Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2213
Landeshauptstadt Mainz

Der Standerker des Bickenbaus in Mainz

Das Ensemble an der Petersstraße, Mitternacht und Reichklarastraße beherbergt heute das Naturhistorische Museum und die Anne-Frank-Schule. Die gestaffelte Baugruppe durchdringt sich gegenseitig. Der Altbau des Museums ist die ehemalige Reichklarakirche, der neue Museumstrakt rechts daneben ist dem Schulgebäude vorgebaut. Die Schule entstand 1907 im Stil der Neorenaissance, den man für eine Mädchenschule mit angeschlossenem Lehrerinnenseminar als angemessen erachtete, und berücksichtigte im Stil der Zeit die architektonischen Vorgaben der historischen Substanz. Man verwendete dazu, aus heutiger Sicht denkmalpflegerisch nicht korrekt, auch Spolien. So sind z. B. im Hof hinter der Reichklarakirche zwei wundervolle, überreich verzierte Renaissance-Säulen vom abgebrochenen Alten Stadioner Hof aus dem 16. Jh. zu sehen. Weitere einzelne alte Teile sind in den heutigen Neubau integriert, so ein altes Fenster an der Mitternacht.

 

Der Bickenbau war ein Adelshof, der ehemals an der Flachsmarkstraße 1 stand. Als das Geschlecht mit Friedrich Wilhelm von Bicken, Domherr in Mainz und Trier und kaiserlicher Reichshofrat sowie Statthalter von Erfurt, 1732 erlosch, wechselte der Besitz. Der Bickenbau kam Anfang des 18. Jh. an die Grafen von Stadion, die an der Stadionerhofstraße den Alten Stadioner Hof errichteten. Nach 1816 wurde der Alte Stadioner Hof als Kaserne genutzt; der Bickenbau als österreichische Hauptwache. Beide Häuser wurden 1903 abgerissen. Den von diesem Bickenbau stammenden, zweigeschossigen Standerker aus rotem Sandstein im Stil der Frührenaissance verwendete man nun für den Neubau der Schule und des Museums, wo er fortan die zweistöckige Direktorenwohnung schmückte. Die authentische Jahreszahl 1574 verlieh nun dem Neubau einen Anstrich falscher Anciennität.

Nach der Kriegszerstörung wurde die Schule vereinfacht wieder aufgebaut. Die Fassade des Museums zur Reichklarastraße hin wurde völlig modern gestaltet, aber der Erker wurde weiterhin erhalten, nun sozusagen in Drittverwendung an seiner heutigen Stelle. Das Wappenrelief ist authentisch, aber der Erker insgesamt wurde beim Wiederaufbau in seiner Tiefe reduziert (er war ursprünglich zwei Fenster tief), außerdem wurden die dreiteiligen Fenster, die oben von bogenfriesartigen Blenden abgeschlossen werden und in denen noch ein Nachhall gotischer Formen zu spüren ist, rekonstruiert. Die Schmuckelemente an den Rahmungen und Brüstungen sprechen im Gegensatz zu den Fenstern schon die Formensprache der Renaissance.

Die stark restaurierte Inschrift unter den beiden Wappen lautet: "WER GOTT GLAVBT VND VERTRAVT HAT WOLL GEBAVT 1574". Über dieser Inschrift befindet sich das Allianzwappen der Ersterbauer. Der Erker befand sich an der Hoffassade des Bickenbaus, an der linken Fassadenseite, während an der rechten Seite der polygonale Treppenturm war. Alte Photos vom Originalstandort zeigen, daß der Erker am Bickenbau durch den Einbau zweier doppelt so breiter Fenster im Obergeschoß und eines einzigen Fensters im Erdgeschoß beim Umbau zur Kaserne nachträglich entstellt worden war. Da die Blenden noch vorhanden waren, besaß man aber bei der Rekonstruktion die Eckpunkte der früheren Gliederung.

Das heraldisch rechte Wappen gehört zu Philipp von Bicken aus der Hainichen-Linie (sog. schwarzer Stamm), und er war der Sohn von Philipp von Bicken und Regine von Mudersbach. Philipp von Bicken war Mainzer Rat, kurmainzischer Oberhofmarschall und Amtmann zu Steinheim. Das Wappen zeigt in Schwarz zwei silberne Balken, auf dem Helm mit schwarz-silbernen Decken (hier falsch angestrichen) zwei schwarze, mit zwei silbernen Balken belegte Büffelhörner. Das heraldisch linke Wappen gehört zu seiner Frau Anna Brendel von Homburg, Tochter von Friedrich Brendel von Homburg, Vizedom zu Aschaffenburg, und dessen Frau Margaretha Riedesel von Bellersheim. Ihr Wappen zeigt in Gold einen roten Zickzackbalken, auf dem Helm mit rot-goldenen Decken (hier falsch angestrichen) ein wie der Schild bezeichneter Flug. Der eine Sohn dieses Paares war der Mainzer Fürsterzbischof Johann Adam von Bicken (27.5.1561-10.1.1604). Ihr anderer Sohn Jobst von Bicken wurde wie sein Vater Mainzer Rat und Oberamtmann zu Steinheim. Er heiratete 1589 Anna Kämmerer von Worms gen. Dalberg und 1619 in zweiter Ehe Anna Elisabeth von Eltz. Übrigens gibt es noch eine weitere Verwandtschaft zu einem Mainzer Fürstbischof, denn Annas Bruder war Daniel Brendel von Homburg.

Literatur, Quellen und Links:
Werner Schäfke: Der Rhein von Mainz bis Köln, eine Reise durch das romantische Rheintal, DuMont Kunstreiseführer, DuMont Verlag, Köln 2006, ISBN 978-3-7701-4799-1
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Stadt Mainz, Band 2.2: Altstadt, bearb. von Ewald Wegner, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz 1988, Wernersche Verlagsgesellschaft Worms, 3. Auflage 1997, ISBN 3-88462-139-4, S. 284-287
Hinweistafel am Objekt
Stammliste der Herren von Bicken:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stammliste_der_Herren_von_Bicken
Herren von Bicken:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bicken_(Adelsgeschlecht)
Genealogie Brendel von Homburg: Biedermann, Geschlechts-Register Der Reichs Frey unmittelbaren Ritterschafft Landes zu Francken Löblichen Orts Ottenwald (Odenwald)
http://books.google.de/books?id=g9JDAAAAcAAJ und https://books.google.de/books?id=pNJDAAAAcAAJ Tafel 358
Genealogie:
http://geneall.net/de/name/1884425/friedrich-brendel-von-homburg/ - http://geneall.net/de/name/1890791/philipp-von-bicken/
Genealogie: Johann Octavian Salver: Proben des hohen Teutschen Reichs Adels oder Sammlungen alter Denkmäler, S. 487
https://books.google.de/books?id=t9HmNH85BwIC

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