Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3115
Reutlingendorf (zu Obermarchtal, Alb-Donau-Kreis)

kath. Pfarrkirche St. Sixtus in Reutlingendorf

Reutlingendorf liegt 3 km südlich von Obermarchtal, in das es 1972 eingemeindet wurde. Auch wenn es im 790 erstmals erwähnten Ort Niederadelige gab, die von um 1200 bis 1431 genannt werden, ist die Ortsgeschichte geprägt von Klöstern. Schon im frühen Mittelalter hatte das Kloster St. Gallen hier umfangreichen Besitz, den es 790 von Berthold erhalten hatte. Sowohl die Ortsherrschaft als auch der größte Teil der Grundherrschaft der Herren von Reutlingendorf waren ein Lehen von St. Gallen. 1360 erfolgte ein Verkauf der Lehen an die Herren von Hornstein. Weiterhin hatten die Herren von Stain Besitz im Ort, den sie durch Erbschaft auf Kosten der Herren von Hornstein vergrößerten. Beide Adelsfamilien zusammen verkauften ihren Besitz 1419 an das Kloster Obermarchtal. Ein Jahr später verzichtete St. Gallen auf seine Rechte, und damit war aus dem Lehen ein Eigengut von Obermarchtal geworden. 1440 kaufte das Kloster weiteren Besitz von den Herren von Hornstein hinzu, um das Territorium zu arrondieren. Obermarchtal blieb bis zur Säkularisation Ortsherr und Grundherr. Mit der Auflösung der geistlichen Herrschaften kam Reutlingendorf genau wie Obermarchtal selbst an die von Thurn und Taxis und drei Jahre später durch die Mediatisierung an das Königreich Württemberg.

Die katholische Kirche St. Sixtus liegt erhöht im südlichen von zwei nur durch lockere Bebauung miteinander verbundenen Siedlungskernen. Genau wie über den Ort hatte zunächst das Kloster St. Gallen die Hand über der Kirche, vergab aber das Kirchenpatronat als Lehen an die Herren von Reutlingendorf, von diesen kam es 1364 an die Herren von Stain und 1463 an das Kloster Obermarchtal, welches die Pfarrei inkorporierte. Die heutige Pfarrkirche entstand 1603 als Saalkirche im konservativen spätgotischen Stil und erfuhr Ende de 18. Jh. und noch einmal 1965 eine Restaurierung. Das Langhaus mit Sterngewölbe besitzt an jeder Längsseite drei Spitzbogenfenster. Der Chor ist eingezogen und ist dreiseitig geschlossen. Außen stützen an den vier Kanten Strebepfeiler die Chormauern. Im Westen steht ein einzelner Turm mittig vor der Fassade. Nur dessen später aufgestocktes, achteckiges Obergeschoß mit der Zwiebelhaube durchbricht den konservativen Stil der Kirche. An die Nordwand des Chors ist eine Sakristei angebaut. Korrekterweise müßte die Kirche St. Sixtus, Mauritius, Katharina und Barbara genannt werden, um das Patrozinium vollständig zu benennen. Heute gehört die Kirche zum Dekanat Ehingen-Ulm der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Über der Kirchentür ist das Wappen des Obermarchtaler Abtes Jakob Hess (-28.5.1614) angebracht, der als Nachfolger von Abt Johannes III. Riedgasser (-28.12.1601) als 11. Abt 1601-1614 amtierte. Er war ein Bauernsohn und stammte aus Gütelhofen, studierte nach seinem Klostereintritt auf Weisung des damaligen Abtes ab 1569 in Ingolstadt, war ab dem 20.12.1583 Vikar in Sauggart, wurde 46. Propst und am 31.12.1601 zum Abt von Obermarchtal gewählt. Er war ein Reformabt, denn in seine Amtszeit fielen wichtige Entscheidungen der Ordensspitze und der Provinzialsynoden, deren Beschlüsse er umzusetzen hatte. 1606 wurde Marchtal von einem Generalvikar des Ordens besucht und visitiert, und Jakob Hess bekam detaillierte Vorgaben zur Umsetzung der beschlossenen Reformen, weil der Ordensleitung bis dahin zu wenig umgesetzt worden war. Die Ausbildung wurde reformiert, vermehrt wurden die Novizen auf Universitäten geschickt, und die Bibliothek wurde erweitert. Die Wirtschaftsverwaltung wurde umorganisiert, das Rechnungswesen wurde umgekrempelt und besser kontrolliert, dazu wurden ein Keller und ein Kämmerer eingesetzt. Neue Gebäude wurden errichtet, um dem neuen Wirtschaften den notwendigen baulichen Rahmen zu geben.

Das Amtswappen besteht aus zwei Schilden, der heraldisch rechte Schild trägt das Stiftswappen in der Form, die ab 1518 und bis zum Ende des 17. Jh. gültig war, in Rot schräggekreuzt ein schrägrechts gelegter, mit dem Bart nach oben und links gerichteter Schüssel und ein schräglinks gelegtes, silbernes, golden gegrifftes Schwert. Weder ein Abtsstab noch eine Inful sind hier vorhanden. Abt Jakob Hess war noch nicht infuliert, als diese Kirche erbaut wurde, er erbat sich 1609 von Papst Paul V. das Recht des Gebrauchs der Mitra, um auf der Konstanzer Diözesansynode unter all den anderen Prälaten gleichgestellt und würdig auftreten zu können. Das persönliche Wappen des Abtes ist im heraldisch linken Schild dargestellt, auf einem Dreiberg ein wachsender Eber, einen schräglinks gelegten Abtsstab mit abflatterndem Velum überdeckend. Im Obermarchtaler Kapitelsaal hängt ein Memoriale im Stil der Renaissance für diesen Abt. Eigentlich hatte er bereits zu Lebzeiten einen Begräbnisplatz in der Marchtaler Marienkapelle für sich ausgesucht und eine Grabplatte mit der Darstellung seiner selbst in Hochrelief anfertigen lassen. Schwedische Soldaten schändeten im Dreißigjährigen Krieg sein Begräbnis. Am 26.7.1726 wurden seine Überreste und die Grabplatte aus der alten Stiftskirche in den Kapitelsaal überführt, wo das Epitaph heute noch an der Südwestwand hängt. Das oben angebrachte Wappen ist dort geviert, mit dem Eber auf dem Dreiberg in Feld vier, schwarz auf goldenem Grund, ohne Abtsstab. 1614 folgte auf Jakob Hess als nächster Abt Johann Engler (-27.8.1637). Ein weiteres Obermarchtaler Wappen ist innen in der Kirche am 1603 geschaffenen Taufbecken im Stil der Renaissance zu sehen (ohne Abb.).

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.2068809,9.5610695,20z - https://www.google.de/maps/@48.2068809,9.5610695,84m/data=!3m1!1e3
Reutlingendorf auf Leo-BW:
https://www.leo-bw.de/fr/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/16906/Reutlingendorf
Reutlingendorf in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reutlingendorf
Kirche St. Sixtus in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Sixtus_(Reutlingendorf)
Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Baden-Württemberg II, Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen, Deutscher Kunstverlag, München 1997, S. 581
Gemeindeseite:
https://www.obermarchtal.de/gemeinde/ortsteile/reutlingendorf
Wilfried Schöntag: Das Bistum Konstanz 6: Das reichsunmittelbare Prämonstratenserstift Marchtal (Germania Sacra. Dritte Folge 5), Berlin/Boston 2012, S. 564-567
http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/69/580 - http://personendatenbank.germania-sacra.de/books/view/69/583

Ortsregister - Namensregister - Regional-Index
Zurück zur Übersicht Heraldik

Home

© Copyright / Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2024
Impressum