Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2564
Euerdorf (Landkreis Bad Kissingen, Unterfranken)

Domkapitularisches Amtsgebäude

Das einstige domkapitularische Amtshaus (Gerichtsgasse 22) liegt im Nordwesten des alten Euerdorfer Kernbereichs zwischen Ringstraße und Gerichtsgasse, direkt nördlich der Pfarrkirche. Das Haus diente der Wahrnehmung der umfangreichen Rechte des Würzburger Domkapitels und der Verwaltung der ihm zustehenden Steuereinnahmen aus dem gesamten mittleren Saaletal. Das straßenseitig mit einem polygonalen Treppenturm mit geschweifter Haube und an seiner nördlichen Schmalseite mit einem Treppengiebel versehene Gebäude war Teil eines Freihofes, d. h. die Besitzer waren selbst von jeglicher örtlichen Steuer befreit und unterstanden auch nicht der örtlichen Gerichtsbarkeit. Auch für die Besetzung der Pfarrstelle in der Kirche war das Domkapitel zuständig. Euerdorf war für das Hochstift Würzburg ein wichtiger Verwaltungs-Stützpunkt im Norden, fast so wichtig wie "gegenüber" im Westen Hammelburg für die Fürstabtei Fulda. In Euerdorf gab es auch ein Kellereigebäude.

Das Domkapitel besaß in Euerdorf den gesamten Wein- und Getreidezehnt. Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn ließ den Ort sogar mit Wehrmauer und vorgelagertem Graben befestigen und 1582-1586 mit drei Torbauten ausstatten, wovon zwei als richtige Tortürme gestaltet waren, einer davon ist noch vorhanden. Das verursachte großen Unkosten für die Bewohner, die das alles gegenfinanzieren mußten. Bis 1973 diente das Gebäude als Forstamt. 1979 wurde das Haus von der Gemeinde erworben. Heute wird das Gebäude als paläontologisches Museum "Terra Triassica" genutzt, mit Exponaten zur Germanischen Trias (Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper), deren Versteinerungen die triassische Lebenswelt im Gebiet des heutigen Mainfrankens und den Wandel der Lebensbedingungen illustrieren.

Heraldische Bauplastik sehen wir auf der siebenachsigen Rückseite des zweistöckigen Gebäudes, auf der dem Garten zugewandten Westseite. Im oberen Teil sind drei Wappenschilde nebeneinander angeordnet über folgender Inschrift, die die Datierung auf das Jahr 1598 enthält und ansonsten jeden segnet, der am Entstehen dieses Gebäudes mitgeholfen hat: "Alls dausent und fünffhund(ert) Ja(h)r / Sampt neüntzig acht gez(a)e(h)lt war / Nach christi unserß Herrn gebüert / Di(e)s freyhoffs Baw vol(l)fü(h)ret würdt / Gott wöll den fristen langeß leben / So die Expenß darzü geben / Auch denen so mit Rath und Hant / I(h)r(e)n fleiß darbei hann Angewandt / Hernach wan(n) nün ein(e)ß Jeden zeitt / Verloffen ist die ewig(e) Freüdt:".

Der mittlere Wappenschild zeigt den Fränkischen Rechen, mit drei Spitzen rot-silbern geteilt. Das Motiv taucht hier allein auf, ist nicht mit anderen Inhalten geviert und ist auch ohne fürstbischöfliche Amtszeichen, daher ist es hier das Würzburger Domkapitel, dem dieser Freihof gehört, nicht ein Fürstbischof. Entsprechend findet auch in der Inschrift der Fürstbischof keinerlei Erwähnung. Rechts und links sind die Wappenschilde der beiden zur Bauzeit wichtigsten Mitglieder des Domkapitels angeordnet.

 

Heraldisch rechts ist der Wappenschild der von Thüngen zu sehen, in Silber ein fünfmal wellenförmig golden-rot gespaltener Balken. Im Jahre 1598 ist dieses Wappen dem Würzburger Dompropst Neidhardt von Thüngen (1.5.1545-26.12.1598) zuzuordnen; Sohn von Karl von Thüngen zu Wüstensachsen und Greifenstein, würzburgischer Amtmann zu Homburg an der Wern und Fladungen, und seiner Frau Elisabeth von Steinau gen. Steinrück. Begonnen hatte Neidhardt von Thüngen seine Klerikerkarriere am 21.2.1553 als Domizellar in Würzburg. Die Übernahme der Pfründe wurde möglich, weil Johann Konrad von Thüngen ausschied und die Präbende freimachte. 1561 ist er an der Universität Köln, 1562 an der Universität Freiburg i. Br. immatrikuliert, 1564 an der Universität Leuven. 1569 ging er zu Kapitel, d. h. er wurde Domkapitular. Hier in Würzburg stieg Neidhardt von Thüngen auch in weitere Kirchenämter auf, wurde am 11.9.1571 Domscholaster und 1574 Domdekan (Domdechant). Und er wurde am 1.4.1574 Propst des Stifts Neumünster (gegen den von der römischen Kurie empfohlenen Gebhard Truchseß von Waldburg, dem späteren Erzbischof von Köln) sowie 1591 Propst des Ritterstifts St. Burkard in Würzburg. Am 29.3.1578 bekam er die Diakonsweihe. 1591 bekam er auch die Propstei St. Jakob in Bamberg. 1574 immatrikulierte er sich in der Universität Siena. 1583 wurde er unter Julius Echter von Mespelbrunn Dompropst in Würzburg. Er wurde auch 1585/86 Rektor der Würzburger Universität. Eine Vakanz des Würzburger Bischofsstuhls erlebte er nicht mehr, denn Julius Echter lebte bis 1617. Deshalb war es gut, im Hochstift Bamberg noch ein zweites Eisen im Feuer zu haben: Am 10.3.1572 wurde er Domizellar in Bamberg, 1591 stieg er zum Domdekan auf. Dagegen sträubte sich Neidhardt zunächst, weil er als Dompropst in Würzburg Residenzpflicht hatte. Schließlich wurde er dort entsprechend freigestellt. Und als Ernst von Mengersdorf das Zeitliche segnete, war Neidhardts Stunde gekommen, und er wurde am 14.11.1591 in Bamberg zum Bischof gewählt. Aber auch hier verweigerte er zunächst die Annahme der Wahl.

Gleichzeitig Würzburger Dompropst und Bamberger Fürstbischof - geht das? Schon bei seiner Wahl zum Dompropst mußte sich Neidhardt gegen Wittelsbacher Ansprüche durchsetzen, was letztlich nur finanziell gelang. Die Würzburger Dompropstei war eine der lukrativsten Pfründen der ganzen katholischen Kirche im Reich, und er mußte seit seiner Wahl zum Dompropst die Wittelsbacher durchfüttern, damit die die Füße still hielten, denn Herzog Ernst von Bayern, späterer Erzbischof von Köln, machte Ansprüche geltend und fühlte sich übergangen. Erst  am 5.9.1586 bestätigte Papst Sixtus V. Neidhardt von Thüngen in seinem Amt als Dompropst, denn das ging erst, nachdem der Wittelsbacher formal verzichtet hatte und Herzog Ferdinand von Bayern zum Koadjutor ernannt worden war. Neidhardt von Thüngen mußte Herzog Ferdinand ein Jahresgehalt zahlen (Werdenfelser Vertrag vom 5.3.1588). Trotz seiner Wahl zum Bamberger Fürstbischof versuchte Neidhardt von Thüngen, die reiche Pfründe der Würzburger Dompropstei zu behalten. Es war sogar eine seiner Bedingungen zur Annahme der Bamberger Wahl. Dahinter steckte die nackte Geldgier, weil er verschuldet war. Auch in den Verhandlungen zur päpstlichen Bestätigung spielte das eine Rolle. 1592 bat Kaiser Rudolf II. den Papst um ein Indult, damit Neidhardt die Pfründen derartig akkumulieren konnte. Die Würzburger Neumünsterpropstei behielt er nämlich auch als Bischof bei. Auch das Domkapitel Würzburg hatte sich an den Papst mit gleichlautender Bitte gewandt. Auf der Gegenseite forderte Herzog Wilhelm V. von Bayern die Nichtzulassung der Ämterakkumulierung und die Vergabe der Würzburger Dompropstei an seinen Sohn Ferdinand. Das wurde seitens Neidhardts von Thüngen abgelehnt, weil seine Schulden zu hoch seien. Herzog Wilhelm V. von Bayern intervenierte daraufhin in Rom und erhob Einspruch gegen Erteilung eines Dispenses in dieser Sache. In Rom stapelten sich also die Pro- und Contra-Eingaben in dieser Sache.

1592 bekam Neidhardt eine päpstliche Bulle von Gregor XIV., nicht in seinem Sinne. Die Verhandlungen gingen ins zweite Jahr, Neidhardt bot sogar an, zur Beibehaltung der Würzburger Dompropstei eine bestimme Summe Geldes jährlich in Rom zu hinterlegen (ein Bestechungsversuch?), und drohte, in Bamberg als Bischof zu resignieren (ein Erpressungsversuch?). Er war aufgrund seiner Schulden von 30000 fl. zu abhängig von den Würzburger Einnahmen - jedes gewonnene Jahr zählte. Im Herbst des Jahres 1592 stand er in Bamberg tatsächlich kurz vor dem Rücktritt. Erst am 21.6.1593 stellt man in Rom alle Konfirmationsbullen für Neidhardt von Thüngen als Bamberger Bischof aus, nachdem Herzog Wilhelm V. von Bayern für seinen Sohn verzichtet hatte, endgültig erst 1594 gegen Zusicherung Neidhardts, seinem Sohn eine Koadjutorie in Bamberg zu geben. Die päpstliche Bulle für die Beibehaltung der Würzburger Dompropstei kostete übrigens 2000 Dukaten. Erst am 25.3.1596 ließ sich Neidhardt von Thüngen zum Priester weihen, fünf Jahre nach seiner Bamberger Wahl. Die Bischofsweihe folgte am 11.11.1597. Mit seinem Amtskollegen Julius Echter von Mespelbrunn verstand er sich nach wie vor prächtig, und gemeinsam betrieben sie die Gegenreformation und Rekatholisierung in beiden Hochstiften. Neidhardt von Thüngen verstarb zwar in Würzburg, doch er wurde nach Bamberg in den Dom zur Beerdigung gebracht. Im Würzburger Dom befindet sich an der Westwand des Querschiffs ein Kenotaph für ihn. In der Klosterkirche auf dem Bamberger Michaelsberg ist ein weiteres Epitaph für ihn. Damit erzählt dieses Wappen mit diesem Baujahr auch die Geschichte von Geld und Gier und einer unglaublichen Pfründenhäufung, bei der die Gläubigen und ihre Bedürfnisse so weit hinten kamen wie die höheren Weihen. Weil er hier in Euerdorf ausschließlich in seiner Funktion als Würzburger Dompropst in Erscheinung tritt, spielen seine Bamberger Würden hier auch heraldisch keine Rolle.

Auf der heraldisch linken Seite ist ein Widderhorn zu sehen, das prinzipiell in Franken von vier Familien geführt wird, von den Kottwitz von Aulenbach, den von Fechenbach, den von Düren und den von Adelsheim. Aufgrund der Datierung handelt es sich hier um den Domdekan Johann Konrad Kottwitz von Aulenbach (-29.12.1610), der in Silber ein schwarzes Steinbockshorn führt. Sein Klerikerleben begann am 22.2.1561, als er die durch den Tod von Kaspar von Würtzburg freigewordene Dompräbende übernahm. 1574 ging er zu Kapitel. Er war außerdem seit 1562 Domherr in Mainz, wo er 1573 Kapitular wurde. Am 30.4.1584 wurde er Domdekan in Würzburg, 1594 Domcustos in Mainz. Ferner war er Propst des Klosters Wechterswinkel und Propst von Stift Haug in Würzburg und außerdem im Jahr 1580 Landrichter im Herzogtum Franken. Für diesen Kleriker existiert ein sehr aufwendiges Epitaph im Würzburger Dom an der Ostwand des nördlichen Querschiffes über der Sakristeitür. Das Epitaph für die Eltern des Klerikers, Johann Leonhard Kottwitz von Aulenbach (-1575) und Brigitta von Ehrenberg (-1560), befindet sich übrigens in Klingenberg in der Pfarrkirche.

Darunter ist noch eine Reihe von insgesamt vier Wappenschilden im Sockelbereich zu sehen, 1.) ein stehender Mann mit einer Pflanze in der Rechten, die Linke eingestemmt, 2.) ein von zwei Sternen begleiteter und mit einem Z-förmigen Doppelhaken mit schräg verstutzten Enden, 3.) eine Marke aus einem Dreieck und einem damit verschmolzenen Sturzsparren und 4.) erniedrigt geteilt, oben ein liegender Stamm, aus dem oben drei Blätter emporwachsen, unten drei Spickel. Die Zuordnung ist überall offen, vermutlich bürgerliche Keller oder Amtsleute in Diensten des Domkapitels (Hinweise willkommen). Ganz unten ist über dem abschließenden Ornament ein zeittypisches Steinmetzzeichen zu sehen.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@50.1490981,10.0212606,17.94z - https://www.google.de/maps/@50.1490981,10.0212606,356m/data=!3m1!1e3
Historischer Dorfrundgang:
https://www.vg-euerdorf.de/markt-euerdorf/historischer-dorfrundgang/16-ehemaliges-jagdschloss/index.html
Terra triassica:
http://www.terra-triassica.de/ - Museumsflugblatt: http://www.terra-triassica.de/wp-content/uploads/2013/04/Euerdorf_Flyer_Museum_Ansicht.pdf
Joh. Octavian Salver, Proben des hohen deutschen Reichs Adels oder Sammlungen alter Denkmäler
http://books.google.de/books?id=ZONWAAAAcAAJ S. 453-456
Kottwitz von Aulenbach:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kottwitz_von_Aulenbach
Dieter Michael Feineis, das Geschlecht der Kottwitze von Aulenbach, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter, 57. Band, 1995:
http://www.klingenberg-main.de/geschichte/pdf/aulenbach_kottwitz.pdf
Dieter J. Weiß: Neithard von Thüngen, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 54-55 -
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118956957.html#ndbcontent - https://www.deutsche-biographie.de/sfz71013.html
Dieter J. Weiß: Das exemte Bistum Bamberg 3, die Bischofsreihe von 1522 bis 1693, Germania Sacra NF 38,1, hrsg. vom Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen, Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York 2000, ISBN: 978-3-11-081133-9, S. 258-304 -
https://rep.adw-goe.de/handle/11858/00-001S-0000-0003-16FA-2 - https://rep.adw-goe.de/bitstream/handle/11858/00-001S-0000-0003-16FA-2/NF%2038%2c1%20Wei%c3%9f%20Bamberg%203%20Bfsreihe.pdf?sequence=1
Baudenkmäler in Euerdorf:
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Euerdorf#Euerdorf

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