Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3124
Rauschenberg (Landkreis Marburg-Biedenkopf)

Das Rauschenberger Rathaus

Das Rathaus der Stadt Rauschenberg steht im Ortszentrum frei auf dem Marktplatz am Zusammentreffen von Schloßstraße, Marktstraße und der Straße Auf dem Römer. Das Renaissance-Bauwerk, ein dreistöckiger Fachwerkbau, besitzt einen steinernen Treppenturm mit Fachwerkobergeschoß an der nördlichen Westseite und einen Uhrturm als Dachaufsatz an der nördlichen Schmalseite. Beide Türme sind achteckig und tragen flache, verschieferte Hauben. Insgesamt sind an dem Gebäude drei heraldisch interessante Steine zu sehen: An der Außenwand des Turmes ist an der Nordseite ein landgräflicher Wappenstein eingelassen, ein zweiter Wappenstein ist darunter im Tympanonfeld des Treppenturmportals angebracht. Auf der Turmseitenfläche rechts neben dem Portal ist eine Bauinschrift mit mehreren Wappen der Ratsfamilien angebracht.

Wie Rauschenberg als Teil der Grafschaft Ziegenhain an Philipp I. Landgraf von Hessen (13.11.1504-31.3.1567), gen. der Großmütige, kam, ist im Kapitel zur evangelischen Stadtkirche erläutert worden. Am Rathaus ist eine Tafel mit dem landgräflichen Wappen eingelassen, dieses ist geviert mit Herzschild: Feld 1: Grafschaft Katzenelnbogen, in Gold ein roter Löwe, blau bewehrt und blau gekrönt, Feld 2: Grafschaft Ziegenhain, schwarz-golden geteilt, oben ein silberner sechsstrahliger Stern, Feld 3: Grafschaft Nidda, schwarz-golden geteilt, oben zwei achtstrahlige silberne Sterne, Feld 4: Grafschaft Diez (Dietz), in Rot zwei goldene, blau bewehrte schreitende Löwen, Herzschild: Landgrafschaft Hessen (Stammwappen), in Blau ein silbern-rot mehrfach geteilter aufrechter Löwe, golden gekrönt und golden bewehrt.

Dazu gehören folgende 3 Helme: Helm 1 (Mitte): auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken zwei Büffelhörner, außen besteckt mit je 7 Lindenzweigen (auch als Kleestengel bezeichnet), Landgrafschaft Hessen, Helm 2 (rechts): auf dem gekrönten Helm mit rot-goldenen Decken ein schwarzer Flug, beiderseits belegt mit einer wie der Schild tingierten Scheibe, Grafschaft Katzenelnbogen, Helm 3 (links): auf dem ungekrönten Helm mit schwarz-goldenen Decken ein wachsender, schwarz-golden geteilter Ziegenbock zwischen einem wie der Schild tingierten und mit je einem silbernen sechsstrahligen Stern belegten Flug, Grafschaft Ziegenhain.

Philipp I. Landgraf von Hessen war vermählt mit Christina von Sachsen (25.12.1505-15.4.1549) und hatte mit ihr vier überlebende Söhne. Nach Philipps Tod wurden die Gebiete unter diese aufgeteilt. Der Älteste, Landgraf Ludwig IV. (27.5.1537-9.10.1604), gründete die Linie Hessen-Marburg und heiratete erst Hedwig von Württemberg (15.1.1547-4.3.1590) und danach Maria von Mansfeld-Hinterort (1567-), da kinderlos, fiel Marburg 1604 an Hessen-Kassel. Landgraf Philipp II. (22.4.1541-1583) gründete die Linie Hessen-Rheinfels, Landgraf Georg I. (10.9.1547-1596) gründete die Linie Hessen-Darmstadt, und Landgraf Wilhelm IV. (24.6.1532-25.8.1592) gründete die Hessen-Kassel.

Rauschenberg gehörte nach der Teilung 1567-1604 zur Linie Hessen-Marburg, war 1604-1648 zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel umstritten, verblieb 1648-1807 bei Hessen-Kassel, war 1807-1813 Teil der kurzlebigen napoléonischen Kreation Königreich Westphalen, war 1815-1867 Teil des Kurfürstentums Hessen und wurde 1867-1944 Teil der königlich-preußischen Provinz Hessen-Nassau, dann folgte ein einjähriges Intermezzo als Teil der preußischen Provinz Kurhessen, ehe die Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand. Wie sehen hier im Jahre 1566 also den kurzen Moment zwischen der Inbesitznahme der Grafschaft Ziegenhain durch den Landgrafen von Hessen als Inhaber der ungeteilten Landgrafschaft nach dem Tod von Elisabeth von Waldeck im Jahre 1562 und der Teilung des hessischen Linien 1567, wodurch Rauschenberg ins Wechselspiel der Linien geriet.

Das Bogenfeld über dem Sandsteinportal an der nördlichen Turmfacette ist auf 1566 datiert. Innerhalb schönster, manieristischer Ornamentik sind zwei Wappen zusammengestellt. Auch wenn das auf den ersten Blick wie ein Ehewappen aussieht - das ist es nicht. Es ist auch nicht das Wappen der Grafen von Ziegenhain, denn erstens haben die niemanden mit dem anderen Wappen geheiratet, und zweitens waren sie im Jahr 1566 schon 116 Jahre ausgestorben. Vielmehr sind hier ein Stadtwappen und das eines wichtigen Amtsträgers in der Stadt kombiniert worden. Das heraldisch rechte Wappen steht für die Stadt Rauschenberg, schwarz-golden geteilt, oben ein silberner sechsstrahliger Stern, auf dem ungekrönten Helm mit schwarz-goldenen Decken ein wachsender, schwarz-golden geteilter Ziegenbock zwischen einem wie der Schild tingierten und mit je einem silbernen sechsstrahligen Stern belegten Flug. Die Stadt führt de facto das Wappen der Grafschaft Ziegenhain.

Das zweite Wappen auf der anderen Seite der vertikal trennenden Säule ist das gleiche wie an der Sonnenuhr der Stadtkirche, das der niederadeligen Familie von Weitershausen, die als Burgmannen in Rauschenberg eingesetzt waren. Es ist schwarz-silbern schräggeteilt mit einem dreimal nach der Figur silbern-schwarz geteilten Schrägbalken, auf dem Helm ein Paar wie der Schild bezeichneter Büffelhörner. Damit weicht das Wappen der Rauschenberger Linie von der üblichen Form der im 16. Jh. erloschenen Hauptlinie durch die viel engere Stellung der Schrägteilungen ab, wobei eine illegitime Geburt in der Rauschenberger Linie eine Rolle spielen könnte, die aber später "geheilt" wurde. Die Inschrift oben verweist auf Baltzer (Balthasar) von Weitershausen (ca. 1510-4.11.1584): "DER STAT WOLF / BALCZER W(EITERS) H(AVSEN) // 15/66". Balthasar von Weitershausen war der Sohn von Christian von Weitershausen zu Rauschenberg und Wambach, 1542 landgräflich hessischer Futtermarschall, Haushofmeister (Kammermeister) und Burgmann, mit einer nicht näher namentlich bekannten Frau. Balthasar war Mundschenk von Landgraf Philipp von Hessen und 1569 Rentmeister zu Rauschenberg. Er heiratete um 1533 Anna von Hebel und danach in zweiter Ehe Anna Grebe, Witwe des Lorentz Kirchhoff. Seine dritte und letzte Ehefrau war Elisabeth Zütze, Witwe von Johann Boltz(e) und Hermann Pincier. Sein Sohn Conrad (Curt) von Weitershausen wurde ebenfalls Burgmann und ab Anfang 1585 Rentmeister zu Rauschenberg in Nachfolge seines Vaters. Das Wappen in der hier gezeigten Form mit den engen Teilungen ist auch auf Epitaphien an der Kirchhofmauer zu sehen, aufgestellt an der Nordwand des Friedhofs in der Nähe der Friedhofskapelle an der ehemaligen Stadtmauer. Die Familie der von Weitershausen besteht noch heute. Dieses Portal mit dem Wappenrelief wird dem Bildhauer Philipp Soldan zugeschrieben.

Die lateinische Bauinschrift auf der danebenliegenden nordwestlichen Turmfacette datiert den Turm ebenfalls auf das Jahr 1566. Sie ist umgeben von mehreren Wappenschilden, vermutlich denen der ortsansässigen Ratsfamilien (ohne Zuordnung). Einige Namen sind am Rand der Sandsteintafel vermerkt, so z. B. Johann Möller beim redenden Wappen mit dem Mühleisen unten Mitte links, die Familie Finck unten links mit dem Vogel im Schild, typisch redende Wappen bürgerlicher Familien. Optisch oben links das Wappen mit dem Baumstumpf ist einer Familie Stocker zugeordnet, und auch das ist redend, denn einen Baumstumpf kann man als Wurzelstock bezeichnen. Somit ist die Anordnung am Turm streng hierarchisch aufgebaut: Über dem Sims als oberstes der Landesherr, im Bogenfeld darunter die Stadt und der Rentmeister, und seitlich unter "ferner liefen" die städtischen Familien.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@50.8833975,8.9145687,21z?entry=ttu - https://www.google.de/maps/@50.8833975,8.9145687,40m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Geschichte von Rauschenberg auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rauschenberg#Ortsgeschichte
Philipp Soldan auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Soldan
Familie von Weitershausen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weitershausen_(Adelsgeschlecht)
Ein herzliches Dankeschön an Frau Eva-Maria Klingelhöfer und an Herrn Helmut Klingelhöfer, beide aus Rauschenberg, für die Identifizierung des Wappens Weitershausen und den Hinweis auf die spannende Geschichte hinter diesem Wappen

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