Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2685
Braunschweig (Niedersachsen)

Gewandhaus

Das Gewandhaus (Altstadtmarkt 1) bildet mit seiner Längsseite den südlichen Abschluß des Altstadtmarktes. Der 63 m lange und 13 m lange, viergeschossige Steinbau hat jedoch seine Schauseite mit dem Schmuckgiebel auf der Ostseite, gegenüber der Einmündung der Poststraße. Bei diesem Bau handelte es sich um das Gildehaus und Lagerhaus der reichen Tuchhändler und Gewandschneider der Altstadt, einem der fünf alten Braunschweiger Stadtteile innerhalb der Stadtmauern. Das bereits 1303 erwähnte, mehrfach vergrößerte Gewandhaus, das als Versammlungshaus, Verkaufsstätte und Warenlager von der Tuchmachergilde, der vornehmsten Gilde der Altstadt, genutzt wurde, wurde von 1589 (Jahreszahl an der Westfront des Hauses im mittleren Giebelgeschoß unter dem Stadtwappen) bis 1591 (Datierung in der Inschrift am Ostgiebel) umgestaltet und mit zwei neuen Giebeln versehen. Es stellt mit dem besonders prunkvollen Treppengiebel auf der Ostseite, einem der schönsten seiner Zeit, einen Höhepunkt Braunschweiger Renaissance-Architektur dar. Der ausführende Baumeister war der aus Südwestdeutschland stammende Steinmetzmeister Balthasar Kircher. Weitere ausführende Meister waren der Maurermeister Magnus Klinge und der Bildhauer Georg Röttger für den Figurenschmuck. Den Westgiebel hingegen gestaltete der Hildesheimer Baumeister Wolter.

Aber hier wurden nicht nur Tuche gelagert und zugeschnitten, sondern zeitweise auch Kanonen, Korn etc. Im 19. Jh. wurde der riesige Bau als Magazin und Weinhandlung genutzt. 1857-1858 wurde der Ostgiebel renoviert. 1858 wurde der Staat, also das Herzogtum, Eigentümer des Gebäudes, 1907 wieder die Stadt Braunschweig. Auf der Südseite des Gewandhauses wurden die verbliebenen mittelalterlichen Fachwerkbauten Anfang des 10. Jh. abgerissen, um dort 1905 einen Neubau der Industrie- und Handelskammer errichten zu können. Was wir heute sehen, ist eine weitgehende Rekonstruktion aus der Zeit 1948-1954, denn das Gewandhaus wurde im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört; nur die beschädigte Ostfassade blieb stehen, während das Gebäude selbst vollständig ausbrannte. Die komplette aus Bruchsteinen gemauerte Nordflanke war eingestürzt, ebenso Dach und Zwischendecken. Als in einer Nacht des Jahres 1946 ein Sturm über die Stadt fegte, brach der obere Abschnitt der Ostfassade ein und stürzte herab. So frei, wie wir das Gewandhaus heute sehen, stand es nie, denn die komplette lange Traufseite im Norden zum Platz hin war mit einer heute fehlenden, da kriegszerstörten Häuserzeile zugebaut. Auch die dort im Zuge der Neugestaltung gebrochenen Fenster gab es zuvor nicht. Für den Wiederaufbau verantwortlich waren der Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer (1907-1990) und die Bildhauer Jakob Hofmann (1876-1955), Kurt Edzard (1890-1972) und Karl Paul Egon Schiffers (1903-1987). Einer der Bildhauer verewigte sich selbst bei den neu entworfenen Masken des Ostgiebels, eine andere Maske ist das Konterfei von Pablo Picasso. Eine Renovierung erfuhr die Fassade im Jahr 1976. In der Halle und in den Gewölbesälen sind heute zwei Restaurants untergebracht. Der obere Teil wird seit 1910 von der Industrie- und Handelskammer Braunschweig genutzt.

 

Im Erdgeschoß öffnet sich das Haus zur Straße hin mit drei großen Bögen, in den drei Obergeschossen jeweils mit einem großen Bogen bzw. Korbbogen in der Mitte, während rechts und links je zwei Fenster angeordnet sind. Der Bogen des ersten Obergeschosses der Ostfassade ist besonders breit; darunter befindet sich eine zweiteilige Maßwerkbrüstung. Der Rhythmus 2:1:2 setzt sich in den Giebelgeschossen fort. Die Fassade besitzt eine ausgesprochen starke Horizontalgliederung, verbunden mit einer einzigen Vertikalen in der Mitte aus den breiten Bögen, dem Stadtwappen und der bekrönenden Figur. Die Gesimse zwischen den Geschossen sind mit Konsolen und Löwenmasken sowie grotesken Masken verziert. Am Gesims zwischen dem obersten Hauptgeschoß und dem untersten Giebelgeschoß tragen zwei Löwenmasken goldene Ringe im Maul. Am Ostgiebel trennen hohe Friese die vier Giebelgeschosse. Voluten bilden die äußeren Abschlüsse der Fensterzonen. Mehrere Statuen beleben den Giebel, im zweiten Giebelgeschoß zwei Wächter mit Schild und Hellebarde, im vierten Giebelgeschoß rechts eine Allegorie der Fortitudo (Stärke) mit der entzweigebrochenen Säule, links eine Allegorie der Spes (Hoffnung) mit Anker. Der rundbogige Giebelaufsatz wird von zwei Obelisken flankiert und trägt als Bekrönung die geflügelte Figur der Iustitia mit Schwert und Waage. Im dritten Giebelgeschoß sind seitlich neben den Voluten zwei weitere Obelisken zu sehen. Die die Fenster der Giebelgeschosse trennenden Pilaster sind im ersten, dritten und vierten Giebelgeschoß als Hermenpilaster ausgebildet und mit Fruchtgehängen und weiteren Ornamenten verziert. In den beiden seitlichen Feldern des untersten Giebelgeschosses sind zwei Schrifttafeln zu sehen, links mit dem Wortlaut "QVOD TIBI / HOC / ALTERI" - was dir (recht) ist, ist dem anderen (billig), rechts mit der Datierung "ANNO / 1590". Zwischen dem dritten und dem vierten Giebelgeschoß ist im mittleren Abschnitt zu lesen: "HANS LAMPE CAEMMERER IN DER / ALTTEN WIECK VND DERZEIT BAVHER(R) / DER STA(D)T ANNO 1591". Hans Lampe war 1589-1593 Generalbaumeister der gesamten Stadt Braunschweig, deshalb übernahm er im Frühjahr 1589 die Bauleitung für das Gewandhaus. Das mittlere Feld wurde seitlich ergänzt durch "DURCH BOMBEN / ZERSTOERT / ..." und "WIEDERAUFGEBAUT 1948-50 / VON STADT UND HANDELS- / ....". Die unterste der drei Zeilen ist vom Boden aus nicht erkennbar.

Das medaillonartig gestaltete Wappen im mittleren Feld des dritten Giebelgeschosses ist ursprünglich das des Braunschweiger Stadtteils Altstadt, das dann von der gesamten Stadt Braunschweig übernommen wurde, in Silber ein roter Löwe, hier besonders plastisch herausgearbeitet. Jeder der fünf innerhalb der Stadtmauern gelegenen Stadtteile ("Weichbilder") besaß einst ein eigenes Wappen. Das erinnert an die historische Struktur der Stadt, die sich aus dem Zusammenschluß von fünf Stadtteilen bildete. Jeder Stadtteil verwaltete sich selbst und hatte ein eigenes Rathaus und eine eigene Verfassung. Der nordöstliche Stadtteil Hagen besaß den gleichen Löwen, belegt mit dem Katharinenrad. Der südöstliche Stadtteil Altewieck führte in Silber einen roten, hersehenden Löwenkopf. Der nordwestliche Stadtteil Neustadt führte in Silber den roten Löwen mit einem schräglinksgelegten silbernen Anker auf der Schulter, weil hier der Umschlagplatz für Schiffsladungen war. Und der Sack zwischen Burgplatz und Altstadt führte in Silber auf einem roten, schwarzgefugten trapezförmigen Podest einen stehenden roten Löwen, den Burglöwen. Am Heinrichsbrunnen auf dem Hagenmarkt, am Sockel der Statue Heinrichs des Löwen und am Rathaus sind die Einzelwappen dargestellt, an der letztgenannten Stelle wegen Kriegszerstörung ohne das Wappen der Altstadt.

Das Wappen des Stadtteils Altstadt wurde schließlich für die gesamte Stadt Braunschweig übernommen, rot in silbernem Felde und ohne Beizeichen. Erste Darstellungen des Braunschweiger Stadtwappens gibt es im 14. Jh., und König Albrecht II. erkannte am 15.10.1438 in einem heute noch im Stadtarchiv aufbewahrten Wappenbrief dieses Wappen an. In neuerer Zeit sprang die Stadt auf den überflüssigen und unschönen Trend der Logoisierung von Wappen auf und bastelte daraus ein Signet, das den Löwen nur als roten Linienumriß zeigt, sozusagen in "Schattenfarbe", eine gebrauchsgraphische Umwandlung des 1954 vom Graphiker Hermann Eidenbenz gezeichneten Wappenaufrisses. Das Signet entspricht in keiner Weise guter Heraldik, weil es keine Schildform mehr verwendet, weil Gebrauchsgraphik etwas völlig anderes als heraldische Stilisierung ist und weil eine essentielle heraldische Information, die rote Farbe des Löwen, durch die Reduzierung auf eine fette Umrißlinie in Frage gestellt wird. Der Eidenbenz-Aufriß ist heraldisch in Ordnung, das Signet ist es nicht.

Der Westgiebel des langen, schmalen Baus ist ungleich schlichter. Die Dreiteilung der Geschosse wird beibehalten. Der Giebel wird am Rand durch aufwendige Voluten verziert, besitzt aber keine Figuren, und das ganze Dekor ist wesentlich reduzierter. Auch dort ist zwischen den beiden obersten Ladeluken ein Rollwerkschild mit dem roten Löwen auf silbernem Grund angebracht.

Auf der Nordseite zum Altstadtmarkt hin befindet sich ein mit mehreren Wappen geschmücktes Portal aus der Renaissance. Das ist zwar ein Original, aber in keinster Weise an dieser Stelle authentisch. Das Gewandhaus war früher gar nicht zum Altstadtmarkt hin orientiert, vielmehr stand da eine Häuserzeile vor, die 1944 Opfer der Bombenangriffe wurde. Die Nordseite war nie als Schauseite konzipiert. Dieses Portal befand sich früher 750 m weit weg im Nordosten der jetzigen Stelle und stammt vom kriegszerstörten Anwesen Hagenmarkt 20. Der Torbogen selbst ist in einzelne, abwechselnd mit einem Kopf und mit einer mit Beschlagwerk umfaßten Halbkugel belegten Schmuckflächen unterteilt. Er wird flankiert von zwei seitlich angebrachten Hermen, jeweils einem bärtigen Mann mit vor der Brust schräggekreuzten Armen. In den beiden Zwickeln sind zwei Wappenschilde angebracht, in der gegenwärtigen Farbfassung heraldisch rechts in Grün ein goldener Sparren, links in Blau fünf (3:2) goldene Ringe. Es ist unbekannt, zu welchen Familien diese Wappen gehören, und es ist nicht bekannt, ob die gegenwärtige Farbfassung korrekt ist. Bisherige Zuordnungsversuche ergaben keine Übereinstimmung des Wappens.

 

Das Gebäude, von dem das Portal stammt, war auf 1590 zu datieren; diese Jahreszahl stand früher einmal an der Hofseite des Gebäudes vor den Bombentreffern. Das Portal der ehemaligen Hagenmarktapotheke selbst besitzt keine Datierung. Im Gebälk ist in goldenen Kapitalis-Lettern auf blauem Grund zu lesen: "VERBVM DOMINI MANET IN AETERNVM" - das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit bestehen. Darüber befindet sich ein Aufbau mit einem großen Wappen mit einem roten Löwen, der auf der Schulter mit einem vierspeichigen Rad belegt ist. Er überdeckt einen grün-goldenen Schild, der mit Sicherheit nicht korrekt gefaßt ist (vgl. Wappen im Zwickel), und die Initialen G und M.

Das Ganze wird eingerahmt von einer üppigen Kartusche mit Beschlag- und Rollwerk. Zwei hersehende, zähnefletschende goldene Löwen mit untergeschlagenen Schwänzen dienen als Schildhalter. Zwei halbrunde Säulen mit korinthischen Kapitellen tragen den Giebel, in dessen Dreieck ein bärtiger, behelmter Männerkopf zu sehen ist. Der Löwe mit dem Rad ist das Wappensymbol des Braunschweiger Stadtteils Hagen, denn dieser Stadtteil führte in Silber einen roten, auf der Schulter mit einem silbernen Rad belegten Löwen. Der Braunschweiger Löwe wurde mit dem Rad der hl. Katharina, der Patronin des nordöstlichen Stadtteils Hagen und seiner Kirche St. Katharina, kombiniert. Das Speichenrad ist deshalb auch außen mit Klingen besetzt. Der Löwe wurde hier nachträglich eingefügt, denn ursprünglich befand sich hier vermutlich das gleiche Wappen wie im heraldisch rechten Zwickel.

Weiter im Osten befindet sich ein Fachwerkhaus, das dem Gewandhaus angebaut wurde. Es handelt sich um das ehemalige Rüninger Zollhaus (Altstadtmarkt 2), das hier 1948-1950 im Zuge der Neugestaltung der südlichen Platzfront hingebaut wurde, um die nach der Zerstörung der Häuserreihe klaffende Lücke zwischen Gewandhaus und Martini-Kirche etwas zu schließen. Das Erdgeschoß ist massiv, die zwei vorkragenden Obergeschosse des zum Markt hin traufständigen Baus sind aus Fachwerk. Im Grunde ist die Bezeichnung "Rüninger Zollhaus" ein Euphemismus, denn das Haus ist völlig neu konzipiert, es wurden nur Holzteile des 1643 erbauten Rüninger Turms verbaut. Die Dimensionen des Neubaus sind denen der einst hier vorhandenen Krambuden angeglichen. Die Zierelemente und die Hölzer mit Ornamentschnitzerei sind also authentische Originale, der Kontext ist frei erfunden. Auch hier ist an der Nordseite ein Wappen angebracht. Es handelt sich wieder um das Stadtwappen der Braunschweiger Altstadt und der Stadt Braunschweig, in Silber ein roter Löwe, hier in einer ganz ungewohnten Variante mit Oberwappen, auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken ein rundes, außen mit Pfauenspiegeln bestecktes Schirmbrett mit rot-silbern gestücktem Bord, im silbernen Zentralfeld der rote Löwe.

Literatur, Links und Quellen:
Position in Google Maps: https://www.google.de/maps/@52.2625092,10.5176463,18z - https://www.google.de/maps/@52.2624772,10.5176549,55m/data=!3m1!1e3
Deutsche Inschriften Bd. 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 620 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn: nbn:de:0238-di056g009k0062001 - http://www.inschriften.net/braunschweig/inschrift/nr/di056-0620.html#content
Deutsche Inschriften Bd. 56, Stadt Braunschweig II, Nr. 634(†) (Sabine Wehking), in:
www.inschriften.net, urn: nbn:de:0238-di056g009k0063400 - http://www.inschriften.net/braunschweig/inschrift/nr/di056-0634.html#content
Gewandhaus bei Archinform:
https://deu.archinform.net/projekte/11011.htm
Gewandhaus bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gewandhaus_(Braunschweig)
Stadtteil Hagen bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hagen_(Braunschweig)
Stadtteil Altstadt bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Altstadt_(Braunschweig)
Braunschweiger Löwe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Braunschweiger_Löwe
Wappen von Braunschweig:
http://www.civicheraldry.de/page/20275
Wappen von Braunschweig:
https://www.heraldry-wiki.com/heraldrywiki/wiki/Braunschweig
Wappen von Braunschweig und seinen historischen Stadtteilen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wappen_der_Stadt_Braunschweig#Wappen_der_fünf_Weichbilde
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Braunschweig, Teil 1, Bd. 1.1, bearbeitet von Wolfgang Kimpflinger, hrsg, von Christiane Segers-Glocke, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Veröffentlichung des Instituts für Denkmalpflege, Verlag C. W. Niemeyer, Hameln, 1993, ISBN 3-87585-252-4, S. 50 ff., insbes. S. 79-81

Ortsregister - Namensregister - Regional-Index
Zurück zur Übersicht Heraldik

Home

© Copyright / Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2020
Impressum