Bernhard
Peter
Grippe-Pandemien
- eine stete Gefahr?
Epidemie
– Endemie – Pandemie
Zu Beginn
eine Definition
wichtiger epidemiologischer Grundbegriffe:
Wann
spricht man von einer Grippe-Pandemie?
Eine
Grippe-Pandemie liegt
vor, wenn folgende vier Bedingungen erfüllt sind:
Voraussetzungen für das Entstehen einer Pandemie sind damit:
Wie
können prinzipiell potentielle Pandemie-Virus-Varianten
entstehen?
Zwei
Mechanismen stehen zur
Erzeugung neuer Virus-Varianten zur Verfügung: Mutationen und
Reassortment. Mutationen gibt es ständig (s. o.).
Reassortment,
das Vermischen ganzer Gen-Segmente, ist von den Umständen
abhängig: Das Auftreten neuer Varianten ist um so
wahrscheinlicher, je mehr die Möglichkeit besteht,
daß sich in
ein und der selben Zelle zwei Viren gleichzeitig zur Vermehrung
begegnen und untereinander Segmente austauschen. Für den
Menschen wird es gefährlich, wenn ein Menschen-Virus und ein
Tier-Virus in einem Wirt zusammenkommen, z. B. wenn ein Mensch,
ein Huhn oder ein Schwein gleichzeitig mit einem
menschenpathogenen Virus und einem vogel- bzw. schweinepathogenen
Virus infiziert wird. Daß diese Möglichkeit
besonders in
landwirtschaftlichen Regionen gegeben ist, in denen Menschen in
enger häuslicher Gemeinschaft mit Hausschweinen und
Geflügel
unter beengten und schlechten hygienischen Verhältnissen
leben,
liegt auf der Hand. Ein großes Reservoir in dieser Hinsicht
ist
der Süden und Osten Asiens.
Die
Spanische Grippe von 1918
Im 20. Jh.
gab es drei große
Grippe-Pandemien. Im Jahre 1918 wurde vermutlich ein Vogelvirus
auf den Menschen übertragen. Eine Reihe von Mutationen hatte
offensichtlich dazu geführt, daß das Virus auf den
Menschen
überspringen konnte. Ein Vergleich zwischen Vogelviren und
inzwischen in Toten von damals nachgewiesenen Viren hat gezeigt,
daß nur. ca. 25-30 Punktmutationen dazu nötig waren.
Es
handelte sich im Gegensatz zu den nachfolgenden Pandemien nicht
um eine Reassortante. Für das menschliche Immunsystem war
bislang die Vogelvariante H1N1 Neuland und gänzlich unbekannt,
um so schneller konnte die Pandemie sich ausbreiten. Die sog.
„Spanische Grippe“ war die
größte und schlimmste
Grippe-Epidemie in der Geschichte der Menschheit. In nur einem
Jahr gab es weltweit 50 Millionen Todesopfer! Das sind deutlich
mehr Opfer als im 1. Weltkrieg. In nur einem Jahr fegte die
Pandemie in drei Wellen über Europa, Asien und Nordamerika.
Die
erste Welle (Frühling 1918) war hochansteckend, aber nicht so
tödlich wie die zweite Welle vom September 1918. Innerhalb
weniger Tage starben die Patienten an schwerer
Lungenentzündung
mit Lungenversagen. Im Gegensatz zu der „normalen“
Grippe, wo die typische Risikogruppe > 65 Jahre alt ist, waren
1918/19 99% der Toten jünger als 65 Jahre. Die meisten Opfer
forderte die Pandemie in der Altersgruppe 15-35 Jahre,
kerngesunde junge Menschen. Forscher haben das Virus von 1918 im
Labor wiedererweckt, einerseits aus archivierten Gewebsproben,
andererseits aus Permafrost-Leichen: In der Tat ist es eines der
aggressivsten Viren: Die Erreger produzierten 40000 mehr virale
Partikel im Lungengewebe der Labormäuse als andere, momentan
in
Umlauf befindliche menschliche Grippeviren. Sie führten zu
starker Bronchiolitis, Alveolitis, Lungenödemen und
Lungenblutungen, die Labormäuse verendeten innerhalb weniger
Tage.
Die
Asiatische Grippe von 1957
Nachdem
sich das menschliche
Immunsystem schließlich darauf eingestellt hatte, kam es im
Jahre 1957 zu einem neuen Ausbruch: Die sogenannte
„Asiatische Grippe“ entwickelte sich zum Schrecken
der
Menschheit. Ihr Ursprung war in China. Weltweit gab es 1-2 Mio.
Todesopfer, alleine in Deutschland 30 000. Klinisch war dieser
Virus milder als der von 1918. Die Todesopfer waren
hauptsächlich unter Kindern und Senioren und Menschen mit
Vorerkrankungen zu finden. Voraussetzung dafür war die
Doppelinfektion eines unbekannten Wirtes mit dem menschlichen
H1N1-Virus und einem bis dahin auf Vögel beschränkten
H2N2-Virus. Beider Segmente vermischten sich, als neuer
Reassortant ging daraus der humanpathogene H2N2-Stamm hervor, der
noch fünf Segmente von dem alten 1918er-Virus besaß
und drei
neue Segmente, die aus dem H2N2-Vogelvirus stammen (H, N,
Polymerase PB1). Der Austausch betraf beide
Oberflächenantigene,
so daß der alte Virus eine komplett veränderte
Oberfläche
bekam. Dem Immunsystem war der Fusionsvirus gänzlich unbekannt
-
Bahn frei für den hochinfektiösen Virus!
Die
Hongkong-Grippe von 1968
Im Jahre
1968 geschah im
Prinzip das selbe, ein Wirt wurde mit dem humanpathogenen
Reassortant von 1957 und gleichzeitig mit einem weiteren
Vogelvirus mit dem Oberflächenantigen H3 infiziert. Der neue
Reassortant bzw. Fusionsvirus hatte jetzt die Eigenschaften H3N2
(neu hinzugekommen waren Hämagglutinin und Polymerase PB1) und
trat seinen Siegeszug an und forderte weltweit ca. 800 000 - 1
Mio. Todesopfer, in Deutschland ca. 30 000. Klinisch war dieser
Virus ebenfalls milder als der von 1918. 50% der Opfer waren <
65 Jahre alt.
1977 kam es zu einem Wiederauftreten des H1N1-Subtyps. Seitdem haben wir eine Kozirkulation von H1N1 und H3N2.
Und
die
Situation heute (März 2006)?
Als erstes
müssen wir
zwischen drei verschiedenen Risiken unterscheiden:
Momentan leiden wir „nur“ unter der „normalen“ Grippewelle. „Nur“ – weil die Krankheit häufig hierzulande bagatellisiert wird. Immerhin handelt es sich um eine meldepflichtige Infektionskrankheit, immerhin sterben hierzulande jedes Jahr alleine in Deutschland Tausende von Menschen (2002/2003: 17000, 2003/2004: 6000, 2004/2005: 15000-20000), weltweit bis zu 500 000 Menschen im Jahr. Es könnten sehr viel weniger sein, wenn sich die Risikogruppen impfen ließen. Momentan sind H1N1 und H3N2 die vorherrschenden humanpathogenen Influenza-Viren, der Typ H2N2 ist seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetaucht.
Es ist weiterhin jederzeit die Möglichkeit gegeben, daß sich ein humanpathogenes Grippevirus ein weiteres Mal mit einem Vogelvirus vermischt und daß eine neue Variante entsteht, der die Menschheit wieder hilflos gegenübersteht. Daß es irgendwann passieren wird, daß es wieder eine Pandemie geben wird, ist sicher, dafür sorgen die evolutorischen Gesetzmäßigkeiten wie Mutation, Zufall und Selektion. Der Zeitpunkt ist nur ungewiß, und Vorhersagen sind unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit korreliert mit der Anzahl der in Umlauf befindlichen H5N1-Viren.
Momentan haben wir mit der Vogelgrippe H5N1 noch eine Tierseuche. Wenn sie vom Tier auf einzelne Menschen überspringt, ist es eine Zoonose. Von einer Pandemie kann nicht die Rede sein, weil die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch fehlt. Es ist unwahrscheinlich, daß H5N1 in der gegenwärtigen Form zu größeren Infektionszahlen unter der Menschheit sorgt. Noch ist die Ansteckung von Menschen an Vögeln die Ausnahme (nur wenige Hundert Angesteckte weltweit bei 6.5 Milliarden Weltbevölkerung sind – so tragisch das im Einzelfall auch sein mag - im Vergleich zu den Todesopfern der „normalen“ Grippe „Peanuts“), noch betrifft es nur Personen, die in engem Kontakt mit infizierten Vögeln und insbesondere deren Exkrementen standen, noch ist sie nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Der Erreger kann Menschen nur sehr schlecht infizieren, denn sein Hämagglutinin ist bislang nicht gut für das Eindringen in menschliche Zellen geeignet. Aber eine winzige Mutation könnte diesen Sprung auf den Menschen bewirken, mit ungeahnten Folgen, denn das menschliche Immunsystem hat dem H5-Typ noch nichts entgegenzusetzen. Wenn das H5N1-Virus die Bedingung der Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch durch Mutation oder Reassortierung erwerben würde, dann wäre die Pandemie möglich. Beunruhigend ist, daß das derzeit (2006) kursierende H5N1-Vogelgrippe-Virus einige der genetischen Veränderungen, die das H1N1-Virus von 1918 hatte, auch besitzt, und im Laufe der letzten Jahre an Virulenz gegenüber Säugetieren zugenommen hat und sein Wirtsspektrum ausgedehnt hat. Es wäre ein möglicher Kandidat für die Entstehung eines pandemie-tauglichen Reassortanten.
Darüber darf jedoch nicht übersehen werden, daß auch ganz andere Stämme durchaus in der Lage wären, Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen Pandemievirus zu werden, so z. B. H9N2, das ebenfalls in asiatischen Geflügelpopulationen weit verbreitet ist und schon Schweinepopulationen infiziert hat. Auch diese H9-Viren wären mit ihrem breiten möglichen Wirtsspektrum in der Lage, den Menschen zu infizieren wie in Hongkong 2000 geschehen. In der Tat wissen wir noch nicht, von welchem Virus eine nächste Pandemie ausgehen wird, wann sie auftreten wird, wie virulent das neue Virus sein wird und wie viele Menschenleben sie fordern wird. Für den Fall einer nächsten Pandemie wird in der günstigsten Schätzung mit ca. 2-7.4 Millionen Erkrankungen gerechnet.
Aber Panik ist die falsche Botschaft. Keine Krankheit der Welt, auch keine Vogelgrippe kann so ansteckend sein wie die Krankheit namens „Panik“. Von Medien wird die Panik gerne publikumswirksam geschürt. Wir haben keine Pandemie. Vielmehr sollte man zur Vorbeugung einer neuen Pandemie vor allem auf einen hohen Durchimpfungsgrad der Menschheit achten. Die ganz normale Grippeschutzimpfung schützt zwar nicht vor der Vogelgrippe oder einem neuen Supervirus. Aber: Wer gegen die „normalen“ Grippe-Varianten geimpft ist, kann wenigstens nicht gleichzeitig mit einem „normalen“ und einem Vogel-Grippe-Virus infiziert werden und als „Gefäß“ zur Fusion eines „normalen“ mit einem Vogel-Grippe-Virus dienen, aus der dann ein neuer, potentiell gefährlicher Virus werden könnte.
Warum
gibt
es keine Influenza B – Pandemien?
Pandemien
bei Grippe-Viren
sind auf Influenza A beschränkt. Das liegt zum einen daran,
daß
das Genom stabiler ist: Bei Influenza B gibt es nur eine
Antigen-Drift, aber keinen Antigen-Shift. Weiterhin gibt es
für
Influenza B kein permanentes tierisches Reservoir. Beides
zusammen verhindert das Zustandekommen von Pandemien mit
Influenza B. Es gibt nur Epidemien.
Influenza, Grippe, grippaler Infekt, Parainfluenza - Die Vielfalt der Grippe-Viren - Vogelgrippe bei Vögeln - Vogelgrippe bei Mensch und Säugetieren - Launenhafte Viren: Antigen-Drift und Antigen-Shift - Die Grippeschutz-Impfung- Literatur, Quellen und Links
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