Bernhard
Peter
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Photos schöner alter Wappen Nr. 1637
Gandersheim (Landkreis Northeim)
Stift Gandersheim: Treppenturm im Abtei-Hof
Im Hof der Alten Abtei befindet sich ein polygonaler Treppenturm mit schräggeschnittenen Fenstern aus der Zeit der Renaissance. Er führt zu dem von der 1589-1611 amtierenden Äbtissin Anna Erika von Waldeck (17.9.1551 - 15.10.1611), Tochter von Wolrad II. Graf v. Waldeck (27.3.1509 - 15.4.1578) und Anastasia Günthera v. Schwarzburg-Blankenburg, neu errichteten Konventsgebäude. Diese Frau ist nicht nur als Bauherrin eine bedeutende Gandersheimer Äbtissin, sondern auch, weil sie die erste Äbtissin protestantischen Glaubens in diesem Stift nach 36 katholischen Vorgängerinnen war, und weil sie die erste war, deren Wahl nicht mehr vom Papst, sondern nur vom Kaiser bestätigt wurde. Ihrer Wahl waren unruhige Zeiten vorangegangen, die durch viele Gegenäbtissinnen gekennzeichnet waren und von einem heftigen Streit zwischen Herzog Julius v. Braunschweig-Wolfenbüttel (1528 - 1589) und dem Stift geprägt waren. Streitpunkte waren die Durchführung der Reformation seit 1568 und die Stellung des Stifts zwischen Reich und Landesherr. Insbesondere die beiden Schwestern Magdalena von Chlum (Äbtissin 1547-1577) und Margareta von Chlum (Äbtissin 1577-1589) lieferten sich zwei Jahrzehnte lang Streit, in dessen Verlauf Herzog Julius seine eigene Tochter Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel und danach Margarete von Warberg als Gegenäbtissinnen in Stellung gebracht hatte. Herzog Julius starb zwar vor der Wahl von Anna Erika, doch er hatte sie befürwortet. Anna Erika hatte zwar im Streit um die Reichsunmittelbarkeit mitgeholfen, die Eingliederung des Reichsstiftes in die herzoglichen Lande zu verhindern (ein Dauerbrenner-Thema, bei dem sich der Herzog erst 1802 entspannt zurücklehnen konnte), doch sie war evangelisch-lutherisch geworden, und das gab wohl den Ausschlag. Am 23.8.1589 wurde Anna Erika von Waldeck, die im Alter von 24 Jahren am 23.6.1575 Kanonisse und am 30.1.1577 Dekanisse geworden war, als Äbtissin gewählt, einstimmig sogar, wenn man die einzige, von ihr selbst abgegebene Gegenstimme vernachlässigt, und sie bestimmte die Geschicke des Stifts 22 Jahre lang, und seit ihrer Wahl war das Verhältnis des Stifts Gandersheim zur Herzogsfamilie wieder ein gutes. Aufgegeben hatten die Herzöge jedoch die Hoffnung, das Stiftsgebiet ihrem eigenen einverleiben zu können, zunächst noch nicht. Der nächste Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius, machte einen diesbezüglichen Vorstoß, der aber mit einem Sieg der Äbtissin endete, denn am 14.12.1590 wurde ihre Wahl vom Kaiser Rudolf II. anerkannt, sie bekam die Regalien verliehen und hatte quasi den Status einer Reichsfürstin, und am 20.8.1593 wurde ein Vertrag mit dem herzoglichen Haus unterzeichnet, der die Reichsfreiheit beinhaltete. Voller Sieg für Anna Erika von Waldeck also!
Heraldisch rechts befindet sich das Wappen der Grafen von Waldeck auf einer symmetrischen Renaissance-Kartusche mit eingerollten Rändern, in Gold ein achtstrahliger schwarzer Stern. Die Helmzier ist ein goldener Flug, beiderseits belegt mit einem achtstrahligen schwarzen Stern. Die Helmdecken sind hier nicht farblich gefaßt, aber korrekterweise müßten sie schwarz-golden sein. Gegenüber befindet sich auf einer asymmetrisch verzerrten Kartusche mit eingerollten Eckzipfeln das Stiftswappen von Gandersheim, ein schwarz-golden gespaltener Schild.
Zwei Tugenden begleiten die Wappendarstellungen vor dem dunklen Hintergrund der Beschlagwerk-Platte; optisch links ist die Gerechtigkeit (Justitia) zu sehen mit der Waage in der erhobenen Rechten und dem erhobenen Schwert, welches hinter der Helmdecke schrägrechts hervorkommt, während die es haltende Hand verdeckt ist, und optisch rechts die Mäßigung (Temperantia), welche aus einem großen Krug in der erhobenen Linken in weitem Strahl Wasser in einen in der Rechten gehaltenen Kelch gießt.
Die über der Wappenzone angebrachte und von Wildem Wein überwachsene Inschrift in einer Kartusche mit eingerollten Seitenrändern und einem geflügelten Engelskopf darüber lautet: "FVNDITVS ANNA LARES QVOS FVMVS VEXIT ET AVRA DE VVALDEK DIVIS TVXIT ET AVXIT OPE ESSET VT HOSPITIVM SACRAE NVTRICIBVS HVIVS AEDIS ANASTASII COMMODIORE SITV HOC DEVS ALME FOVE FLAMMAS ET VERTE NOCENTES SEMPER VT HIC SEDES SIT DECVS ATQVE TIBI". Das heißt soviel wie: Anna von Waldeck hat von Grund auf das Haus, das durch einen Brand zerstört worden war, mit Gottes Hilfe wiederaufgebaut und mühsam erweitert, damit die Nährmutter des Gebäudes des Anastasius bequem gelegen sei. Gott, bewahre dieses Haus gnädig vor Flammen und halte immer Schaden von ihm ab, auf daß dieser Wohnsitz stets der deinige sei.
Äbtissinnen des Stiftes Gandersheim:
Literatur,
Links und Quellen:
Äbtissinnen von Gandersheim: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_%C3%84btissinnen_von_Gandersheim
Genealogien: Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf
CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9
Informationstafeln am Stift Gandersheim
1150 Jahre Stift Gandersheim 852-2002, Festschrift, hrsg. vom
Kirchenvorstand der Stiftskirchengemeinde St. Anastasius und St.
Innocentius, 2002
Siebmachers Wappenbücher
Liste der Äbtissinnen im Museum im alten Rathaus
Axel Christoph Kronenberg, 1611 - vor 400 Jahren stirbt Äbtissin
Anna Erika, Kurzeitung Bad Gandersheim 03/11 http://www.bad-gandersheim.de/Kurzeitung/2011/Kurzeitung03_2011.pdf S. 6-7
Axel Christoph Kronenberg, Gräfin Anna Erika von Waldeck: Die
erste protestantische Äbtissin, Kurzeitung Bad Gandersheim 02/04
http://www.bad-gandersheim.de/Kurzeitung/2004/Kurzeitung_2_04.pdf S. 10-11
Stift Gandersheim, Renaissance-Trakt - Stift, Schweitzerhaus - Stift, Eingang Alte Abtei
Die Wappen der Grafen und Fürsten von Waldeck-Pyrmont
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