Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2666
Halberstadt (Landkreis Harz, Sachsen-Anhalt)

Wohnhaus Domplatz 43 in Halberstadt

Dieses Wohnhaus gehört zu der geschlossenen Bebauung der nördlichen Seite des Domplatzes mit ehemaligen Domherrenkurien. Nach Süden bilden diese traufständigen Häuser eine geschlossene Reihe, nach hinten reichen die Gärten bis zur Abschlußmauer des Domberges zum Düsterngraben. Dieses Haus (Domplatz 43) ist wie die anderen auch zweistöckig und nur durch ein kräftiges Zwischengesims gegliedert. Die scheinbare Mittelachse wird durch ein doppelflügeliges Rechteckportal im Erdgeschoß und ein bis zum Gesims heruntergezogenes Fenster im Obergeschoß betont. Die Seitenteile sind aber nicht symmetrisch, links sind es vier Fensterachsen, rechts nur drei mit einem breiteren Mauerstück zwischen den beiden äußersten Achsen. Genau an dieser Stelle sind im Erdgeschoß zwei historische  Wappensteine an der Außenmauer mit Metallklammern befestigt. Den Achsen in Anzahl und Position entsprechende Gauben durchbrechen das Satteldach. Unsichtbar vom Domplatz aus, ist an der rechten Seite hinten ein Seitenflügel angebaut.

Der linke Wappenstein ist auf das Jahr 1798 datiert und inschriftlich "CHRISTIAN FRIED. GRAF / ZU STOLB. WERNIGERODE / PROBST ZU WALBECK" zugeordnet. Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode (8.1.1746-26.5.1824) war der einzige Sohn von Graf Heinrich Ernst zu Stolberg-Wernigerode (7.12.1716-24.10.1778) und Prinzessin Anna von Anhalt-Köthen (1726-1790), seiner zweiten Ehefrau. Christian Friedrich Graf zu Stolberg wird hier als Propst zu Walbeck bezeichnet. Die in dem zu Oebisfelde-Weferlingen im Landkreis Börde gehörende Ortschaft Walbeck besaß ein Hauskloster der Walbecker Grafen, aus dem sich ein Kanonikerstift entwickelte, das 1229 dem Domkapitel Halberstadt unterstellt wurde. Seit 1224 gehören zur Propstei Walbeck die Archidiakonate Eschenrode und Bardorf. Nach der Reformation gab es keine Kanoniker mehr, das Stift verfiel, und die Einkünfte aus dem Stiftsgut gingen an den jeweiligen Inhaber der Propstei, der aus dem Kreise der Halberstädter Domherren kam. Formal aufgehoben wurde das Stift aber erst 1810; bis dahin war die Propstei eine Pfründe für die Halberstädter Domherren. Vor Ort befindet sich noch eine sehenswerte ottonische Kirchenruine.

Aber Christian Friedrich Graf zu Stolberg, seit 1772 Domherr in Halberstadt, war nicht nur seit 1776 Propst dieses aufgelassenen Klosters, sondern auch seit 1786 Domdechant zu Halberstadt als Nachfolger von Ernst Ludwig Christoph Freiherr von Spiegel zum Desenberg (1711-1785). Bis 1796 hatte er diese Stellung inne, dann trat er zurück; deshalb wird dieses Amt auch nicht mehr auf dem Wappenstein inschriftlich erwähnt. Er war außerdem Mitglied des Johanniterordens und Freimaurer; zunächst in der Loge Zu den drei Degen in Halle, dann in Leipzig, wo er den vierten und später den fünften Grad erreichte. Der hochgebildete und aufgeklärte Graf, der der Literatur, der Kunst und Musik sehr zugetan war und der in Halberstadt das Schulwesen förderte und in der Stadt ein reiches kulturelles, literarisches und künstlerisches Leben weckte, war in Halberstadt Mitglied in der Literarischen Gesellschaft. Christian Friedrich Graf zu Stolberg regierte seine Grafschaft 1778-1809. Finanziell war er wenig erfolgreich und vergrößerte aufgrund widriger Umstände wie durch den Verlust der linksrheinischen Territorien 1803 die Verschuldung. 1807 wurde die Grafschaft Wernigerode durch den Frieden von Tilsit dem neu geschaffenen Königreich Westphalen zugeschlagen, wodurch der Graf all seine Rechte als Reichsfürst verlor. Zwei Jahre versuchte er alles, um die Stellung und Rechte des Hauses Stolberg-Wernigerode zu wahren. Am 15.6.1809 zog er völlig frustriert ganz auf die 1765 vom Grafen Johann Erdmann von Promnitz ererbten schlesischen Güter und überließ die Regierungsgeschäfte in Wernigerode seinem ältesten Sohn und kehrte erst 1814 kurz in den Harz zurück, nachdem das Königreich Westphalen aufgelöst worden war. 1715 ging er zwar wieder nach Schlesien, aber er hatte wieder Interesse an den Regierungsgeschäften in seiner Stammgrafschaft.

 

Christian Friedrich Graf zu Stolberg heiratete am 11.11.1769 auf Schloß Wernigerode Auguste Eleonore zu Stolberg-Stolberg (10.1.1748-12.12.1821), die Tochter von Graf Christoph Ludwig zu Stolberg-Stolberg und Luise Charlotte Gräfin zu Stolberg-Roßla. Sein ältester Sohn Heinrich übernahm später die Stammgrafschaft Wernigerode, während andere Söhne die ober einen Onkel seiner Mutter geerbten Herrschaften Peterswaldau, Jannowitz und Kreppelhof bekamen und die schlesischen Zweige gründeten.

Der Wappenschild ist viermal gespalten zu fünf Pfählen:

Diese Anordnung ist das Ergebnis zweier sukzessiver Verzerrungen, bei der zuerst die Höhenaufteilung verändert und dann in einem aus Stolberg und Hohnstein gespaltenen Wappen heraldisch rechts die Elemente der Stolbergschen "Hälfte" zu drei Pfählen verbreitert wurden, während heraldisch links das Hohnsteinsche Wappen mit seinen zwei Pfählen zusammengequetscht wurde. Diese Betrachtungsweise, egal ob darstellerisch oder beschreibend, illustriert den Verlust des Verständnisses der Herkunft der einzelnen Bestandteile und der einem Wappen innewohnenden Logik. Eigentlich ist diese Aufteilung heraldisch unbillig, entspricht aber dem Befund (ausführliche Diskussion in der Monographie zu den Stolberg-Wappen).

Dazu werden drei Helme geführt:

Auch diese Anordnung ist heraldisch unlogisch und fragwürdig, denn dem Stammhelm Stolberg gebührt eigentlich der Ehrenplatz in der Mitte, wie er ihn auch bislang innehatte, und es gibt überhaupt keinen heraldischen oder logischen Grund, warum er jetzt dem Kombinationshelm Eppstein-Hohnstein weichen muß und an den rechten Rand auf die zweite Position gedrängt wird. Dabei war Hohnstein übrigens nie in faktischem Besitz der Grafen von Stolberg.

 

Rechts des Wappensteines dieses historischen und vor allem kulturellen Schwergewichts ist ein weiterer Wappenstein an der Außenmauer des Hauses befestigt, der inschriftlich auf 1658 datiert und "H: CHRISTOFF V: HUNEKEN / DOHMHERR U: VICEDMINUS / ZU HALBERSTADT" zugeordnet ist. Das ist Christoph von Hünecke, seit spätestens 1648 Halberstädter Domherr, und Vicedominus. Die Familie von Hünecke oder Hünicke führt als Wappen einen golden-blau gespaltenen Schild, rechts eine halbe blaue Lilie am Spalt, links drei (2:1) goldene Samenkörner, auf dem blau-golden bewulsteten Helm mit blau-goldenen Decken drei Straußenfedern, eine goldene zwischen zwei blauen (Siebmacher Band: Pr Seite: 181 Tafel: 228, dort ohne Kleinod abgebildet, nur im Text beschrieben, falsch im Siebmacher I, 177).

Die Familie stammt aus Brandenburg (im 14. Jh. im Havelland und im Jerichowschen) und kam von da nach Sachsen (begütert in Möthlitz und Dedeleben). Es gibt noch andere Varianten hinsichtlich der Tinkturen und auch des Inhaltes insbesondere der hinteren Spalthälfte (Rauten, Wecken), oder insgesamt eine gespaltene Staude mit Tulpenblüten oder lilienartigen Blüten, oder diese nur in der hinteren Hälfte (Siebmacher Band: AnhA Seite: 30 Tafel: 17, Band: MeA Seite: 125 Tafel: 71). Auf einem im Halberstädter Gleimhaus aufbewahrten und von Moritz Bodenehr um 1720 in Dresden gestochenen Portrait von Erdmann Christoph von Hünicke (Gleimhaus, Inventar-Nr. PA3_11-13) wird das Wappen mit Schraffur wie folgt dargestellt: Gespalten, rechts in Blau eine halbe goldene Lilie am Spalt (diese Variante ergibt heraldisch mehr Sinn als die Siebmacher Band: Pr Seite: 181 Tafel: 228), links in Blau drei (2:1) goldene Rauten (auf dem hiesigen Stein sind es jedoch eindeutig Samenkörner), auf dem blau-golden bewulsteten Helm mit blau-goldenen Decken drei Straußenfedern, eine goldene zwischen zwei blauen (soweit alle Darstellungen d'accord). Als Mitglieder des Halberstädter Domkapitels werden noch mehrere andere Familienmitglieder genannt, darunter Joachim von Hünecke und Johann Albrecht von Hünecke 1629, Johann von Hünecke 1648 und Christoph von Hünecke 1680.

Literatur, Links und Quellen:
Position in Google Maps: https://www.google.de/maps/@51.8960627,11.0459912,18.75z - https://www.google.de/maps/@51.8960105,11.0460676,47m/data=!3m1!1e3
Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Friedrich_zu_Stolberg-Wernigerode
von Stolberg auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stolberg_(Adelsgeschlecht)
Eduard Jacobs: Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 36, Duncker & Humblot, Leipzig 1893, S. 387-391 -
https://www.deutsche-biographie.de/sfz81533.html
Portrait von Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode:
https://st.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=779
Christian Friedrich Graf zu Stolberg-Wernigerode:
http://www.epoche-napoleon.net/de/bio/s/stolberg-wernigerode02.html
Portrait mit Hünecke-Wappen:
http://www.portraitindex.de/documents/obj/34800982/glba-0767
Samuel Lenz: Diplomatische Stifts- und Landes-Historie von Halberstadt
https://books.google.de/books?id=WpM-AAAAcAAJ&pg=PA311&lpg=PA311  - https://books.google.de/books?id=lRVhAAAAcAAJ&pg=PA311 - S. 311
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