667 Carl Erbprinz von Hessen-Kassel (3.8.1654-23.3.1730)
29.6.1680 Friedrich II. von Hessen-Homburg (31.5.1633-24.1.1706)
5.7.1694 Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt (15.12.1667-12.9.1739)
5.7.1694 Philipp Landgraf von Hessen-Philippstal,
(14.12.1655-13.6.1721)
27.5.1700 Friedrich von Hessen-Kassel, König von Schweden
(20.4.1676-5.4.1751)
Sowohl von der Linie als auch von der Zeit (1714) läßt sich Ernst
Ludwig von Hessen-Darmstadt (15.12.1667-12.9.1739) als
Wappenbesitzer identifizieren.
Im einzelnen besteht das kurpfälzische Wappen aus drei (2:1) einzelnen Schilden, die unter einem Ranghut zusammengestellt, mit einem Band verbunden und zusätzlich mit zwei Ordensketten zu einer Gesamtkomposition verbunden sind. Die Farbfassung ist unbefriedigend und weist Vereinfachungen und Fehler auf. Im folgenden wird die Soll-Fassung angegeben. Der erste Schild ist geviert mit Herzschild, Feld 1: silbern-blau schräg gerautet (Haus Wittelsbach, hier vereinfachend nur eine einzige Reihe Rauten), Feld 2: in Gold ein schwarzer Löwe (Herzogtum Jülich), Feld 3: in Rot mit silbernem Herzschild ein goldenes Glevenrad (Herzogtum Kleve, vereinfacht), Feld 4: in Silber ein roter Löwe, golden bewehrt, blau gekrönt (Herzogtum Berg), Herzschild: in Schwarz ein goldener Löwe, rot gekrönt, gezungt und bewehrt (Pfalzgrafschaft bei Rhein, vereinfacht). Der zweite Schild ist geviert, Feld 1: in Gold ein schwarzer Balken (Grafschaft Moers, hier farblich komplett daneben), Feld 2: in Silber ein blauer Löwe, golden bewehrt und golden gekrönt (Grafschaft Veldenz, hier farblich komplett daneben), Feld 3: in Gold ein silbern-rot geschachter Balken (Grafschaft Mark), Feld 4: in Silber drei rote Sparren (Grafschaft Ravensberg). Der dritte Schild unten zeigt in Rot einen goldenen Reichsapfel für das Erztruchsessenamt. Ein Vergleichswappen des gleichen Landesherrn mit diesem Arrangement aus drei Schilden ist zu sehen an der ehemaligen Hofapotheke in Neuburg an der Donau, datiert auf 1713.
Bei der Pfalz haben wir die typische Zusammensetzung des Wappens der Linie Pfalz-Neuburg. Der dritte Schild mit dem goldenen Reichsapfel in rotem Feld für das Amt des Erztruchsessen weist es als Wappen der Kurlinie aus, und 1714 lag die Kur bei Pfalz-Neuburg. Den Herzögen von Bayern war 1706 im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges die Kurwürde wieder aberkannt worden und an die Pfalzgrafen, die zwischenzeitlich das Amt des Erzschatzmeisters mit dem Symbol der goldenen Reichskrone in rotem Feld innehatten, zurückgegeben worden. Zeitlich war im Jahre 1714 regierender Pfalzgraf Johann Wilhelm von der Pfalz.
Auch hier sehen wir unter dem Wappen einen Elephanten. Zu finden ist als Mitglied dieses Ordens jedoch nur Karl II. von der Pfalz (31.3.1651-16.5.1685), der letzte pfälzische Kurfürst aus der Linie Simmern, welcher am 7.7.1671 aufgenommen worden war, zeitlich zu früh und vom Wappen her nicht passend. Hier ist der Elephant jedoch an einer Kette befestigt mit Gliedern, die einen Verdacht nähren: Hier könnte der Orden vom Goldenen Vlies gemeint sein, und es sollte ein Widderfell unten abhängen, nicht ein Elefant, und diese Mitgliedschaft besteht für den Herren der Hälfte von Umstadt, Pfalzgraf Johann Wilhelm von der Pfalz, seit 1686. Der Steinmetz oder Restaurator hat sich wohl irrig von dem anderen, berechtigten Elephanten beim hessischen Wappen verleiten lassen. Zieht man das Vergleichswappen an der Hofapotheke in Neuburg an der Donau als Vergleich hinzu, ist dort eindeutig das Widderfell zu sehen. Also ist der Elephant ein Fehler des Handwerkers. Der zweite, innere Orden mit dem Stern soll für den Hubertusorden stehen, dessen Großmeister der Pfalzgraf war und den er am 29.9.1708 erneuert hatte.
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps:
https://www.google.de/maps/@49.8684359,8.9290745,19.75z - https://www.google.de/maps/@49.8683054,8.9289951,39m/data=!3m1!1e3
Besitzgeschichte: https://de.wikipedia.org/wiki/Kondominat_Umstadt
Geschichte von Groß-Umstadt: http://www.gross-umstadt.de/de/geschichte
Wappen von Groß-Umstadt: http://www.ngw.nl/heraldrywiki/index.php?title=Groß-Umstadt
J. H. F. Berlien, Der Elephanten-Orden und seine Ritter,
Kopenhagen 1846, online: http://books.google.de/books?id=-BAZAAAAYAAJ
Elephantenorden: https://de.wikipedia.org/wiki/Elefanten-Orden
Elephantenorden: http://kongehuset.dk/en/menu/news/the-history-behind-the-order-of-the-elephant
Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ludwig_(Hessen-Darmstadt,_Landgraf)
Johann Wilhelm von der Pfalz: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wilhelm_(Pfalz)
Orden vom Goldenen Vlies: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Ritter_des_Ordens_vom_Goldenen_Vlies#17._Jahrhundert
Hubertusorden: https://de.wikipedia.org/wiki/Hubertusorden
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