Bernhard
Peter und Dominik Smasal
Galerie:
Photos schöner alter Wappen Nr. 687
Gernsbach
(Murgtal, Schwarzwald)
Gernsbach: Altes Rathaus
Das Alte Rathaus in Gernsbach ist das schönste Gebäude der Altstadt und eines der bedeutendsten Wohngebäude des Manierismus in Süddeutschland. Es entstand 1617/1618 im Auftrag des erfolgreichen Hauptschiffers der Murgflößerei und Holzhändlers Johann Jakob Kast (ältester Sohn des wegen seines enormen Vermögens bekannten Murgschiffers Jakob Kast aus Hörden und Ursula Kellerin) durch den Heidelberger Hofbaumeister Johann Schoch (1550-1631). Die stilistische Nähe zu dessen Arbeiten in Heidelberg ist unverkennbar, man vergleiche den Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses. Volutengiebel, Zwerchgiebel und vor allem der polygonale Erker beleben die Fassaden des dreigeschossigen Baus aus rotem Sandstein. Das Dekor ist detailreich, man achte z. B. auf die beiden kleinen Sonnenuhren am Erker, und wuchtig, man beachte die wuchtigen Simse und Sprenggiebel über den Fenstern. Wenn man die enge und steile Straße hinaufsteigt, ist man geblendet von der unerwarteten Pracht, die hoch vor einem aufragt, von der Regelmäßigkeit des Fassadenkonzepts mitten in der Altstadt. Und dennoch ist dieses Gebäude ein Torso. An der Nordseite sieht man an dem an die äußerste Ecke gerückten Zwerchgiebel, daß das Gebäude weitergehen sollte, und die Westwand zum Nachbargebäude ist nicht aus Stein, sondern aus Fachwerk errichtet. Ursprünglich sollte das Gebäude doppelt so groß und mit einem rechtwinklig daran angrenzenden Flügel versehen werden, was aber daran scheiterte, daß das Bistum Speyer dem Bauherrn das dafür notwendige zweite Grundstück verweigerte. Was ein Stadtpalast hatte werden sollen, blieb unvollendet - was der Schönheit des Vorhandenen natürlich keinen Abbruch tut.
Kurz nach Teilvollendung zog Johann Jakob Kast mit seiner Frau Maria Vogler (Heirat 31.8.1596) aus Gernsbach fort nach Straßburg, wo er 1623 das Bürgerrecht bekam und Mitglied der protestantischen Gemeinde Temple Neuf wurde. Maria Vogler war seine zweite Frau, denn bereits 1589 hatte er in Selbach Klara Nebel geheiratet, die Tochter des Bingener Bürgermeisters, die allerdings nicht lange lebte. Und in neuen Wohnort heiratete er ein drittes Mal, am 11.12.1627 Katharina Berner aus Straßburg. Die Hintergründe seines Wegzugs dürften im Scheitern seiner Bemühungen um das notwendige zweite Grundstück liegen sowie Querelen um die Murgschifferei und religiöse Streitereien im Vorfeld des 30jährigen Krieges. Jedenfalls zog Kast 1618 fort. Daß er wegen seiner Frau wegzog, ist ein Gerücht - sie lebten 20 Jahre gemeinsam glücklich in Gernsbach, bevor sie wegzogen. Daß er das Haus der Stadt schenkte, ist eine nette Legende. Noch 1626 listet Kast das Haus als seinen Besitz auf und beziffert seinen Wert mit 2800 Gulden. Bis mindestens 1663 war das Gebäude im Besitz seiner Angehörigen. Tatsächlich wurde es von der Stadt seit ca. Mitte des 18. Jh. als Rathaus genutzt, offiziell ist es aber erst 1890 im Rahmen eines Ausschlußverfahrens gegenüber Dritten und ihren Ansprüchen in den Besitz der Stadt übergegangen, die es quasi als herrenlos gewordenes Gut betrachtete. 1975-1979 fand eine umfassende Sanierung statt.
Über dem Portal des Alten Rathauses (erbaut 1617/18) ist ein Allianzwappen, dessen Bedeutung bis dato als nicht vollständig geklärt gilt und immer wieder Fragen aufwirft.
Sammeln wir zuerst die Fakten:
Theorie 1:
Phantasiewappen von J. J. Kast
These: Kast,
bürgerlicher Herkunft, reich geworden durch Holzhandel, hat sich
hier in seinem Bestreben, seiner gesellschaftlichen Arriviertheit
ein angemessenes Monument zu schaffen, ein Phantasiewappen
entworfen und dabei für sich die Ebersteiner Rose adaptiert.
Dabei hat er sie in der Darstellung leicht verändert (der Butzen
innen sieht aus wie eine innere Lage Blätter) und eine andere
Helmzier benutzt. Es ist eine rundum phantasievolle heraldische
Konstruktion: Schildbild der Ebersteiner + Doppelhaken der Stadt
+ fiktives Symbol für den Holzhandel des Erbauers als
Helmzier + fiktives redendes Symbol für Vogler als
Helmzier. An seinem eigenen
Haus wird Kast wohl sein eigenes Wappen angebracht haben. Die
Ebersteiner Rose ist durch den Ortsbezug begründet. Die
Helmzieren zeigen, daß es sich hier um Personenwappen, nicht um
kommunale Heraldik handelt. Kast konnte sich mächtig fühlen und
prunkvoll auftreten, denn er war der reichste Mann im Ort und die
Ebersteiner waren bei ihm hoch verschuldet.
Contra: Dieser Theorie vermag ich nicht zu folgen. Eine mögliche
Adaptierung der Ebersteiner Rose durch Kast in leicht
veränderter Form ist unwahrscheinlich. Würden es die Grafen von
Eberstein zu Lebzeiten, also vor 1660, geduldet haben, daß ihr
Wappenschild mit der typischen Rose von einer anderen Familie,
wenn auch mit anderer Helmzier, geführt wird? Mitnichten. Zur
leicht veränderten Darstellung der Rose: Heute gehen wir von einer größeren
Unterscheidungskraft kleinerer Merkmale aus als früher. Heute
würden wir eine einfache und eine doppellagige Rose als zwei
verschiedene Schildbilder ansprechen. Doch in vergangenen
Jahrhunderten hat man das offensichtlich viel weniger eng
gesehen. Je länger man sich mit historischen Beispielen befaßt,
desto mehr erfährt man, daß früher die Toleranz bzgl.
heraldisch korrekter Darstellung erheblich größer war.
Umgekehrt heißt das aber auch, daß man früher es nicht
notwendigerweise als hinreichend abweichendes Wappen empfand,
wenn aus einer einlagigen Rose eine doppellagige wurde z. B. In
Silber eine rote Rose mit Blau innendrin ist einfach eine
Ebersteiner Rose. Und es kann nicht angenommen werden, daß ein
uraltes Grafengeschlecht wie das der Ebersteiner das so einfach
hingenommen hätte, daß ein (aus ihren Augen) bürgerlicher
Emporkömmling ihre Rose nimmt - wir sollten das immer vor dem
Hintergrund der damaligen Gesellschaft und ihrem
Standesbewußtsein sehen. Auch ein Fugger hätte es sich nicht
erlauben können, einfach das Habsburger Wappen zu adaptieren,
egal wie hoch der Kaiser bei ihm verschuldet war, er blieb auch
bei seinen beiden Lilien (bzw. in der anderen Linie bei seinem
Reh). Ein Phantasiewappen ist ebenfalls unwahrscheinlich, denn um
1617 hat Heraldik noch eine wichtige Rolle beim Adel und beim
Stadtpatriarchat etc. gespielt. Wer sich da einfach ein
Phantasiewappen zusammenbastelt, würde sich damit vollkommen
lächerlich machen und außerhalb der Gesellschaft stellen, zu
der ein reich gewordener Handelsherr gerne gehören möchte. Er
hätte sein Ansehen verspielt und würde so ernst genommen worden
sein wie ein Faschingsprinz.
Theorie 2:
Phantasiewappen der Stadt
Eine Variante der
Phantasie-Wappen-These wäre, daß das Ganze nicht ein
Phantasiewappen der Familie Kast, sondern der Stadt Gernsbach sei
und erst zusammen mit den Figuren rechts und links daneben im 18.
Jh. nachträglich angebracht wurde, also schon von der Stadt und
Bürgerschaft Gernsbach ausging, symbolisch die Vereinigung von
Ebersteiner Herrschaft (Rose) und altem Stadtsymbol (Doppelhaken)
zeigend. Gegen die Verwendung ihrer Symbole konnten sich die
Ebersteiner Grafen nicht mehr wehren, da sie schon 1660 im
Mannesstamme ausgestorben waren. Gegen diese Theorie spricht die
unübliche Verwendung von Oberwappen mit Helmzieren für ein
kommunales Gemeinwesen, die zudem ohne Vergleich wären.
Weiterhin würde man im 18. Jh. stilistisch einen anderen
Ausdruck erwarten.
Theorie 3:
Nachträgliche Umänderung.
These:
Die Schildinhalte zeigen das auf zwei Teile aufgespaltene Wappen
der Stadt Gernsbach, während die Helmzieren von ursprünglich
dort vorhandenen Vollwappen Kast und Vogler stammen.
Ursprünglich war da wohl das Allianzwappen Kast/Vogler, des
Erbauers und seiner zweiten Frau. J. J. Kast ist durch die
Murgschiffahrt und den Holzhandel reich geworden. Als er sich das
Wappen zulegte, wählte er typische Symbole, z. B. die Helmzier
mit dem Löwen, der den Baum präsentiert, die Grundlage seines
Wohlstandes und Ansehens. Er heiratete Frau Vogler aus Heilbronn,
mit dem Vogel als Helmzier und familientypischem Schildinhalt.
Später nach dem etwas seltsamen Abgang Kasts nach Straßburg
wurde das Haus von der Stadt genutzt. Diese ließ die beiden
Wappenschilde ummeißeln und die beiden Elemente des Gernsbacher
Stadtwappens anbringen, Rose und Doppelhaken, sicher erst nach
dem Ende der Herrschaft der Ebersteiner 1660, vermutlich sogar
erst um 1890, als das Haus in den Besitz der Stadt kam. Da das
Stadtwappen keine eigene Helmzier hatte, und da ein
Herausmeißeln zu viel Mühe gekostet hätte und eine böse
Lücke hinterlassen hätte, beließ man die alten Helmzieren. Es ist viel darüber geschrieben worden,
wie seltsam der Abgang von Kast aus Gernsbach war, wie
lächerlich er sich machte mit dem halben Haus und dem
verweigerten Bauplatz für die zweite Hälfte, daß es
Querelen um die Murgschifferfahrt und Streitereien um die
Religionszugehörigkeit gab - könnte es nicht auch ein
bißchen Häme der Gernsbacher Bürger gewesen sein, Kast nach
dessen Abgang absichtlich das Wappen so zu verändern, daß jeder
sah, daß hier die Bürger jetzt dort residieren, wo der
Handelsherr scheiterte? Und das so zu machen, daß man es an den
Helmzieren noch sah? Wir sehen also noch die alten Helmzieren
Kast/Vogler, die zugehörigen Symbole aus den Schilden sind aber
verschwunden und durch die Stadtsymbole ersetzt worden,
aufgeteilt auf beide Schilde. Mit dieser These ließen sich
jedenfalls alle eingangs aufgelisteten Fakten problemlos
verbinden, und so erscheint diese Erklärung als die plausibelste.
Was auch immer tatsächlich passiert ist, mit dem Gernsbacher Alten Rathaus haben wir eines der schönsten manieristischen Bürgerpaläste, auch wenn es nie fertig geworden ist, und das Allianzwappen gibt dem Betrachter immer noch Rätsel auf, auch wenn wir eine plausible These anbieten können.
Literatur:
Siebmachers Wappenbücher.
Frau Dr. Cornelia Zorn ein herzliches Dankeschön für die
anregende Diskussion des Problems.
Manuela Dessau: Gernsbach und das Alte Rathaus, 1984, Elster
Verlag Baden-Baden.
Dr. Cornelia Renger-Zorn: Altes Rathaus, Wahrzeichen von
Gernsbach, Flyer der Stadt Gernsbach, Prospekt-Download auf http://www.gernsbach.de/touristinfo/de/prospektservice/index.htm - http://www.gernsbach.de/touristinfo/content/downloads/prospekte/flyer_altes_rathaus.pdf
Die deutschen Inschriften: DI 78, Stadt Baden-Baden und Landkreis
Rastatt, Nr. 476 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di078h017k0047606 - http://www.inschriften.net/baden-baden-und-landkreis-rastatt/inschrift/nr/di078-0476.html#content
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