Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3120
Ehingen/Donau (Alb-Donau-Kreis)

Das Syndikus-Haus in Ehingen

Das hier vorgestellte historische Haus steht in der südwestlichen Altstadt von Ehingen, im Gänsberg 4, ca. 110 m südlich der Westfassade der Stadtpfarrkirche St. Blasius. Das ist eine gerade noch zur oberen Stadt gehörende, schmale, holperige, etwas unansehnliche und vernachlässigte Gasse im Zentrum einer im Gegensatz zur planmäßig strukturierten Oberstadt dörflich wirkenden Zone. Es handelt sich bei dem Syndikus-Haus um ein giebelständiges Haus mit Satteldach und Anbau auf der Nordseite. Von der Straße Gänsberg führt eine doppelte Freitreppe hoch zum Schmuckportal. Heute wird das Haus als "Vogtei" bezeichnet, was nicht korrekt ist. Vielmehr handelt es sich um einen uralten, ehemaligen adeligen Freihof, der als vitztumbische Behausung bekannt war, ehe er eine ganz neue Funktion als Sitz des Syndikus des Ritterkantons Donau bekam. Daß es sich einst um einen adeligen Freihof handelte, ist insofern wichtig, als damit der Besitz mit Sonderrechten ausgestattet war.

Es handelt sich um eine von mehreren Immobilien in der Stadt, die der Ritterkanton Donau nutzte. Der niedere Ritteradel im Südwesten des Reichs schaffte es, seine reichsunmittelbare Stellung zu wahren und trotzte der Ausbildung von Flächenstaaten, sehr zum Verdruß der größeren Fürsten, denen sie wie Fremdkörper erschienen, die sie bei der Ausdehnung eigener Territorien hinderten. Die einzelnen Ritter, die die Landeshoheit in ihren Territorien ausübten, besaßen keine eigene Reichsstandschaft, weder einzeln noch kollektiv. Sie schlossen sich in Kreisen zusammen, die wiederum in Kantonen organisiert waren. Es gab 3 Kreise und 14 Kantone. Zum Schwäbischen Ritterkreis gehörten 5 Kantone: Donau, Hegau-Allgäu-Bodensee, Neckar-Schwarzwald, Kocher und Kraichgau. Der Organisation wurden die Militär- und die Steuerhoheit übertragen. Man unterstand direkt dem Kaiser, und die Organisation schaffte die Verbindung und die Kommunikation der Interessen nach ganz oben. Das wichtigste Interesse war der kaiserliche Schutz gegen die Übergriffigkeit mancher Fürsten, die die Reichsritter ihrer Obrigkeit immer wieder zu unterwerfen versuchten. Der Kaiser schützte die Reichsritter aus politischem und finanziellem Eigeninteresse. An der Spitze des Kantons Donau stand das Direktorium, das aus dem Ritterhauptmann und vier Ritterräten bestand. Mehrere Offizianten arbeiteten dem Direktorium zu und erledigten Verwaltungsangelegenheiten. Es gab Plenarkonvente, die selten vorkamen, die grundsätzliche Angelegenheiten entschieden, und Direktorialkonferenzen, die öfter vorkamen und wichtigere Angelegenheiten entschieden.

Im Jahre 1689 kauften die reichunmittelbaren Adeligen des Reichsritterschaftskantons alte Freihöfe, als sie ihre Kanzlei aus der Reichsstadt Ulm in die damals vorderösterreichische Stadt Ehingen verlegten. Ulm war ein schlechter Standort geworden, weil es Spannungen mit dem Schwäbischen Kreis gab, der ebenfalls seine Zusammenkünfte in Ulm abhielt. Man fürchtete um die eigene Sicherheit, und um die Sicherheit der so wichtigen Archive. Ehingen erschien als schwäbische, dann habsburgische und vorderösterreichische Landstadt geeigneter, denn man war in einer eng mit dem Kaiserhaus verbundenen Stadt sicherer. Ehingen, eine Gründung der Grafen von Berg, war 1343/1346 in Habsburger Besitz übergegangen. 1692 begann man den Bau des Ritterhauses an der Oberen Hauptstraße, auf zwei ehemals benachbarten Grundstücken, den Ventischen Häusern. In diesem eindrucksvollen dreigeschossigen Bau mit zwei Erkern und einem kraftvollem Barockgiebel fanden Sitzungen und Konferenzen statt, dort war die Kanzlei untergebracht, und das Archiv befand sich unten im feuersicheren Gewölbe.

 

Dieser Ritterkanton war besonders wichtig, weil er den ständigen Vorsitz unter den fünf Kantonen des schwäbischen Ritterkreises führte. Insofern galt fortan Ehingen als Sitz des gesamten schwäbischen Ritterkreises, und der Kanton Donau führte als permanentes Direktorium die Geschäfte des gesamten schwäbischen Ritterkreises. Es war einmal angedacht, daß alle drei Ritterkreise einen Generalkorrespondenztag einrichten, dazu ein jährlich rotierendes Generaldirektorium für alle drei Ritterkreise. Das hat sich nicht durchgesetzt. Übrigens hatten nach dem Dreißigjährigen Krieg auch die schwäbisch-österreichischen Landstände ihren Verwaltungssitz in Ehingen und hielten hier ihre Zusammenkünfte ab, zuerst im Rathaus, dann im heutigen Amtsgericht. Beide Institutionen haben im Stadtbild ihre Spuren hinterlassen. Die Reichsritterschaft setzte bei der Stadt mehrere Sonderrechte durch, Immunität, also Befreiung von städtischen und landesherrlichen Steuern und Lasten, sowie Ausnahme von der städtischen Gerichtsbarkeit, zunächst als Personalexemtion für die Ritter selbst, später gab es Streit um die gewünschte Ausdehnung auf das gesamte Personal. Ein entsprechender Vertrag wurde am 25.8.1692 mit der Stadt geschlossen. Für die Gewährung von Immunität müßten jährlich Rekognitionszahlungen an die Stadt geleistet werden. Die vom Kanton genutzten Immobilien waren dem städtischen und dem landesherrlichen Zugriff entzogen. Und die Ritterschaft genoß Zollfreiheit für selbst außerhalb erzeugte und für den Eigenbedarf in die Stadt verbrachte Waren. Ab 1763 besaßen die Reichsritter auch das Recht, Delinquenten im Ritterhaus in Gewahrsam nehmen zu dürfen. Ganz hatte man sich nicht von Ulm getrennt, denn auch nach der Verlegung der Kanzlei nach Ehingen hielt man die Versammlungen des schwäbischen Reichskreises und die Plenarkonvente in Ulm ab, es gab einfach mehr Quartiere für alle angereisten Teilnehmer. Aber die Direktorialkonferenzen von Ritterhauptmann und den vier Ritterräten fanden alle in Ehingen statt. Die Kasse blieb in Ulm, das Archiv kam nach Ehingen.

Zurück zum Syndikus-Haus: Die Reichsritter kauften bereits 1689 auch die "Vizthumbische Behausung" in unmittelbarer Nachbarschaft zum Salemer Klosterhof, und damit entstand das zweite bauliche Standbein des Kantons in Ehingen. Es war zuvor ein adeliger Freihof, doch die Immunität der Immobilie konnte nur gegen eine Einmalzahlung von 600 fl. für die nachfolgenden Ritter erhalten werden. Von Januar 1691 bis August 1695 überließ man das Anwesen tauschweise dem Ehinger Stadtschreiber Anton Franz Buechmiller gegen einen Teil des nahe gelegenen Rennerhofes. Ab 1695 nutzte die Ritterschaft das Gebäude am Gänsberg wieder selbst. Hier waren fortan die Dienst- und die Privaträume des jeweils amtierenden Syndikus, also des Rechtsgelehrten des Ritterkantons Donau. Die Ehinger Kanzlei unterhielt einen Syndikus, zwei Konsulenten, einen Sekretär, einen oder zwei Kanzlisten und einen Kassier; dazu kamen noch Boten und Hausmeister. Das Personal der Ritterschaft hatte keinen Bürgerstatus in Ehingen, sondern galt als Fremde. Als solche mußten sie beim Erwerb von Grundbesitz in Ehingen den doppelten Steuersatz entrichten. Dennoch sah die Stadt die Ansiedlung gerne, und das Personal wurde hier heimisch, so ließ sich der Syndikus Wilhelm Anton Ertel 1710 in der Stadtpfarrkirche St. Blasius begraben. Im Jahre 1775 wurde das Haus am Gänsberg barockisiert, neu verputzt und bemalt. Damals erhielt es auch ein neues Portal, und dieser damalige Umbau bestimmt das heutige Erscheinungsbild. Der damalige reichsritterschaftliche Syndikus war Dr. iur. utr. Joseph Fidelis Mathias Gronmayer (1735-1803). Am 13.5.1787 gab es hier einen tragischen Todesfall, als sich Pedro von Cotto, damaliger reichsritterschaftlicher Syndikus, aus dem dritten Stock in den Tod stürzte. Unter den beiden genannten Personen gab es zeitweise Abwanderungsbestrebungen; die Frage nach Rückverlegung der Kanzlei nach Ulm hatte sich an der Verweigerung der Exemtion für das gesamte Personal entzündet.

 

Über dem Portal im Rokoko-Stil ist das Wappen der damaligen Eigentümer angebracht. Dem schwarzen, golden bewehrten Doppeladler des Heiligen Römischen Reiches ist das Wappen des Ritterkantons Donau aufgelegt, Zepter und Schwert schräggekreuzt, oben begleitet von einer Laubkrone, unten von einem roten Schildchen mit silbernem Tatzenkreuz. Die farbliche Uminterpretation in den österreichischen Bindenschild ist hier ein fehlerhafter Anstrich, denn 1.) in allen historischen Darstellungen und Siegeln ist es ein silbernes Kreuz oder Tatzenkreuz, und 2.) ist hier bei näherem Hinsehen durchaus der vertikale Balken des Kreuzes plastisch vorhanden, nur vom Anstreicher nicht wahrgenommen worden. Der Befund gibt ferner her, daß das Kreuz schwebend dargestellt war, der horizontale Balken nicht durchging. Der Maler hat sich über diesen Befund hinweg gesetzt und gemalt, was er kannte, den österreichischen Bindenschild. Es ist aber nicht korrekt und sollte korrigiert werden.

Ein weiteres Mal taucht dieses Wappen auf in der katholischen Dorfkirche St. Urban in Obermarchtal, nämlich am Epitaph für Franz Buppelin Freiherr vom Stain zum Rechtenstein (-20.1.1712), welcher zu Lebzeiten als Ausschüsser und Mitglied des Kantonsdirektoriums Ämter des Ritterkantons Donau bekleidet hatte. In den einschlägigen Wappenwerken (Siebmacher, Rietstap etc.) wird diese Wappengattung völlig ausgespart. Den frühesten Literaturbeleg, daß die reichsritterschaftlichen Kantone überhaupt Wappen führten, ist in einem Werk von Johann Stephan Burgermeister zu finden (Corpus Juris, 1707) zu finden, aber ohne Abbildung. Im Codex diplomaticus equestris cum continuatione vom gleichen Autor hingegen werden im Jahre 1721 die Wappen der Kantone abgebildet, in einer Illustration von Elias Daniel Süssen.

Die beiden genannten Häuser, das Ritterhaus und das Syndikus-Haus, sind nicht die einzigen Orte in der Stadt, die mit dem Ritterkanton verbunden waren. Die Ritterschaft nutzte auch noch weitere Immobilien in Ehingen, so hatte man 1691-1695 den Rennerhof angemietet (s. o.), ein adeliger Freihof. Zeitweise besaß die Ritterschaft auch noch ein 1717-1742 angemietetes "Hohes Haus" in der heutigen Schwanengasse, ein ehemaliger Freihof der von Stain zu Rechtenstein und danach ein Pfleghof des Klosters Obermarchtal.

1796 überschritt General Moreau im Zuge des 1. Koalitionskrieges den Rhein, und Ehingen galt nicht mehr als sicher. Kanzlei und Archiv wurden nach Biberach verlegt. Die Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch die Franzosen war eine existentielle Bedrohung der Reichsritterschaft. Die wichtigste Aufgabe war der Schutz der Interessen der Reichsritter bei den anschließenden Entschädigungsverhandlungen, es gab eine eigenen salvatorische Klausel für die Reichsritter beim Reichsdeputationshauptschluß 1803. Doch das war nur Papier. Bayern begann im Oktober 1803 mit der Besetzung reichsritterschaftlichen Territoriums, andere Reichsstände zogen nach und schufen ebenfalls Fakten. 1805 okkupierte Württemberg reichsritterschaftliche Gebiete und ließ Kassen und Archive der Ritterschaft beschlagnahmen. Am 27.12.1805 wurde Ehingen von Württemberg besetzt. Mit dem Untergang des Alten Reiches und der Mediatisierung wurden auch die Ritterschaftskantone obsolet. Die politische und juristische Gegenwehr der Ritter brachte nichts mehr, und auch die kaiserliche Rückendeckung war nichts mehr wert. Am 20.1.1806 wurde die Aufhebung der Ritterschaft vollzogen. Das Ritterhaus in Ehingen wurde Sitz der königlichen Oberamtsverwaltung. Heute ist in dem ehemaligen Ritterhaus die Außenstelle des Landratsamts des Alb-Donau Kreises untergebracht. Das Syndikus-Haus am Gänsberg kam 1806 an das Königreich Württemberg. Dieses verkaufte es an Friedrich (von) Walter (1.11.1763-28.3.1841), den von der Säkularisation seines Amtes enthobenen letzten Abt von Kloster Obermarchtal, der ab 1803 in Kirchbierlingen als Pfarrer wirkte. Er zog aber nie selbst in das Haus ein. Seitdem ist das Haus in Privatbesitz.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.2825099,9.7238265,21z - https://www.google.de/maps/@48.2825099,9.7238265,42m/data=!3m1!1e3
Jürgen Braun, Franz Romer: Bauliche Zeugen der Schwäbischen Ritterschaft in Ehingen, Rundgang mit Stadtarchivar Ludwig Ohngemach
https://www.museumsgesellschaft-ehingen.de/ausstellungen/rundgang-mit-dr.-ohngemach-april-2023
Ludwig Ohngemach: Ehingen als Sitz des Ritterkantons Donau, in: Adel im Wandel, Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Band 2, hrsg. im Auftrag der Gesellschaft Oberschwaben, von Mark Hengerer und Elmar L. Kuhn in Verbindung mit Peter Blickle, Thorbecke Verlag, 2006, ISBN 3-7995-0216-5 bzw. 978-3-7995-0216-0S. 573-590
Wappen der Ritterkantone 1721:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Reichsritter1721.jpg - https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/f/f9/Artikel_45405_bilder_value_1_reichsritterschaft1.jpg
Wappen der Ritterkantone 1720:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:HEILIGENRÖMISCHENREICHS1720.jpg - https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/7/7d/Artikel_45407_bilder_value_2_baunach2.jpg und https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/6/68/Artikel_45407_bilder_value_3_baunach3.jpg
Wappen der Ritterkantone:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/a/a7/Artikel_45405_bilder_value_2_reichsritterschaft2.jpg
Ritterkanton Donau im Historischen Lexikon Bayerns:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichsritterschaft,_Kanton_Donau

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