Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 3114
Oberdischingen (Alb-Donau-Kreis)

Kanzleigebäude Oberdischingen

Oberdischingen ist ein schönes Beispiel einer Mini-Residenz als Zentrum einer kleinen, aber stolzen reichsunmittelbaren Herrschaft. Auch wenn das ehemalige Schloß verschwunden ist, läßt sich im Ortszentrum noch sehr gut die bauliche Struktur nachvollziehen: Schloß und Kirche bildeten das Zentrum. Gegenüber dem Schloß lag auf der nördlichen Seite des Schloßplatzes ein großer Verwaltungsbau, um den es in diesem Kapitel geht. Auch wenn es sich nur um ein Amtshaus handelt, war es dennoch schloßartig konzipiert mit Mittelbau, Seitenflügeln und nach Süden offenem Hof. Aufgesetzte und farblich abgesetzte Lisenen gliedern die Außenwände, und ein Volutengiebel krönt die Mittelachse, mit einer barocken Muttergottes darauf. In der Mittelachse befindet sich auf dem Dach ein Glockenturm mit der Arm-Sünder-Glocke. Und quer zu dieser Achse lag die wichtigste Straße, deren östliche Hälfte (Herrengasse), planmäßig zu beiden Seiten mit stereotypen Beamtenwohnungen in einheitlichem Stil und einheitlichen Dimensionen bebaut wurde. Die beiden Häuserreihen, aus je fünf Blöcken bestehend, stehen nicht parallel, sondern laufen nach außen leicht aufeinander zu, was einen interessanten perspektivischen Effekt hat und das Zentrum der Residenz größer und weitläufiger erscheinen läßt als es ist.

Der Ausbau von Oberdischingen zur Residenz ist untrennbar mit Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Castell (25.8.1736-21.5.1821) verbunden. Als er 1764 die Herrschaft übernahm, regierte er außer Oberdischingen, Schelklingen und Berg auch noch die patrimoniale Herrschaft Gutenstein und die Herrschaft Waal. Er war kaiserlich-österreichischer Kämmerer, kurfürstlich-mainzischer geheimer Rat und Erbmarschall des Hochstifts Eichstätt. Ab 1765 baute Franz Ludwig Schenk von Castell den bis dahin unbedeutenden Ort Oberdischingen planmäßig aus. Einer der wichtigsten Bauten war diese dreiflügelige bzw. hufeisenförmige Anlage als Sitz der Verwaltung. Hier ging es nicht nur um wirtschaftliche Angelegenheiten (Kanzlei), dafür war der rückwärtige Querbau als Ökonomie des ehemaligen Rittergutes zuständig. Hier ging es vor allem um Verbrechensbekämpfung: Hier waren die Gerichtsräume, hier gab es eine Küche und eine Kirche, hier waren die Zellen für die Delinquenten (in unterschiedlichen Bequemlichkeitsklassen) und die Räume für die Beamten, Angestellten und Wärter. Denn der Bauherr war in besonderer Weise in der Verbrechensbekämpfung engagiert. Aber dieses Gebäude diente auch noch als Residenz selber, denn nach dem Brand des erst kurz zuvor fertiggestellten Schlosses im Jahr 1807 bezog Franz Ludwig Schenk von Castell hier selber Quartier, und er starb im linken Kopfbau, denn die Kraft seiner Herrschaft reichte nicht mehr aus, um ein neues Schloß fertigzustellen. Heute wird dieses Ensemble ganz anders genutzt, im rechten Flügel ist das Rathaus untergebracht, im linken Kopfbau ist ein Vereinsheim mit Vereins- und Gemeinschaftsräumen, und im linken Flügel nach dem Kopfbau ist das Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde (Haus Maria Königin).

Der Bauherr ist als "Malefizschenk" in die Geschichte eingegangen, und das war durch seine Leidenschaft für Verbrechensbekämpfung begründet. Damals gab es sehr viele Kriminelle, was auch an der Kleinstaaterei und mangelhafter grenzübergreifender Strafverfolgung lag. Räuberbanden hatten es leicht, weil die nächste Landesgrenze nie weit war, und weil die kleinen Herrschaften gar keinen effektiven Polizei- und Justizapparat unterhielten. Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Castell hatte beschlossen, hier durchzugreifen und für sichere Wege und Straßen zu sorgen. Er besaß in Oberdischingen die Hochgerichtsbarkeit. 1788 richtete er ein Zuchthaus ein. Einer seiner ersten Fälle war eine in halb Süddeutschland bekannte Diebin, die ihm selber in der Ludwigsburger Hofkapelle einen Geldbeutel mit Goldmünzen im Wert von 1700 fl. geklaut hatte; sie wurde am 16.7.1788 hingerichtet. Erstmals schloß ein kleiner Landesherr Verträge mit allen relevanten Nachbarn, dem Schwäbischen Kreis, Fürstentümern, Herrschaften, reichsritterschaftlichen Territorien, Reichsstädten etc., Verträge zur grenzübergreifenden Strafverfolgung: Entscheidend war, wo der Verbrecher herkam - Franz Ludwig Schenk von Castell ließ sich vom Herrn des Herkunftsgebiets die Haftkosten erstatten und vollstreckte die Urteile in deren Namen. Der Schwäbische Kreis finanzierte den Bau der Fronfeste als Zuchthaus, froh, die wenigen existierenden Strafanstalten entlasten zu können. Der Bauherr bezahlte dafür die Beamten seines Polizei- und Justizapparates aus eigener Tasche. Und jeder war froh, wenn es wieder einen Verbrecher weniger auf der Welt gab, wenn er entweder hingerichtet oder in der Besserungsanstalt gelandet war. Wegen dieser neuen Funktionen wurde der Bau Fronfeste genannt. Diese Strafverfolgung, der der Bauherr sein ganzes Leben in der ansonsten eher langweiligen Provinz verschrieb, wobei er sogar persönlich an Aktionen zur Ergreifung von Straftätern teilnahm, währte bis zur Mediatisierung, wodurch die Strafgerichtsbarkeit an die Krone Württembergs fiel. Für den "Malefizschenk" war das ein schwerer Schlag, vor allem, als dann 1808 von landesherrlicher Seite aus seine weiter betriebene Zuchtanstalt, um deren Erhalt er in langen und teuren Prozessen vergeblich gekämpft hatte, endgültig aufgelöst wurde. Bis dahin waren 40 Hinrichtungen in Oberdischingen vollzogen worden. Jeder vermutet, daß der Schloßbrand vom 3.6.1807, der den Graf notgedrungen zu einem Bewohner seiner eigenen Anstalt machte, ein Racheakt einen ehemaligen Zuchthäuslers war.

In der mittleren Achse des Gebäudes ist ein Wappen aufgemalt, das mehrere Fragen zur Plausibilität aufwirft. Zwei ovale, nach außen geneigte Kartuschen bilden ein Allianzwappen. Zwei widersehende Löwen in etwas unbeholfener malerischer Leistung dienen als Schildhalter. Alles wird eingerahmt von einem überbreiten Wappenmantel. Das heraldisch rechte Wappen ist das reichsgräfliche Wappen der Schenk von Castell, wie es ab 1681 geführt wurde. Der Schild ist geviert mit einem gevierten Herzschild, Hauptschild: Feld 1 und 4: rot-silbern fünfmal schräglinks geteilt (für die Herrschaft Schelklingen), Feld 2 und 3: gespalten, rechts blau-golden gerautet, links rot und ledig (für die Herrschaft Berg), Herzschild: geviert, Feld 1 und 4: in Silber ein rotes Hirschgeweih mit Grind (Stammwappen der Schenk von Castell), Feld 2 und 3: in Silber zwei rote Löwen übereinander, einwärtsschreitend dargestellt (Schenk von Landeck). Die Kombination Schelklingen/Berg wurde bei der Wallfahrtskapelle diskutiert, siehe dort. Das Wappen der Schenk von Castell wird beschrieben im Siebmacher Band: Bad Seite: 37 Tafel: 23 und Band: Wü Seite: 4 Tafel: 4. Weitere Nachweise insbesondere des einfachen Wappens gibt es im Berliner Wappenbuch, im Alten Siebmacher, im Alberti S. 109, im Schöler S. 95, T. 81, bei Kneschke D 2 (234), in der Züricher Wappenrolle (70), in Conrad Grünenberg's Wappenbuch (1797), im Wappenbuch St. Gallen (1588), in Ulrich Richentals Chronik des Konzils zu Konstanz (938) und im Donaueschinger Wappenbuch (880).

Das heraldisch linke Wappen ist das der von Welden auf Laupheim, gespalten, rechts in Grün ein silberner Balken, links rot und ledig. Die hier nicht verwendete Helmzier wären zu rot-silbernen Decken zwei mit Pfauenspiegeln besteckte Büffelhörner in den Farben und Figuren des Schildes. Das Wappen wird beschrieben bzw. abgebildet im Berliner Wappenbuch, im Scheiblerschen Wappenbuch (Bayerische Staatsbibliothek Cod. icon. 312 c), Folio 208, im Siebmacher Band: Bay Seite: 63 Tafel: 67, im Alberti S. 1038, im Siebmacher Band: Wü Seite: 14 Tafel: 17 und bei Schöler S. 112, T. 9.

Die für diese Verbindung relevante Ehe ist die zwischen Willibald Marquard Anton Reichsgraf Schenk von Castell (7.8.1700-20.5.1757) und Maria Anna Aloysia Freifrau von Welden (1709-). Es gibt zwar noch andere Ehen zwischen beiden Familien, aber diese Kombinationen haben nicht in Oberdischingen regiert. Die genannte Ehe wurde 1729 geschlossen. Willibald Marquard Anton befand sich 1710-1716 zum Studium der Humanitas in Dillingen, und 1718 finden wir ihn beim Studium beider Rechte in Salzburg. Er trat 1724 die Herrschaft an als Nachfolger seines Vaters. Er war Träger zahlreicher Ehren und Titel, wurde kaiserlicher Kämmerer, kurbayerischer Kämmerer, eichstättischer geheimer Rat, augsburgischer geheimer Rat, Erbmarschall des Hochstifts Eichstätt; war vor 1740 eichstättischer Oberststallmeister und vor 1752 Oberamtmann in Nassenfels. Er starb in Eichstätt.

Jetzt stellt sich die Frage, was diese Wappenkombination an einem erst 1767 erbauten Gebäude macht? Als dieses Kanzleigebäude errichtet wurde, war Willibald Marquard Anton schon 10 Jahre lang tot, sein Sohn war an der Regierung, und ein möglicher Einwand, der Sohn hätte die elterliche Wappenkombination anbringen lassen, zieht nicht so recht, weil besagter Sohn selbst seit dem 14.11.1763 verheiratet war, mit Maria Philippina Amalia Freiin von Hutten zu Stolzenberg (-1813), und als Bauherr hätte er sein eigenes Ehewappen anbringen lassen. Von daher ist diese offensichtlich später angebrachte oder erneuerte Wappenkombination nicht plausibel.

Um das Wappen der Schenk von Castell ist die Kette des württembergischen Jagdorden bzw. St.-Hubertus-Jagdorden (nicht zu verwechseln mit anderen Hubertus-Orden, etwa dem der Herzöge von Jülich-Berg) gelegt. Dieser Orden wurde 1702 von Herzog Eberhard-Ludwig von Württemberg als Jagdorden gestiftet und zeigt ein achtspitziges rotes Kreuz, golden bordiert. In den großen Winkeln des Kreuzes befinden sich eigentlich noch goldene Adler, hier so stark vereinfacht, daß nur eine Spitze übrigblieb, in den kleinen Winkeln vier goldene Jagdhörner, die hier ganz fehlen. Das grüne Medaillon ist golden bordiert und trägt die Initiale W. Die Ordenskette wird gebildet von sich abwechselnden Medaillons und Adlern. Die Medaillons tragen eigentlich noch einen Kurfürstenhut (fehlt hier) und abwechselnd drei Jagdhörner, im Dreipaß verschränkt, und die Initiale W. 1807 wurde er zum Ritterorden vom Goldenen Adler. Marginale Änderungen in der Darstellung waren damit verbunden, z. B wurde aus der Initiale W ein Monogramm FR. Später wurde daraus der Württembergische Kronenorden bzw. Orden der Württembergischen Krone. Am 23.09.1818 vereinigte König Wilhelm I. den Orden des goldenen Adlers mit dem am 6.11.1806 vom König Friedrich I. gestifteten Civilverdienstordens. Er bestand bis zur Auflösung des Königreichs Württemberg 1918. Es gibt hier viele Ungenauigkeiten im Detail, doch die Kombination aus Adlern, W und Jagdhörnern läßt erkennen, daß der württembergische Jagdorden gemeint ist.

Und hier stellt sich die zweite Frage nach der Plausibilität: Carl Friderich Feuerlein, kurfürstlich-württembergischer Regierungsrat und Registrator der großen Ordenskanzlei, hat ein chronologisches Verzeichnis der Mitgenossen des kurfürstlich-württembergischen Großen Ritterordens von seiner Entstehung an bis auf das Jahr 1803 verfaßt (HStA Stuttgart Sig. E 16a, Bü 18a), worin säuberlich alle Ordensmitglieder gelistet sind. Dort wird nur ein einziges Mitglied aus der Familie Schenk von Castell aufgeführt, unter dem Datum 11.02.1769 Anton Reichsgraf Schenck von Castell auf und zu Waal. 1769 war das Kanzleigebäude 2 Jahre alt, und Marquard Willibald Anton war bereits 12 Jahre tot. Das heißt, daß entweder der falsche Vorname eingetragen wurde oder die Daten nicht stimmen. Wenn der Vorname stimmt, kann die Ordenskette nicht an einem 1767 erbauten Gebäude dargestellt werden. Wenn 1769 als Verleihungsdatum stimmt, muß der Begünstigte der Bauherr des Kanzleigebäudes gewesen sein, dann stimmt das Wappen der Ehefrau nicht, und der Vorname in den Ordenslisten wäre unzutreffend. Wenn der Vorname und das Verleihungsdatum stimmen, käme nur der jüngere Bruder des Malefizschenks in Frage, der Anton Aloysius Joseph hieß und 1738-1799 lebte, aber dieser regierte nicht und war nicht Bauherr der Kanzlei. Vermutlich handelt es sich um einen Fehlgriff bei Anbringung der Malerei, denn so, wie es ist, passen die heraldischen Inhalte und Jahreszahlen nicht zusammen. Eine Verwechslung des Vornamens in der Ordenskanzlei und eine Verwechslung der Ehefrau durch den Maler ist die plausibelste Erklärung, denn der Bauherr des Gebäudes ist eindeutig Ludwig Franz Wilhelm Marquard Ignaz Xaver Gebhard Adam Thaddäus Willibald Schenk von Castell Graf zu Schelklingen und Berg, aber der war mit einer von Hutten verheiratet.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.3018803,9.8317936,20z - https://www.google.de/maps/@48.3018803,9.8317936,84m/data=!3m1!1e3
Schenk von Castell:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schenk_von_Castell
Hinweistafeln am Gebäude und im Ort
Albert Raff: Verleihungsliste: Die Ritter des herzoglich württembergischen Ritterordens von der Jagd (1702-1806), Stuttgart, Stand: 2.11.2013
Carl Friderich Feuerlein, kurfürstlich-württembergischer Regierungsrat und Registrator der großen Ordenskanzlei: chronologisches Verzeichnis der Mitgenossen des kurfürstlich-württembergischen Großen Ritterordens von seiner Entstehung an bis auf das Jahr 1803 (HStA Stuttgart Sig. E 16a, Bü 18a)
Orden des Goldenen Adlers:
https://de.wikipedia.org/wiki/Orden_des_Goldenen_Adlers
Darstellungen des Ordens des Goldenen Adlers:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Order_of_Saint_Hubert_in_Württemberg
Württembergischer Kronenorden:
http://www.zeno.org/Pierer-1857/A/Württembergischer+Kronenorden
P. Beck: Franz Ludwig Graf Schenk von Castell, in: Allgemeine Deutsche Biographie 36 (1893), S. 766-771
https://www.deutsche-biographie.de/pnd119168804.html#adbcontent - https://www.deutsche-biographie.de/pnd119168804.html
Franz Ludwig Graf Schenk von Castell in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Ludwig_Schenk_von_Castell_(1736%E2%80%931821)

Ortsregister - Namensregister - Regional-Index
Zurück zur Übersicht Heraldik

Home

© Copyright / Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2024
Impressum