Bernhard
Peter
Galerie:
Photos schöner alter Wappen Nr. 813
Marburg -
Hessen und Deutscher Orden
Marburg, Deutschordenskommende (1)
Marburg
- Landkommende der Ballei Hessen
Der Deutsche Orden besaß in
Marburg eine wichtige Niederlassung, eine Landkommende. Sie war
ein repräsentativer Verwaltungssitz zu Füßen von Stadt und
Burg in Marburg, vor allem war mit ihr die bedeutende
Elisabethkirche assoziiert.
Was ist eine Landkommende? Beginnen wir kurz mit der Struktur des Deutschen Ordens: Eine Ballei ist eine Verwaltungseinheit des Deutschen Ritterordens, eine Ordensprovinz (wie es auch bei anderen Orden heißt). Die Balleien unterstanden in Deutschland dem Deutschmeister, dieser wiederum dem Hochmeister des Deutschen Ordens (erst in der Marienburg, später in Bad Mergentheim, Details in den Kapiteln über Bad Mergentheim). Nur einige Balleien (Österreich, Elsaß-Schwaben-Burgund und Böhmen) unterstanden im Laufe der Geschichte des Deutschen Ordens zeitweise direkt dem Hochmeister, dann nannte man sie Kammer-Ballei. Eine Ballei umfaßt mehrere Kommenden. Eine Kommende ist eine einzelne Ordens-Niederlassung, geführt von einem Komtur. Eine Ballei wird von einem Landkomtur geführt, der die Geschäfte in der Landkommende führt. Das Wort Ballei (auch Bolley) leitet sich von ballivus = Aufseher ab.
In Deutschland gab es folgende Balleien: Thüringen (Sitz in Zwätzen), Hessen (1255 aus der Ballei Thüringen ausgegliedert, Sitz in Marburg), Sachsen (1287 aus der Ballei Thüringen ausgegliedert, Sitz in Lucklum bei Braunschweig), Brandenburg, Westfalen (Sitz in Mülheim), Franken (seit 1216, Sitz der Landkomturei in Ellingen bis 1786), Kammerballei Koblenz (daher der Name "Deutsches Eck", denn genau dort befand sich das Deutschherrenhaus), Elsaß-Schwaben-Burgund (vor 1231, Sitz in Rufach), Lothringen (Sitz in Trier) etc. Daneben gab es auch im Ausland Balleien, z. B. die wichtige Ballei Alden-Biesen in Belgien, wo heute noch ein wunderschönes Deutschordens-Wasserschloß aus Backstein zu bewundern ist, oder die unbedeutende Ballei Apulien mit Sitz in San Leonardo, weitere Balleien sind Armenien, Lamparten, An der Etsch und im Gebirge, Österreich, Romanien, Sizilien, Utrecht etc.
Die Ballei Hessen umfaßte neben der Landkommende Marburg als Hauptsitz der Ordenskanzlei die untergeordneten Kommenden in Ober-Flörsheim (bei Wiesbaden, seit 1700 Damian Hugo von Schönborn unterstellt, ihm damals als Ersatz für Auslagen anläßlich einer nie durchgeführten Reise nach Italien im Auftrag des Ordens gegeben), Griefstedt (bei Sömmerda, einzige Kommende mit eigenem Komtur) und Schiffenberg (bei Gießen, auch von Damian Hugo von Schönborn verwaltet). Der Landkommende in Marburg wiederum unterstanden Kastnereien in Fritzlar, Wetzlar, Friedberg, Alsfeld und Felsberg als lokale Verwaltungsstellen. Das heißt, daß Damian Hugo von Schönborn zwei Kommenden, eine Landkommende und die Belange der ganzen Ballei Hessen regeln und verwalten mußte.
Abb.: Blick auf die Marburger Deutschordens-Niederlassung neben der Elisabethkirche.
Damian
Hugo von Schönborn: Wie wird man zweifacher Landkomtur?
Der ausführliche Lebenslauf
dieses am 9.9.1676 in Mainz geborenen Ausnahme-Kirchenfürsten
ist in den Kapiteln zum Bruchsaler Schloß zu finden. Hier
interessiert nur: Wie konnte er zweimaliger Landkomtur werden?
Die Weichen wurden früh gestellt, und eine günstige
Konstellation führte dazu, daß die Interessen der Familie
Schönborn und die des amtierenden Deutschordenshochmeisters sich
hervorragend ergänzten. 1691 wird mit dem damaligen Hochmeister
Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg der Eintritt in den Deutschen
Orden vereinbart. So früh (15 Jahre alt) wurde die Karriere des
Jungen schon verplant. Eigentlich sollte der Junge in den
Johanniterorden eintreten, doch hier bot sich auf einmal etwas
viel Besseres. Die Gründe werden nie genannt, doch es liegt auf
der Hand: Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg wurde am 19.4.1691 zum
Koadjutor (und damit designierten Nachfolger) des
Fürsterzbischofs und Kurfürsten von Mainz gewählt, ein
wichtiger Schritt für seine Karriere. Ludwig Anton von
Pfalz-Neuburg war 1684-1694 Hochmeister, ab 1689 Propst von
Ellwangen und von 1691 bis zu seinem Tode im Jahr 1694 auch
Fürstbischof von Worms. Lothar Franz von Schönborn war seit
1683 Mainzer Domkapitular - stimmberechtigt bei der Wahl des
neuen Koadjutors. Was für ein Zufall, sich der gegenseitigen
Dankbarkeit zu versichern! Der Deal war also, Stimme bei der Wahl
gegen Karriereaussichten für den Neffen. Doch für Ludwig Anton
von Pfalz-Neuburg hatte es nicht mehr gereicht, er trat die
Nachfolge in Mainz nie an, denn Anselm Franz von Ingelheim lebte
bis 1695. Und danach wurde nicht ein Wittelsbacher Nachfolger,
sondern - ein Schönborn. Ludwig Anton von Pfalz-Neuburg sprach
auch die nötige Empfehlung für das Collegium Germanicum in Rom
aus, in das Damian Hugo von Schönborn am 31.10.1693 eintrat. Die
Schule war sorgfältig und karrierebewußt von den Eltern
ausgesucht worden: Der Besuch dieses Collegiums galt als wichtige
Stufe auf dem Weg zu einer Karriere in der Reichskirche. Der
Besuch war ein besonderes und begehrtes Privileg, denn das
Studium war kostenlos, das Ansehen hoch, und die Karrierechancen
für Absolventen waren aussichtsreich. Ein Beweis für die
geistliche Laufbahn war es noch nicht, noch waren alle
Karrierewege offen. Zwar bereitet dieses Collegium in der Regel
auf die Priesterweihe vor, doch war dies für adelige Besucher
nicht zwingend vorgesehen. Weder Damian Hugo noch sein Bruder
Rudolf Franz Erwein schlossen das Studium mit der Priesterweihe
ab. 1699 erfolgte der Eintritt in den deutschen Orden in
Alden-Biesen. Wir erinnern uns an den "Deal" zwischen
dem Hause Schönborn und dem Hause Wittelsbach, zwischen dem
Vater des Damian Hugo, Melchior Friedrich, und Hochmeister Ludwig
Anton von Pfalz-Neuburg. Jener war inzwischen gestorben, doch
jetzt war Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg Hochmeister, der Bruder
des vorherigen Hochmeisters. Natürlich fühlt man sich moralisch
verpflichtet, die gegebenen Zusagen seines verstorbenen Bruders
einzuhalten, und so sorgte er für die zügige Aufnahme des
protegierten Damian Hugo in den Deutschen Orden. Doch betrachten
wir das mal genauer: Mittlerweile saß der Onkel des derart
Protegierten, Lothar Franz von Schönborn, auf dem Mainzer Thron.
Und wie auch der Bruder vor ihm, so fand auch der neue
Hochmeister diesen Posten sehr interessant für sich selbst. Was
lag also näher als gute Beziehungen zum Hause Schönborn zu
pflegen und ihm ein paar kleine Gefälligkeiten zu erweisen? Für
ihn erwies sich das diesmal als erfolgreich, denn wer war der
Nachfolger von Lothar Franz von Schönborn auf dem Mainzer Thron
1729? Richtig - Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. Seit 1700 war
Damian Hugo 1700 Komtur der Kommende Holt (lediglich eine
Titularkommende) und der Kommende Flörsheim. Doch die nächste
Karrieresprosse wurde schon bald darauf erklommen, denn die
Ballei Hessen wurde "frei". Die Schönborns nutzten
geschickt aus, daß die Würde des Landkomturs in der Ballei
Hessen alternierend an Mitglieder lutherischen, reformierten und
katholischen Bekenntnisses vergeben wurde. Der amtierende
Landkomtur der Ballei Hessen war reformiert, und der einzige
katholische Ritter gerade verstorben. Welch Gelegenheit! Man
sorgte rasch für "Versetzung" von Alden-Biesen nach
Marburg. Und die Rechnung ging auf: 1701 verstarb der bisherige
Landkomtur, und Damian Hugo rückte auf. Erst 1701 als
Statthalter, denn dem Senkrechtstarter fehlten noch ein paar
Voraussetzungen, z. B. die drei geforderten Feldzüge gegen die
Türken oder Frankreich. Aber das hatte eigentlich nur
retardierende Wirkung und war kein wirkliches Hindernis, vor
allem bei der mächtigen Protektion, u. a. durch den Taufpaten
Johann Hugo von Orsbeck, Fürstbischof von Trier, des weiteren
durch Forstmeister von Gelnhausen, ein "Hohes Tier" im
Deutschen Orden. Also wurde er am 9.1.1703 Landkomtur der Ballei
Hessen. Am 20.9.1709 wurde er nach umfangreichen und
hochkomplexen Verwicklungen Statthalter des Deutschen Ordens in
Alden-Biesen und rückte am 5.2.1711 auch dort zum Landkomtur der
Ballei Alden-Biesen auf. Hintergrund war, daß der Hochmeister
Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg gerne Koadjutor in Mainz werden
wollte, und bei Lothar Franz von Schönborn, dem derzeitigen
Kurfürsten in Mainz, einen "Stein im Brett" haben
wollte, was sich in der Tat auch auszahlte. Deshalb wurde Damian
Hugo entgegen der durchaus existierenden Widerstände als
Landkomtur von Alden-Biesen eingesetzt. Franz Ludwig wurde am
5.11.1710 Koadjutor, Damian Hugo drei Monate später zum zweiten
Mal Landkomtur.
Abb.: Schönborn-Wappen über dem barocken Hauptportal. Heute befindet sich dahinter der Fachbereich Geographie der Universität Marburg.
Der
abwesende Landkomtur
Gewaltige Aufgaben warteten
auf den neuen Landkomtur. Der Deutsche Orden hatte
wirtschaftliche und politische Schwierigkeiten. Kriege,
Mißwirtschaft, Identitätskrisen, Verlust der ursprünglichen
Zielsetzung, Druck der wachsenden Macht der Territorialstaaten -
all das setzte dem Deutschen Orden im frühen 18. Jh. zu,
eigentlich in allen Balleien, aber in besonderem Maße traf das
auf die Ballei Hessen zu. Nötig war ein fähiges
Organisationstalent, das vor Ort die Ballei sanierte. Damian Hugo
hatte die besten Voraussetzungen dafür, mit starker Hand
einzugreifen und das Ruder herumzureißen, denn er war ein guter
Wirtschafter und fähiger Organisator, wenn er wollte. Doch - er
residierte noch nicht einmal in Marburg, sondern in Mainz, wo er
die Protektion seines Onkels Lothar Franz von Schönborn genoß,
oder er war in diplomatischer Mission unterwegs, regelte die
Geschicke Norddeutschlands oder bastelte an seiner eigenen
Karriere. Wir sehen hier an prominenter Stelle zwar sein Wappen,
doch den Wappenbesitzer selbst sah man hier eher selten. In
Marburg ließ er sich seit ca. 1703 von dem sehr tüchtigen
Philipp Friedrich Rau von Holtzhausen vertreten, wofür dieser
drei Jahre später mit der Aufnahme in den Orden belohnt wurde,
noch im gleichen Jahre, 1706 Hauskomtur wurde und 1711 die
Kommende Flörsheim bekam, die einst Damian Hugo von Schönborn
selbst besaß. Schönborn überließ die örtlichen Belange Rau
von Holtzhausen und regierte per Briefwechsel. Erst 1716, als er
sein diplomatisches Engagement aufgab, konnte er sich mehr um
seine Ballei kümmern. Aber auch dann wohnte er nicht in Marburg,
sondern in Aschaffenburg, wo er ein Anwesen gekauft hatte. Und
als Damian Hugo 1719 zum Bischof von Speyer erwählt wurde,
strebte sein Interesse für die Ballei einem Minimum entgegen.
Rau von Holtzhausen sollte übrigens später - ohne Erlaubnis -
aus dem Orden austreten und heiraten, was nach den Ordensstatuten
einer Desertation gleich kam.
Plus-Bilanz
unter Damian Hugo von Schönborn: Sanierung der Kommenden und
Bautätigkeit
- Die relativ arme Kommende
Schiffenberg wurde wiederaufgebaut, der bisherige Verwalter von
Wartensleben wurde durch Ernst Wenzeslaus Graf von Dönhoff
ersetzt.
- Die Kommende Ober-Flörsheim wurde 1714 visitiert, der
unfähige bisherige Verwalter wurde abgesetzt und verhaftet. Die
Konflikte mit der Territorialmacht Kurpfalz konnten geregelt
werden.
- Die Kommende Griefstedt war eigentlich finanziell einträglich,
doch auch hier taten sich Abgründe auf, denn der Komtur Johann
Adolf Marschall von Biberstein hatte die Einkünfte der Kommende
als Sicherheit für private Schulden verwendet - eine
Veruntreuung höchsten Ausmaßes, die beinahe die Liquidierung
der Kommende durch die Gläubiger herbeigeführt hätte und den
Deutschen Orden in höchst delikate Verwicklungen mit Kursachsen
brachte. Größerer Schaden konnte erfolgreich abgewandt werden.
Karl von Stein wurde neuer Komtur, und er machte seine Sache gut.
- In der Tat war die Situation in den Kommenden teilweise so
desolat, daß es schon als Erfolg verbucht werden mußte, daß es
nicht noch schlimmer kam und die Ballei nicht vollends im Chaos
unterging.
- Rege Bautätigkeit in der ganzen Ballei, Renovierung bzw.
Neubau vieler Niederlassungen. Die Kastnerei in Fritzlar wurde z.
B. visitiert, saniert, die Kastnerei wurde neugebaut. In
Friedberg, wichtig durch seine Lage innerhalb der Reichsburg,
wurde ebenfalls ein neues Deutschordenshaus erbaut (siehe dort).
- großen Nutzen hat Damian Hugo seinem Orden als Diplomat
geleistet.
Minus-Bilanz
unter Damian Hugo von Schönborn: Ballei nicht im Griff
- Wirtschaftliches Desaster:
Alle Kommenden blieben arm, die Einnahmen konnten nicht erhöht
werden. Die Kommende Ober-Flörsheim kam an den Rand des Ruins
durch Kriegskontributionszahlungen. Die Ballei Hessen war im
Rückstand mit Beitragszahlungen an Mergentheim.
- Personelles Desaster: Das Verhältnis zwischen Landkomtur und
Komturen und zwischen den Komturen untereinander war und blieb
schlecht. Das Verhältnis zwischen Landkomtur und Ritters war
schlecht. Die Ritter der Ballei Hessen waren hauptsächlich hohe
Offiziere, vordergründig ihren unterschiedlichen Lehnsherren
verpflichtet und nur selten anwesend. Konfessionelle Unterschiede
spielten ebenfalls eine Rolle, obwohl eigentlich der Deutsche
Orden immer konfessionell offen war - aber hier ging es auch um
Politik. Die Betrachtung der Ordensämter als Pfründe durch die
Ritter und nicht als Aufgabe scheint in Hessen besonders
ausgeprägt gewesen zu sein und barg erheblichen
Konfliktpotential im Verhältnis zum Landkomtur.
- Fehler und Schuldenwirtschaft einzelner Deutschordensritter
gefährdeten die Integrität der Ballei
- Strukturelle Mängel in der Verwaltung vor Ort
- Durch die ständige Abwesenheit des Landkomturs 1701-1716
blieben viele Aufgaben unerledigt oder Flickwerk. Stetige
Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Landkomtur und
Hochmeister bzw. der Zentralverwaltung des Deutschen Ordens in
Mergentheim. Damian Hugo gerät zunehmend in die Rolle, sich für
die Mißstände in Hessen verteidigen zu müssen.
- Die Regierung in Mergentheim forderte schon lange eine
Generalvisitation und ein Provinzkapitel, nichts davon wurde
durchgeführt, sondern verschleppt. Erst 1722 kam es in Bruchsal
zum Provinzkapitel, auf dem schon die nachlässige Amtsführung
thematisiert wurde, und auf dem der Eindruck erhärtet wurde,
daß Damian Hugo seine Ballei nicht im Griff hatte.
- der permanente Konflikt mit den Landgrafen von Hessen
verhinderte ein Gesunden der Ordensprovinz. Auch wenn durchaus
von beiden Seiten Konfliktstoff in die Situation eingetragen
wurde, so daß man am Ende nicht mehr wußte, ob die Henne oder
das Ei zuerst da war, so haben auch beide Seiten nichts wirklich
Nachhaltiges getan, um die Probleme miteinander zu lösen, zum
Schaden der Ballei.
Abb.: Bronzemodell des Deutschordenshauses Marburg neben der Elisabethkirche
Saustall
oder Intrige?
Schließlich fand 1723 eine
Visitation durch Otto Friedrich Freiherr von Bülow, Landkomtur
von Sachsen, in der Ballei Hessen statt. Visitationen waren
durchaus nichts Ungewöhnliches, eher normal. Hier aber waren
schwere Vorwürfe vorausgegangen, so daß die Visitation zu einer
strengen Inspektion wurde. Ursächlich waren die ständige
Abwesenheit des Landkomturs, während der die Ballei verlotterte.
Der Gerechtigkeit wegen muß erwähnt werden, daß auch andere
Balleien verlotterten und das niemand in Mergentheim störte, der
Schönborn mit der steilen Karriere und den vielen Ämtern also
auch das Opfer von Neid und Mißgunst war. Im zeitüblichen
Vergleich war es vielleicht gar nicht so besonders. Wie auch
immer, Anlaß zu berechtigter Kritik hatte er reichlich gegeben,
was von seinen Feinden gerne benutzt wurde. Franz Ludwig von
Pfalz-Neuburg schrieb 1724 eigenhändig an Damian Hugo von
Schönborn, daß dieser entweder ab sofort in Marburg zu
residieren habe und sich persönlich um die Angelegenheiten
kümmern solle oder aber die Einsetzung eines Statthalters
akzeptieren solle - natürlich in geschraubten und höflichen
Formulierungen, aber de facto war es ein Ultimatum, seinen
Marburger Saustall in Ordnung zu bringen. Natürlich war Damian
Hugo ein Meister im "Niemand versteht mich, alle sind so
böse zu mir". Fakt aber ist: Man kann nicht zwei Balleien
(Alden-Biesen und Marburg) und ein Bistum gut und gleichzeitig
führen, solange man ein Mensch ist und der Tag nur 24 Stunden
hat. Da war der Hochmeister wohl im Recht. Weil Damian Hugo von
Schönborn auch jetzt immer noch nicht dazu zu bewegen war, in
Marburg zu residieren und sich persönlich um die Angelegenheiten
zu kümmern, akzeptierte er zwangsläufig die Einsetzung des
Statthalters. Das wurde Karl von Stein, Komtur der Kommende
Griefstedt, der schon einmal 1721 während einer Romreise seines
Chefs Statthalter in Marburg war. Und er hatte weitreichende
Vollmachten, was de facto einer teilweisen Amtsenthebung
Schönborns gleichkam. Stein wurde in Mergentheim sehr gelobt,
Schönborn nörgelte von Bruchsal aus über Bevormundung,
folglich war Stein wohl sehr tüchtig. 1731 wurde Karl von Stein
in Anerkennung seiner Verdienste um Hessen Landkomtur in der
Ballei Thüringen. Er starb 1734, es wurde kein neuer Statthalter
eingesetzt. Daß zwischen Mergentheim und Bruchsal Entspannung
herrschte, lag wohl am neuen Hochmeister, nicht aber an der
Amtsführung Schönborns, an der sich nicht viel änderte, der
zwar alle Schuld am verlotterten Zustand der Ballei auf Karl von
Stein schob, aber weiterhin so gut wie nichts tat, um die
Verhältnisse nachhaltig zu ordnen oder zu verbessern.
Das
Oberwappen
Zu diesem gräflichen Wappen
von Schönborn gehören fünf Helme, hier eine der seltenen
Darstellungen mit vollständigem Oberwappen:
Es bleibt anzumerken, daß die Verwendung einer Rangkrone auf dem Helm unter der Helmzier ein Regelverstoß ist. Zu Helm und Helmzier wird die Adels-, Helm- oder synonym Laubkrone getragen, keine Rangkrone. Eine Rangkrone ist auf dem Schild anstelle eines Helmes. Um die Verwirrung komplett zu machen, wird eine solche Rangkrone mit 9 Perlen zusätzlich über dem Schild unter den Helmen getragen. Die Helme sitzen also nicht dem Schildrand auf, sondern der Rangkrone, auch dies ein Verstoß gegen heraldische Gepflogenheiten früherer Zeiten, über den man sich im Barock wenig Gedanken machte. Dennoch achte man auf die Gestaltung der Perlen der Rangkrone mit gezackter Einfassung.
Rechts und links neben der Reihe der fünf Helme ist an einer goldenen Stange jeweils eine Standarte zu sehen, rechts golden mit dem schwarzen Reichsadler, links rot mit silbernem Balken (Österreich).
Als Schildhalter sind innerhalb der äußeren Kartusche zwei widersehende, gekrönte, goldene Löwen zu sehen. Die genannten Standarten werden in anderen Darstellungen von den Schildhaltern getragen.
Die
Inhalte des Wappenschildes
Der Wappenschild ist wie folgt
aufgebaut:
Deutschordenskommende
Marburg und die Landgrafen - ein gespanntes Verhältnis
Neben den vielen kleinen
Problemen des Alltags, die sich z. B. aus der Tatsache ergaben,
daß die Orte Seelheim und Goßfelden vom Deutschen Orden und von
den Landgrafen gemeinsam regiert wurden, o. ä., ging es im
Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und den Landgrafen von
Hessen-Kassel bzw. Hessen-Darmstadt um eine grundsätzliche
Frage: Wie sind die Deutschordensbesitzungen staatsrechtlich zu
sehen? Der Deutsche Orden hat früher seine Besitzungen
traditionell im Osten durch Kolonisierung geschaffen, hat quasi -
stark vereinfachend gesagt - in ein staatsrechtliches Nichts
hineinexpandiert. Die selbe Unabhängigkeit gedachte er auch in
seinen Besitzungen auf Reichsgebiet zu wahren. Und in dem Maße,
in dem sich die Landesherrschaften verfestigten, in dem große
Territorialherrschaften und souveräne Staaten sich bildeten und
gegeneinander abgrenzten, hingen die Besitzungen des Deutschen
Ordens staatsrechtlich in der Schwebe: Waren sie völlig
unabhängig und selbständig, sozusagen exterritorial zu nennen
oder waren sie Teil der Fürstentümer und Landgrafschaften, also
Landstände? Wie war ihr Status in einer sich politisch
verändernden Welt? Daß der Deutsche Orden zur ersten Ansicht
neigte, ist irgendwie klar, daß die Landgrafen von Hessen das
alles ganz anders sahen und die Deutschordensbesitzungen als
landsässigen Teil ihrer Landgrafschaft ansahen, ebenso. Ein
Kompromiß wurde per Vertrag gefunden, erst 1584 im Karlstädter
Vertrag, dann 1680/81 im Marburger Rezeß, der im wesentlichen
eine Bestätigung des Karlstädter Vertrages war. In vielen
Fragen war es ein Mittelweg: Der Landkomtur sollte auf den
Landtagen erscheinen, nicht aber zur Teilnahme an
Partikularlandtagen verpflichtet sein. Steuern gingen nicht
direkt an das Reich, sondern teils an die Landgrafen, teils an
die Zentrale in Mergentheim. Steuern zum Wohle des Landes waren
zu leisten. Die Frage, ob die Kommenden und ihr Besitz
Landstände waren, oder nicht, blieb jedoch im Vertrag
ungeklärt, und das grundlegende Problem blieb ungelöst, quasi
durch Kompromisse in der Schwebe gehalten. Unter Hugo Damian
spitzte sich das delikate Verhältnis ein wenig zu, ein paar
Beispiele:
Wie zwischen der Landkommende in Marburg und den Landgrafen von Hessen-Kassel, so war auch das Verhältnis zwischen der Kommende Schiffenberg und den Landgrafen von Hessen-Darmstadt von ähnlichen Fragestellungen und Problemen überschattet.
Wie auch immer, zu einem Streit gehören immer zwei, Hessen war eine aufstrebende Territorialmacht und betrieb eine aggressive Politik gegenüber dem Deutschen Orden, und Damian Hugo von Schönborn war in keinster Weise bemüht oder daran interessiert, Ansätze zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu finden, denn er verhandelte nicht über das, was er für richtig und für Recht hielt, und er war zwar ein begabter Wirtschafter und Organisator (wenn auch meist abwesend), aber kein Mann der Kompromisse. Dieser Streit jedenfalls beschädigte auf das Nachhaltigste Ordensinteressen und trug das Seinige zur nie erreichten Gesundung der Ballei unter Damian Hugo von Schönborn bei.
Zweimal versuchte der Deutsche Orden, an Damian Hugo von Schönborn vorbei die Probleme in den Griff zu bekommen, zum ersten Mal 1723 bei der Visitation der Ballei durch Otto Friedrich Freiherr von Bülow, Landkomtur von Sachsen, und zum zweiten Mal 1738/39 über den Kanzleidirektor der Ordensregierung in Mergentheim, von Stahl. Beidesmal ohne wirkliches Ergebnis, denn die prinzipielle Frage nach dem staatsrechtlichen Status der Kommenden blieb ungeklärt. Erst das Ende des Heiligen Römischen Reiches sollte diese Frage endgültig klären.
Literatur,
Quellen und Links:
Siebmachers Wappenbücher
(insbesondere Band Bistümer)
Stephan Mauelshagen, Ordensritter - Landesherr - Kirchenfürst:
Damian Hugo von Schönborn, Veröffentlichungen der Historischen
Kommission der Stadt Bruchsal, Band 18, Verlag Regionalkultur,
2001, ISBN 3-89735-173-0
Hans Leopold Zollner, Damian Hugo von Schönborn und seines
"Lebens Arbeit", Beiträge zur Landeskunde,
regelmäßige Beilage zum Staatsanzeiger für Baden-Württemberg,
Nr. 6, Dez. 1975
Hartmut Platte: Das Haus Schönborn, Grafen, Fürstbischöfe und
Mäzene, Börde-Verlag Werl, 2006, Reihe Deutsche Fürstenhäuser
Heft 13, ISBN 3-980 9107-3-3
Ausstellungskatalog "Die Grafen von Schönborn.
Kirchenfürsten, Sammler, Mäzene", Verlag des Germanischen
Nationalmuseums, Nürnberg 1989
Das Haus Schönborn: http://www.schoenborn.de/
Deutschordenshaus (1) - Deutschordenshaus (2)
Wappen des Deutschen Ordens - Hochmeister des Deutschen Ordens
Ortsregister Photos von Wappen - Namensregister
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