Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3035
Geisenheim (Rheingau-Taunus-Kreis)

Der Zwierleinshof in Geisenheim (ehem. Stockheimer Hof)

Der Zwierleinshof liegt am nördlichen Ortsrand von Geisenheim an der Kreuzung von Behlstraße und Im Kosakenberg (Behlstraße 21). In seiner heutigen Form handelt es sich um einen 45 m breiten Mietshauskomplex mit einem etwas zurückgesetzten, 10 Achsen langen, zweigeschossigen Mittelflügel mit Mansarddach und übergiebelter Mitte und zwei H-förmig angesetzten, kurzen, aber dreistöckigen Seitenflügeln mit Walmdach, wobei der nordöstliche Seitenflügel anderthalb mal so breit ist wie der andere und an seiner Nordostseite ein weiteres Zwerchhaus besitzt. Erst bestand nur dieser Mittelbau, die beiden Seitentrakte wurden später ergänzt. Der heutige Zustand ist das Ergebnis vielfältiger Umbauten, doch die in den Bau aus der ersten Hälfte des 18. Jh. eingemauerten Wappensteine zeugen von der langen Geschichte dieses Anwesens. Früher war der Hof von weitläufigen Gartenanlagen und Rebflächen umgeben; eine zinnenbekrönte Mauer schloß alles ein.

Erbaut wurde das Gebäude als Adelshof der Familie von Stockheim, die auch das Schönborn-Schloß errichtete. Vermutlich war der Erbauer der Rheingauer Viztum Friedrich von Stockheim, der aber vorwiegend in Eltville lebte, wo auch seine Ehefrau Agnes von Koppenstein begraben ist. Von ihm ist urkundlich belegt, daß er ein Haus in Geisenheim gehabt hat, es wird vermutet, daß es sich dabei um diesen Hof, den späteren Zwierleinshof gehandelt hat. Diesen Namen trägt das Anwesen nach den späteren Besitzern, den Freiherren von Zwierlein.

Über dem bis auf ein Fenster vermauerten ehemaligen Rundbogentor rechts der Gebäudemitte, das noch vom Vorgängerbau stammt, ist ein auf 1549 datiertes Wappen der Herren von Stockheim angebracht, unter goldenem Schildhaupt in Schwarz ein goldenes Schräggitter. Die zugehörige, aber hier nicht dargestellte Helmzier sehen wir im Rheingauer Dom, das wären zu schwarz-goldenen Decken ein golden-schwarz im Zackenschnitt geteiltes Paar Büffelhörner.

Über dem in der Mittelachse befindlichen Hauptportal, einer qualitätvollen spätbarocken Holztür mit zwei geschnitzten Flügeln in Pilasterumrahmung mit Segmentbogensturz, ist das undatierte Wappen der von Zwierlein angebracht, die in Grün einen in zwei Reihen von Gold und Rot geschachten Schrägrechtsbalken führen. Nach Siebmacher Band: ThüA Seite: 112 Tafel: 88 wäre die zugehörige Helmzier zu rechts rot-goldenen und links grün-goldenen Decken ein grüner Flug, rechts mit einem golden-rot geschachten Schräglinksbalken belegt, links mit einem ebensolchen Schrägrechtsbalken. Die ursprünglich fränkische Familie erlangte am 24.2.1752 in Person des Johann Jacob Zwierlein (9.2.1699-21.6.1772), Prokurator am Reichskammergericht Wetzlar, den Adelsstand mit dem privilegium denominandi und der Lehenbesitzfähigkeit (österreichisches Staatsarchiv AT-OeStA/AVA Adel RAA 474.27). Das damals verliehene Wappen hatte gemäß den Akten in Grün einen schwarzen (!) Flug, ansonsten alles gleich. Am 27.9.1790 erlangte die Familie den Reichsfreiherrenstand.

Nach Geisenheim kam die Familie mit dem aus Wetzlar stammenden Christian Jacob Freiherr von Zwierlein (4.12.1737-10.8.1793), Geheimrat und Gesandter des Fürstbischofs von Lüttich, Jurist, Anwalt und Prokurator am Reichskammergericht zu Wetzlar. Er hatte Christine Friederike von Hopfer (4.10.1749-15.4.1823) geheiratet, und über seine Frau kam er in den Besitz des Stockheimer Hofes. Der Sohn aus dieser Ehe war Hans Carl Freiherr von Zwierlein (3.1.1768-9.6.1850), Jurist und Politiker, Abgeordneter der Landstände des Herzogtums Nassau, privat Gutsherr und Kunstsammler, insbesondere von Glasmalereien. Dieser leitete den Umbau der aus dem 18. Jh. stammenden Gebäude ein. Auf ihn folgte dessen Sohn aus erster Ehe, Hans Constantin Freiherr von Zwierlein (21.10.1802-1.4.1863), ebenfalls Jurist und Politiker und Abgeordneter der Landstände des Herzogtums Nassau. Die vierte in Geisenheim ansässige Generation bildete dessen Sohn Hans Freiherr von Zwierlein (16.4.1835-26.6.1886), Jurist, nassauischer Kammerherr, erbliches Mitglied der Ersten Kammer der nassauischen Stände, wie sein Großvater begeisterter Sammler von Kunst und Kuriositäten. 1878 verlor die Familie von Zwierlein ihr Interesse an den Besitzungen im Rheingau und bot den Hof 1878 zur Vermietung bzw. zum Verkauf an. Die Familie von Zwierlein erlosch im Mannesstamm mit dem Enkel des letztgenannten, mit Hans Freiherr von Zwierlein (9.12.1907-7.10.1972).

Das Anwesen hatte eine berühmte Bewohnerin, denn hier lebte von 1825 bis 1850 die rheinische Dichterin der ausgehenden Romantik Adelheid von Stolterfoth (11.9.1800-17.12.1875), Tochter von Gottfried von Stolterfoth und Caroline Schott von Schottenstein. Sie war die Nichte und seit 1844 die zweite Ehefrau von Hans Carl Freiherr von Zwierlein; in erster Ehe hatte dieser Maria Magdalena von Gülich (10.7.1772-5.1.1843) geheiratet. Bekannt wurde sie mit Werken der Rheinromantik.

In der Mitte des 20. Jh. war der Zwierleinshof völlig heruntergekommen und in zahlreiche Mietwohnungen aufgeteilt. Modernisierungen und Umbauten vernichteten das ursprüngliche Aussehen bis zur totalen Unkenntlichkeit. Die einst weitläufigen Gartenanlagen, zu denen früher vom rechten Seitenflügel aus eine elegante Freitreppe hinabführte, wurden verkauft, parzelliert und mit Neubauten überbaut. Nichts erinnert mehr an das einst prachtvolle Palais als die ungefähre äußere Form, bie spätbarocken Fenstergewände, die hölzerne Tür und die beiden Wappensteine.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@49.9861542,7.9663759,20z - https://www.google.de/maps/@49.9861635,7.9663237,56m/data=!3m1!1e3
Dagmar Söder: Rheingau-Taunus-Kreis I. Altkreis Rheingau (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland - Kulturdenkmäler in Hessen), hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Verlag wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014, 1115 S., ISBN-10: 3806229872, ISBN-13: 978-3806229875, S. 395 ff., insbesondere S. 420-421
von Zwierlein bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwierlein_(Adelsgeschlecht)
Adelheid von Stolterfoth in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Adelheid_von_Stolterfoth
österreichisches Staatsarchiv AT-OeStA/AVA Adel RAA 474.27
https://www.archivinformationssystem.at/detail.aspx?ID=2726164

der Kronberger Hof - der Eberbacher Hof - das Palais Ingelheim ("Schloß Kosakenberg") - das Schloß Schönborn (ehem. Stockheimer Hof)

Ortsregister - Namensregister - Regional-Index
Zurück zur Übersicht Heraldik

Home

© Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2022
Impressum