Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 1525
Marburg an der Lahn (Hessen)

Schloß Marburg, Wilhelmsbau

Der sog. Wilhelmsbau (Neuer Bau) ist ein vom eigentlichen Hochschloß abgesetzter und mit diesem mit einer Brücke verbundener separater dreigeschossiger Bautrakt, der sich in Nord-Süd-Richtung am östlichen Ende des landgräflichen Schlosses erhebt. Seine Bausubstanz stammt aus dem späten 15. Jh. Es war ein damals moderner Wohn- und Saalbau. Teilweise überlagert er die bogenförmige Stützmauer. Dem rechteckigen Gebäude aus Bruchsteinmauerwerk ist im Westen ein rechteckiger Treppenturm mit innenliegender Spindel vorgebaut, und an diesem Treppenturm endet die verbindende gedeckte Brücke (Arkadengang), die allerdings erst im Jahr 1870 von Landbaumeister Regenbogen in dieser Form erbaut wurde und früher erheblich schmaler war. Die Vorgängerarkade stammte von 1626. Die Bauzeit des Wilhelmsbaus ist 1493-1497, die Treppe wurde einmal 1512 erneuert. Ein kleiner Anbau befindet sich an der nördlichen Schmalseite. Einfache Horizontalgesimse gliedern die Fassade. 1869-1938 wurde das Schloß als Staatsarchiv genutzt, danach als Institut der Philipps-Universität, die auch heute noch Eigentümerin ist und hier im Wilhelmsbau das Universitätsmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte eingerichtet hat. Die Idee ging auf Ludwig Bickell zurück, der bereits 1868 alternativ zum frisch eingezogenen Staatsarchiv die Museumsnutzung vorschlug. 1875 beschloß der Verein für hessische Geschichte und Altertumskunde, dieser Idee Taten folgen zu lassen und seine Sammlung hier auszustellen. Das Staatsarchiv zog 1938 in einen eigenen Bau, und 1974 wurde von G. U. Großmann die Unterbringung des Universitätsmuseums initiiert. Heute bilden die historischen Schauräume und die verschiedenen Sammlungen eine sich über den ganzen Kernbau und Wilhelmsbau erstreckende Besichtigungs-Einheit für den Besucher. Benannt ist der Bau nach Wilhelm III. Landgraf v. Hessen (8.9.1471 - 17.2.1500), dem letzten Landgrafen aus der zweiten Residenzzeit in Marburg.

Dieses Museum ist ein Muß für den heraldisch Interessierten Besucher wegen der hier aufbewahrten mittelalterlichen Originalschilde von Landgraf Konrad von Thüringen (vor 1240, mit plastischem Löwenkopf), der Vögte von Keseberg mit zwei silbernen Leoparden übereinander in schwarzem Feld (um 1250), des Deutschordenskomturs W. von Liederbach, gespalten, rechts in Rot ein halber silberner Adler am Spalt, links in Silber zwei rote Balken (ca. 1250-1300), der Herren Nordeck zu Rabenau mit drei dreipaßförmig mit den Spitzen zusammengestellten, rund ausgeschlagenen schwarzen Seeblättern in silbernem Feld (ca. 1250-1300), der Grafen von Arnsberg mit dem silbernen Adler auf rotem Grund (ca. 1250-1300), des Landgrafen Heinrich I. von Hessen (1292-1308, plastisch gearbeiteter Prunkschild), der Burggrafen von Stromberg (um 1300, mit drei herrlich plastisch gearbeiteten Vögeln), der Herren von Steinau gt. Steinrück mit den drei schwarzen Rädern (um 1300), der Herren von Welfenberg mit einem schräggelegten Wolfseisen (um 1300), der Schenk von Schweinsberg (zwei Schilde, einer ca. 1300-1320, der andere um 1350), der Herren von Muschenheim mit einem silbernen Sparren in Rot (um 1350), der Löw von Steinfurth mit dem silbernen Kranich in blauem, mit silbernen Steckkreuzchen bestreutem Feld (um 1380), der Herren von Dernbach mit drei dreipaßförmig mit den Spitzen zusammengestellten, rund ausgeschlagenen Seeblättern (ca. 1350-1400) und anderen mehr. Insbesondere die Prunkschilde mit plastisch gearbeiteten, hinterfütterten Schildbildern sind einzigartige heraldische Museumsstücke, vor allem der landgräfliche Prunkschild von Heinrich I., dessen Löwe sich bis zu 2 cm über dem Untergrund plastisch erhebt und dessen blauer Hintergrund in eine feinste Arbeit aus ausgeschnittenen Mustern mit harpyienähnlichen Phantasievögeln auf floralen Arabesken aufgelöst wird. Die Aufzählung macht deutlich, daß hier eine der bedeutendsten Sammlungen von mittelalterlichen Originalschilden aufbewahrt wird, neben anderen heraldisch interessanten Ausstellungsstücken aus späterer Zeit, der vor- und frühgeschichtlichen Sammlung, der Sammlung kirchlicher Kunst, der zur hessischen Landesgeschichte sowie der Ausstellung zum bürgerlichen Wohnen und zur hessischen Volkskunde. Die Abbildung oben zeigt den Wilhelmsbau von Osten. Das große, steile Satteldach ist mit mehreren türmchenartigen Gauben mit Spitzdach versehen, dazwischen viele kleine Gauben.

Eine künstlerisch und heraldisch bedeutende Steinmetzarbeit von Ludwig Juppe ist über dem Westportal direkt unter der Verbindungsbrücke angebracht. Dieser Künstler schuf auch das Wappenrelief am Rathaus und Etliches für die St. Elisabeth-Kirche. Interessant ist der Aufbau des Relieffeldes in Form eines Quadrates mit erhöhtem Mittelteil, wie man ihn genauso an gotischen Altären als Grundform wiederfindet.

Der Schild für Wilhelm III. Landgraf v. Hessen (8.9.1471 - 17.2.1500), der 1483 beim Tod seines Vaters Landgraf wurde, also noch als unmündiges Kind und unter Vormundschaft seines Onkels Hermann v. Hessen, Erzbischof v. Köln und der des ehrgeizigen und tüchtigen Hofmeisters Hans von Dörnberg stand, und der 1489 mit 18 Jahren selbständig wurde und die Regierung in Oberhessen übernahm, ist geviert mit Herzschild:

Es wird nur das Stammkleinod gezeigt, auf dem Helm mit rot-silbernen Decken zwei Büffelhörner, außen besteckt mit hier je 5 Lindenzweigen (auch als Kleestengel bezeichnet), die hier aus Metall gebildet und im Sandstein verankert sind. Zwei schlanke Geharnischte in spätgotischer Tracht stehen als Schildhalter zu beiden Seiten des Wappens, der rechte mit gespreizten, der linke mit überkreuzten Beinen, beide von fast übernatürlicher Schlankheit, dem spätgotischen Schönheitsideal entsprechend. Oberhalb der Helmzier ist noch eine kleine Balustrade (nicht im Bild), von der Landgraf Wilhelm II (beschädigt, ohne Kopf) und seine Gattin herabblicken. Eine Inschrift untendrunter nennt das Jahr der Anfertigung: 1493.

Genealogie zum Wappen:
In dieser Genealogie wird deutlich, daß Marburg dreimal Regierungssitz war, erst unter der Hauptlinie unter Heinrich I., dem Begründer des hessischen Landgrafenhauses, dann wurde der Regierungssitz 1308 unter Otto I. nach Kassel verlegt, bis unter Heinrich III. Marburg zum zweiten Mal Residenz wird (Hessen-Marburg 1458-1500) und auch unter dessen Sohn Wilhelm III. bleibt, dessen Nachfolger allerdings verlegen den Regierungssitz wieder nach Kassel. Erst unter Ludwig IV. wird Marburg zum dritten Mal Residenz und Sitz einer eigenständigen Linie (Hessen-Marburg 1567-1604), die allerdings auf seine Person beschränkt blieb, da er ohne erbberechtigte Nachkommen verstarb. Danach wurden die Güter Ludwigs unter seinen Brüdern aufgeteilt, der nördliche Teil mit Marburg kam an Hessen-Kassel, der südliche Teil mit Gießen kam an Hessen-Darmstadt. 1623 wird Marburg von Tillys Truppen erobert, und Ludwig V. von Hessen-Darmstadt (1577-1626) nimmt von Marburg Besitz, danach folgt als Herrscher Georg II. (gest. 1661). Erst 1648 wird Marburg an die Linie Hessen-Kassel zurückgegeben, die das Schloß als Nebenresidenz nutzte.

Details der beiden Schildhalter mit modisch auffälligen Haartrachten.

Landgraf Wilhelm wurde nur 28 Jahre alt; er starb drei Tage nach einem Jagdunfall bei Rauschenberg, als er bei der Verfolgung eines Hirsches vom Pferd geschleudert wurde. Er hatte keine legitimen Nachkommen, die nur zwei Generationen währende Seitenlinie zu Marburg erlosch mit ihm, und sein Besitz fiel an seinen Cousin, Wilhelm II. von Hessen-Kassel, der damit wieder alle hessischen Gebiete in einer Hand vereinigen konnte.

Position des beschriebenen Wappensteines

Literatur, Links und Quellen:
Siebmachers Wappenbücher
Genealogien und Lebensläufe: Prof. Herbert Stoyan, Adel-digital, WW-Person auf CD, 10. Auflage 2007, Degener Verlag ISBN 978-3-7686-2515-9
Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder - die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart. C. H. Beck Verlag München 7. Auflage 2007, ISBN 978-3-406-54986-1
Baugeschichte des Schlosses: G. U. Großmann, Renaissance-Schlösser in Hessen - Katalog des DFG-Projekts:
http://forschung.gnm.de/ressourcen/schloesser/XML/093_Marburg_Schloss.xml
Grundriß des Schlosses:
http://forschung.gnm.de/ressourcen/schloesser/Html/093_Marburg_Schloss_05.htm und des Kernbaus: http://forschung.gnm.de/ressourcen/schloesser/Html/093_Marburg_Schloss_04.htm
F. Küch, B. Niemeyer, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Bd. VIII, Kreis Marburg-Stadt, Kassel 1934, Tf. 123-216
Karl Justi, Das Marburger Schloß, Marburg 1942
G. Ulrich Großmann, Schloß Marburg, Burgen, Schlösser und Wehrbauten in Mitteleuropa Band 3, Hrsg.: Wartburg-Gesellschaft, Schnell & Steiner Verlag, Regensburg 1999, ISBN 3-7954-1218-8
Jan Kohlmorgen, der mittelalterliche Reiterschild, historische Entwicklung von 975 bis 1350, Anleitung zum Bau eines kampftauglichen Schildes, Karfunkel Verlag 2002, ISBN 3-935616-10-4
http://www.marburg-net.de/ansichten/schloss/wilhelmsbau/index.html
Walter Heinemeyer, Das Marburger Landgrafenschloß und die Wartburg - Marburg und Eisenach. In: Hessen und Thüringen - von den Anfängen bis zur Reformation, eine Ausstellung des Landes Hessen, Marburg-Wiesbaden 1992, ISBN 3-89258-018-9
Artikel „Wilhelm III.“ von Heinrich Reimer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 31–32

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