Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2339
Gießen (Landkreis Gießen, Regierungsbezirk Gießen)

Das Gießener Zeughaus

Rechtwinklig zum Neuen Schloß steht eines der größten historischen Gebäude Gießens, das Zeughaus, die ehemalige landgräfliche Rüstkammer (Senckenbergstraße 3). Der monumentale, dreigeschossige Renaissancebau bildete früher zusammen mit dem Neuen Schloß, dem nicht mehr erhaltenen Marstall und dem ebenfalls verschwundenen Rentamt einen Hof, der um sich herum das landesherrliche Macht- und Administrationszentrum vereinigte, als städtebauliches Pendant zum Kirchenplatz und wie dieser ein für die Stadtgeschichte wichtiges Zentrum. Hier war nach dem verheerenden Stadtbrand von 1560 eine große Freifläche entstanden, auf der sich die landesherrlichen Bauten ausdehnen konnten. Die Dimensionen sind mit 85 m Länge und 22 m Breite gewaltig. Die riesige und vor allem lange Fassade aus Naturstein wird akzentuiert durch einen hohen, vorspringenden Renaissancegiebel über dem Haupteingang und mehrere Zwerchgiebel an den Längsseiten, alle mit zeittypischen Schnecken-, Kreissegment- und Kugelverzierungen. Das Zeughaus wurde 1586-90 nach Plänen von Kurdt Rode von Baumeister Eberhardt Baldewein erbaut. Seiner militärischen Bestimmung entsprechend wurde der Monumentalbau nicht nur als Arsenal, sondern später auch als Kaserne verwendet.

In der Fassadenmitte springt ein Vorbau mittelrisalitartig nach vorne. Er enthält unter der hohen, insgesamt 7 Stockwerke umfassenden Giebelfassade ein Renaissance-Schmuckportal mit zwei ungleich breiten Bogendurchgängen und mit Pilastergliederung und antikisierendem Gebälk. Über demselben befindet sich das von einem Dreiecksgiebel überhöhte Allianzwappen von Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg und seiner Frau Hedwig von Württemberg. Links neben dem Mittelgiebel befindet sich ein eingeschossiger Anbau, das ist der 1609 von Michael Kersten erbaute Universitätskarzer. Er entspricht zwar prinzipiell nicht der Symmetrie der Anlage, ist andererseits aber baulich so unbedeutend gegen die riesige Baumasse dahinter, daß er kaum stört.

Heraldisch rechts befindet sich das aus einem unpassenden Stein ergänzte und stark durch Verwitterung zerstörte Wappen für Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg (27.5.1537-9.10.1604), gen. der Ältere, 1567 zu Marburg. Er war der Sohn von Landgraf Philipp I. von Hessen (13.11.1504-31.3.1567), gen. der Großmütige und Erbauer des Neuen Schlosses Gießen, und dessen erster Frau Christina von Sachsen (25.12.1505-15.4.1549). Nach des Vaters Tod teilten die vier Söhne die Erbschaft territorial unter sich auf, und Ludwig bekam als sein Viertel Hessen-Marburg, also Oberhessen mit Marburg und der Festung Gießen. Er war zwar der Gründer der Linie Hessen-Marburg, aber der einzige Landgraf dieser Linie mangels überlebender Stammhalter. Hessen-Marburg wurde zwischen seinen Neffen, Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (und Sohn seines Bruders Wilhelm) sowie Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt (und Sohn seines Bruders Georg) aufgeteilt. Der vierte Bruder, Philipp, war bereits verstorben, und aus seinem Erbe hatte Ludwig zuvor die Ämter Lißberg, Ulrichstein und Itter erhalten.

Der Schild enthält eine Kombination, die 1479-1642/1659 geführt wurde, und ist geviert mit Herzschild: Feld 1: in Gold ein roter Löwe, blau bewehrt und blau gekrönt, Grafschaft Katzenelnbogen, Feld 2: schwarz-golden geteilt, oben ein silberner sechsstrahliger Stern, Grafschaft Ziegenhain, Feld 3: schwarz-golden geteilt, oben zwei achtstrahlige silberne Sterne, Grafschaft Nidda, Feld 4: in Rot zwei goldene, blau bewehrte, schreitende, hersehende Löwen, Grafschaft Diez, Herzschild: in Blau ein silbern-rot mehrfach geteilter Löwe, golden gekrönt und golden bewehrt, Landgrafschaft Hessen (Stammwappen).

Dazu werden drei Helme geführt: Helm 1 (Mitte): auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken zwei Büffelhörner, außen besteckt mit je 7 Lindenzweigen (auch als Kleestengel bezeichnet, fehlen hier), Landgrafschaft Hessen, Helm 2 (rechts): auf dem gekrönten Helm mit rot-goldenen Decken ein schwarzer Flug, beiderseits belegt mit einer wie der Schild tingierten Scheibe, Grafschaft Katzenelnbogen, Helm 3 (links): auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken ein wachsender, schwarz-golden geteilter Ziegenbock mit zwei schwarz-golden geteilten und oben mit je einem silbernen sechsstrahligen Stern belegten Flügeln, Grafschaft Ziegenhain.

Heraldisch links befindet sich das Wappen für Hedwig von Württemberg (15.1.1547-4.3.1590), Tochter von Herzog Christoph von Württemberg (12.5.1515-28.12.1568) und Markgräfin Anna Maria von Brandenburg-Ansbach (28.12.1526-20.5.1589). Sie war die erste Frau des Landgrafen; nach ihr verband er sich mit Maria von Mansfeld-Hinterort (1567-) in zweiter Ehe.

Der Schild enthält eine Kombination, welche 1495-1707 in dieser Form geführt wurde, und ist geviert, Feld 1: in Gold drei schwarze Hirschstangen übereinander, Herzogtum Württemberg, Feld 2: schwarz-golden schräggeweckt (schräggerautet), Herzogtum Teck, Feld 3: in Blau eine goldene Fahne mit Schwenkeln, belegt mit einem schwarzen Adler, Reichssturmfahne, Feld 4: in Rot zwei aufrechte, abgekehrte goldene Barben (Fische), Grafschaft Mömpelgard. Mit nur zwei Helmen wurde das Wappen im Zeitraum 1495-1593 geführt: Helm 1 (rechts, hier zerstört): auf dem Helm mit rot-goldenen Decken ein rotes Jagdhorn (Hifthorn) mit goldenem Band und goldenen Beschlägen, mit drei Straußenfedern (blau-silbern-rot) im Mundloch, Herzogtum Württemberg, Helm 2 (links): auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken ein schwarz-golden schräggeweckter Brackenkopf mit rot ausgeschlagener Zunge, Herzogtum Teck.

Die Senckenbergstraße wurde erst um 1900 nach Schleifung der alten Befestigungen angelegt. Wo früher die Zeughausbastion war, erstreckt sich heute der Botanische Garten. Als das alte Gießen 1944 durch Bomben fast vollständig zerstört wurde, brannte auch das Zeughaus komplett aus. Auch die umliegende Bebauung wurde bis auf das Neue Schloß zerstört, so daß das ursprüngliche Ensemble des Herrschaftszentrums im Erscheinungsbild der Stadt so gut wie nicht mehr nachzuvollziehen ist. Das Land Hessen ließ die Ruine 1960/61 unter Wahrung der alten Abmessungen und Rekonstruktion der Fassadengestaltung wieder aufbauen, baute aber Mauerlöcher anstelle der ehemaligen Steinsprossenfenster ein, was das Erscheinungsbild nachteilig beeinflußte. Im Innern gab man sich gar nicht erst die Mühe, das Original nachzubilden, sondern baute komplett modern. Heute wird das Zeughaus von der Universität verwendet, die 1957 wieder zum Leben erweckt worden war. Mehrere Institute aus verschiedenen Fachbereichen nutzen hier die reichlich vorhandenen Räumlichkeiten, darunter das Institut für Ernährungswissenschaften, das Institut für Agrarpolitik und Marktforschung, das Institut für allgemeine Botanik und Pflanzenphysiologie, das Institut für Agrarsoziologie und Beratungswesen, das Institut für Betriebslehre der Agrar- und Ernährungswirtschaft, das Institut für ländliches Genossenschaftswesen, das Institut für Landtechnik und das Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung. Dazu hat im Erdgeschoß die Zweigbibliothek im Zeughaus mit den passenden Schwerpunkten ihren Sitz; der große Hörsaal wird vom Institut für Geographie genutzt.

Literatur, Links und Quellen:
Siebmachers Wappenbücher, insbesondere die Bände Grafen und Hoher Adel (Fürsten)
Genealogien: Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9
Informationstafel am Zeughaus
Gesamtanlage aus Schloß und Zeughaus:
http://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/60508/
Zeughaus:
http://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/60513/
Zeughaus:
https://www.uni-giessen.de/fbz/fb07/fachgebiete/geographie/institut/gebaeude/zeughaus
Zeughaus:
http://www.staff.uni-giessen.de/~gn1189/Wegweiser_Zeughaus
https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_IV._(Hessen-Marburg)
Manfred Rudersdorf: Ludwig IV. der Ältere, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 15, Duncker & Humblot, Berlin 1987, ISBN 3-428-00196-6, S. 389-391,
http://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016333/images/index.html?seite=403 - https://www.deutsche-biographie.de/gnd119021854.html#ndbcontent
Landgraf Ludwig IV. von Hessen-Marburg: Hessische Biographie:
http://www.lagis-hessen.de/pnd/119021854

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