Bernhard
Peter
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Photos schöner alter Wappen Nr. 2313
Neresheim (Ostalbkreis)
Die Benediktiner-Abtei Neresheim
Die auf dem Ulrichsberg über dem Ort Neresheim gelegene Benediktinerabtei St. Ulrich und Afra besteht aus zwei Baugruppen auf verschiedenen Ebenen, die im Osten durch die Prälatur, durch welche der Hauptzugangsweg führt, verzahnt werden. Tiefer am Hang im Westen liegen die ein riesiges Rechteck bildenden Wirtschaftsflügel, an die früher im Norden noch das abgebrochene Schulgebäude anschloß. Auf der oberen Ebene befinden sich im Norden die barocke Abteikirche und im Süden davon das eigentliche Kloster. An der Nahtstelle zwischen beiden Einheiten steht der markant wie eine Landmarke aufragende Kirchturm. Das Kloster selbst umschließt mit mehreren Flügeln zwei Innenhöfe. Im dreigeschossigen Westflügel trennt das große Treppenhaus den Gästetrakt im Norden und den Repräsentationsteil mit Festsaal im Süden. Der Südflügel enthält Konventsräume und in seiner Ostverlängerung das Refektorium im Erdgeschoß und die Bibliothek im 2. Obergeschoß. Der Ostflügel enthält weitere Konventsräume und den Kapitelsaal. In der nördlichen Fortsetzung liegt die Sakristei in der Nähe zur Klosterkirche. Der die beiden Innenhöfe trennende Verbindungstrakt zwischen West- und Ostflügel birgt weitere Konventsräume. Im Osten schließt sich der Klostergarten an.
Die residenzartig wirkende Westfassade des Klosters (Abb. oben) weist eine interessante Gestaltung auf: Die Seitenteile sind jeweils sechs Fensterachsen breit, und die Giebel über den Fenstern wechseln wie Schachbrettfelder zwischen Dreiecksgiebeln und Segmentbogengiebeln, horizontal und vertikal alternierend. Die Kapitelle der gliedernden Lisenen folgen der klassischen Ordnung dorisch-ionisch-korinthisch. Der dreiachsige Mittelteil, der das große Treppenhaus enthält, hat gegenüber dem Seitenteil höhenversetzte Fenster, weshalb nur zwei Ebenen mit Fenstern voller Geschoßhöhe existieren, während oben und unten kleine Rechteckfenster den jeweiligen Höhenversatz ausgleichen. Ebenso ist die breite Bänderung der Fassade durch die farblich abgesetzte Brüstungszone hier in versetztem Rhythmus zu sehen. Nach unten wird der Mittelteil durch das Podest mit der doppelläufigen Freitreppe betont, nach oben durch einen dreigeschossigen Schweif- und Volutengiebel.
Als die neue Abtei gebaut wurde, wurde dieser Giebel nach dem Vorbild der bereits mit einem barocken Schweifgiebel ausgestatteten alten Abteikirche gestaltet. Als man sich später entschloß, die ganze Kirche besser, größer, wirkungsvoller und repräsentativer neu zu bauen und vor allem ein Stück nach Norden neben die alte Abteikirche zu setzen, paßte auf einmal dieser Schweif- und Volutengiebel am Konventsgebäude nicht mehr ins Gesamtkonzept - man riß ihn 1792 kurzerhand ab, ungeachtet der Tatsache, daß der Fassadentorso einen Teil seiner Mittenbetonung und seine gestalterische Harmonie einbüßte. Der Giebel wurde erst während der Restaurierung der Abtei 2003-2004 rekonstruiert, so daß die Fassade wieder ihre ursprüngliche Wirkung entfalten kann. Links neben den Konventsgebäuden ist ein nur zweigeschossiger, rückspringender Zwischentrakt zu sehen - diese Fuge im Ensemble ist das Ergebnis des Abrisses der alten Klosterkirche.
Dieser Wappenstein befindet sich vor der Westfassade des Konventsgebäudes am vorgezogenen Sockel mit Kellereingang. Zu der vor dem Haupteingang gelegenen Plattform führen zwei abknickende Freitreppen hoch. Dieses Ensemble wurde 1755 errichtet. Unter dem Wappenstein sind die Initialen AAIN zu lesen für Aurelius Abt in Neresheim. Abt Aurelius Braisch (4.4.1694-12.9.1757) amtierte als Abt 1739-1755. Er wurde in Ehingen im damaligen Vorderösterreich geboren. Im Alter von 20 Jahren wurde er in Neresheim Novize. Die Priesterweihe erhielt er 1718. Danach unterrichtete er am Klostergymnasium. 1731-1732 lehrte er die Fächer Theologie und Philosophie an der Hochschule in Freising. Danach übernahm er am Kloster Neresheim die Stelle als Ökonom, bis er am 3.3.1739 zum Abt gewählt wurde. Abt Aurelius wurde ein großer Bauabt. Unter ihm wurde der völlige Neubau der Stiftskirche in Angriff genommen, ab 1747 durch den Baumeister Balthasar Neumann, für den diese Kirche eine letzte große Aufgabe wurde, ab 1750 durch Dominikus Wiedemann. Geschickterweise baute man sie nördlich der alten Kirche, damit man diese noch bis zum Funktionsübergang nutzen konnte. Danach wurde die alte Kirche abgerissen und das Ensemble durch Zwischenbauten wieder geschlossen. Und durch diese Planung konnte man den Turm behalten und weiternutzen, ohne daß es später jemandem auffallen würde, daß er quasi die Seiten gewechselt hatte.
In seine Amtszeit fällt auch die Auseinandersetzung mit den Grafen von Oettingen-Wallerstein um die Reichsunmittelbarkeit der Abtei. Jene besaßen das Vogteirecht und leiteten daraus die Landeshoheit ab. Zwistigkeiten gab es im Anschluß an die Übernahme der Klostervogtei durch die Grafen zunächst reichlich, wie z. B. die Gefangennahme des Neresheimer Abtes auf der Burg Wallerstein im Jahr 1353, und Überfälle, Verwüstungen und Geiselnahmen bereicherten den eintönigen Alltag der Mönche ungeplant. Erst seit einem 1583 zwischen der Abtei und dem Grafenhaus in München geschlossenen Vergleich war friedliche Koexistenz möglich. Zeitweise kam man sogar gut miteinander aus, doch seitdem die katholische Linie Oettingen-Wallerstein 1731 die evangelische Linie Oettingen-Oettingen beerbt hatte, wurde das territorial gewachsene Grafenhaus übergriffig. Jedenfalls prozessierten die Grafen beim Reichskammergericht in Wetzlar und der Abt beim Reichshofrat in Wien.
Der riesige in Angriff genommene Kirchenneubau sollte symbolisch zum angestrebten Rang einer Reichsabtei passen, so wie schon der neue Kirchturm zuvor zu einer Landmarke geworden war. Nach 15 Jahren Amtszeit legte Abt Aurelius sein Amt wegen Streitigkeiten mit Teilen des Konvents, nicht zuletzt über seine Alleingänge, seinen Starrsinn und seine Bauvorhaben, am 6.2.1755 nieder. Er verstarb nur zweieinhalb Jahre später im Alter von 63 Jahren. Die Vollendung der Kirche erlebte er nicht mehr, ebensowenig die Erlangung der Reichsunmittelbarkeit, die nach Fertigstellung ersterer erlangt wurde.
Das Wappen des Abtes Aurelius Braisch (1729-1755) ist dreiteilig mit separaten, 2:1 gestellten, ovalen Kartuschen, oben in der Mitte eine Inful mit beiderseits hochschlagenden Bändern, schräglinks dahinter der vergoldete Krummstab. Die beiden ersten Kartuschen sind inhaltlich dem Kloster zuzurechnen, das St. Ulrich und St. Afra geweiht war - das Kloster, nicht die Kirche, denn die war die Stiftskirche Heiligkreuz.
Der erste Wappenschild ist gewendet und zeigt das im Siebmacher Band: BayA1 Seite: 67 Tafel: 67 beschriebene Wappen der Grafen von Dillingen, in Blau ein silberner Schrägbalken, der oben und unten von je zwei hintereinander schreitenden, goldenen Löwen begleitet wird. Dieses Wappen ist über den aus dem Geschlecht der Grafen von Dillingen stammenden St. Ulrich, Bischof von Augsburg, zum allgemein verstandenen Wappen dieses Heiligen Ulrich geworden, und so taucht dieses Wappen sowohl beim Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg als auch beim Kloster St. Ulrich und Afra in Neresheim auf. Weiterhin taucht das Dillinger Wappen als Ulrichswappen beim Damenstift St. Stephan in Augsburg, bei den Dominikanerinnen von Mödingen, bei den Clarissen von Ulm-Söflingen und bei der Äbtissin von Oberschönenfeld auf (Zimmermann S. 21). Das Kloster Neresheim übernahm dieses Patrozinium von einer vor der Gründung bereits existierenden Kapelle zu Ehren des heiligen Ulrich von Augsburg auf der Ulrichsberg genannten Erhebung über dem Ort Neresheim. Es handelt sich um eine typisch mittelalterliche nachträgliche Übertragung von Wappeninhalten, denn der hl. Ulrich von Augsburg, Sohn des alemannischen Gaugrafen Hubald von Dillingen und dessen Frau Thietburga, ist 973 gestorben, tief in vorheraldischer Zeit, es handelt sich somit um eine nachträgliche Verknüpfung der jeglicher Form von Heraldik unkundigen Person mit dem Wappen des späteren Grafengeschlechts.
Das Kloster Neresheim ist eng verbunden mit den Grafen von Dillingen-Kyburg, der Stifterfamilie und ersten Inhabern der Klostervogtei. Graf Hartmann I. von Dillingen-Kyburg (um 1045-1121) und seine Gemahlin, die Erbtochter Adelheid von Winterthur-Kyburg (-1118), stifteten auf ihrem Eigengut 1095 ein Kanonikerstift, was aber nicht so recht zog. Im zweiten Anlauf berief man im Jahr 1106 Benediktinermönche aus dem Reformkloster Hirsau unter Führung des Petershausener Abtes Dietrich von Wülflingen zur Neubesiedlung der Stiftung. Graf Hartmann verbrachte seinen Lebensabend als Laienbruder im Kloster. Die Kinder der Stifter waren selbst so fromm, daß sie begeistert bei dem Klosterstiftungsprojekt mitmachten: Tochter Mathilde leitete im Ort Neresheim einen Frauenkonvent; Tochter Adelheid stiftete um 1111 ein Benediktinerinnenkloster in Zwiefalten, in das auch Tochter Hedwig eintrat, und wurde erste Priorin. Die Söhne Hartmann II. und Adalbert I. teilten sich die Herrschaft, ersterer übernahm die Gebiete an der Donau, letzterer die in der Nordschweiz als Graf von Kyburg. Sohn Ulrich wiederum wurde geistlich als Bischof von Konstanz. Bald fand die dritte Besiedlungswelle in Neresheim statt: Heinrich von Herrieden, bisheriger Prior von Zwiefalten, wurde 1116 neuer Abt in Neresheim, und als Frischzellenkur brachte er 1119 eine Gruppe Benediktinermönche aus Zwiefalten her, und ab da blühte die Abtei. Die Grafen von Dillingen teilten sich 1180 in eine 1263 erloschene Kyburger Linie (von den Habsburgern beerbt) und eine 1286 erloschene Dillinger Linie.
Als 1258 die Grafen von Dillingen in der Dillinger Linie akut vom Aussterben bedroht waren, weil das letzte männliche Familienmitglied, welches nun das Erbe übernahm, als Hartmann V. in Augsburg Fürstbischof war, kam die Klostervogtei an die Grafen von Oettingen, die sich die Schulden des Hochstifts bei ihnen zunutze machten, um ihren Einfluß auf Neresheim auszudehnen. Dies paßte dem Augsburger Bischof überhaupt nicht, der Teil der großen Besitzungen an das Hochstift Augsburg übertragen hatte, und man zankte sich 5 Jahre lang über das Thema, auch militärisch. Schließlich kam es am Mittwoch vor Christi Himmelfahrt 1263 in der Benediktinerabtei Hl. Kreuz in Donauwörth zu einem salomonischen Schiedsspruch seitens Albert des Großen: Gerne darf das Hochstift die Klostervogtei haben, wenn es seine Schulden bei den Grafen von Oettingen bezahlt hat, aber solange gehört sie jenen. 1286 starb der letzte Dillinger Grafensproß, natürlich ohne vorher seine Schulden beglichen zu haben, und die Vogtei blieb bei den Grafen von Oettingen für die nächsten 5 Jahrhunderte, also bis zur Unabhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit.
Und über die Reichsabtei Neresheim kam dieses Wappen als Feld in das große fürstliche Wappen der von Thurn und Taxis, wie es auf der Außenwand von Schloß Taxis bei Dischingen aufgemalt ist. Als die französischen Revolutionstruppen ins Land einfielen, wurde das Kloster Neresheim 1796 und 1800 Hauptquartier von General Moreau, dessen Offiziere die Klosterkirche am liebsten als Ballsaal genutzt hätten. Als die Klöster in der Säkularisation 1803 aufgelöst wurden, bekamen die Fürsten von Thurn und Taxis, um sich für die entgangenen Einkünfte der Reichspost in den an Frankreich abgetretenen Provinzen schadlos zu halten, die ehemalige Reichsabtei Neresheim und die Abteien Obermarchtal und Buchau als Ausgleich. Fürst Karl Anselm von Thurn und Taxis nahm am 22.12.1802 schon das Kloster in Besitz. Mit der Mediatisierung kam Neresheim an das Königreich Württemberg, wodurch nun auch die Klosterschule und der als Lehrkörper dienende Konvent aufgehoben wurden und wodurch die historische Nähe zu Augsburg gekappt wurde. Seit 1920 ist Neresheim wieder Benediktinerkloster, von Prag und Beuron aus besiedelt. 1927 trat sogar ein Mitglied des Fürstenhauses ins Kloster ein. Die Gebäude waren bis dahin nur gepachtet, doch aus diesem Anlaß bekamen die Benediktiner die Gebäude und zugehörige Landwirtschaft vom Fürstenhaus geschenkt. Das Feld blieb im fürstlichen Wappen.
Zurück zum Abtswappen: Der zweite Wappenschild ist geviert, Feld 1 und 4: in Schwarz ein schwebendes goldenes Kleeblattkreuz, Feld 2 und 3: fünfmal silbern-blau geteilt mit einem roten Löwen. Dieser Schild ist in seiner Bedeutung sehr weit hergeholt. Beginnen wir mit dem Stammwappen des Hauses Lusignan, das war siebenmal (oder mehr oder weniger) silbern-blau geteilt (silbern-blau gestreift). Diese de Lusignan wurden Könige von Zypern und Titularkönige von Jerusalem und Armenien. Alles begann damit, daß Guy de Lusignan 1192 die Insel Zypern bekam. Richard Löwenherz von England verkaufte erst den Templern, dann, nach Rückgabe seitens der Templer unter Verlust der Anzahlung, Guy de Lusignan seine Rechte am 1191 eroberten Inselkönigreich. Da Guy die Schwester des Königs von Jerusalem, Sybille, geheiratet hatte, war er auch König von Jerusalem de iure uxoris. Guys Bruder Amaury folgte ihm als Herr von Zypern nach und wurde vom Reichskanzler Konrad von Querfurt, Bischof von Hildesheim, in der Kathedrale von Nicosia zum ersten König von Zypern gekrönt, womit Zypern formal dem Reich unterstellt wurde. Auch Amaury hatte einen Anspruch auf den Königstitel von Jerusalem, weil er Isabella, Tochter des Königs Amalrich I. aus dem Haus Château-Landon, geheiratet hatte. 1205 war die Personalunion beendet, aber der Titel blieb im Hause Lusignan. 1393 kam das Titularkönigtum von Armenien hinzu. Der königliche Löwe von Zypern wurde den Lusignan-Streifen aufgelegt, und das wurde mit dem Jerusalem-Kreuz geviert. Ein solches Wappen ist am Refektorium der Ruine des gotischen Klosters Bellapais (Belapais) bei dem kleinen Ort Beylerbeyi/Bellapais in der Türkischen Republik Nordzypern über einem Türsturz angebracht; es ist geviert, Feld 1 und 4: in Silber ein goldenes Jerusalemkreuz, Feld 2 und 3: in mehrfach silbern-blau geteiltem Feld ein roter Löwe. Ein anderes geviertes Wappen ist an der Johanniterfestung in Kolossi angebracht, welches nur in den beiden ersten Feldern das Königreich Jerusalem und das Lusignan-Wappen zeigt, in den beiden anderen aber Zypern und Kleinarmenien. Ein weniger eindeutiges Wappen ist am Kastell von Kyrenia am inneren Tor zu sehen.
Zurück ins Hauptmenü: Jetzt kommt die Legende ins Spiel, und jetzt wird es zur "Räuberpistole": Die hl. Afra soll eine Tochter eines zypriotischen Königs gewesen sein. Nachdem dieser erschlagen worden war, floh dessen Frau, die spätere hl. Hilaria von Augsburg, mit ihrer Tochter, der späteren hl. Afra von Augsburg über Rom an die Lechstadt, dem römischen Augusta Vindelicorum, wo sie natürlich den Weg zum Christentum fanden und Afra zur Märtyrerin wurde. Deshalb dachte man sich: Die aus Zypern stammende Afra führt das Wappen ihres mutmaßlichen Vaters, des zyprischen Königs, also nehmen wir doch dieses, aber da wir es nicht ganz genau wissen, wird es eben ein bißchen geändert. Das ist selbstverständlich alles komplett an den Haaren herbeigezogen, denn die hl. Afra starb im Jahre 304 während der Diokletianischen Christenverfolgung, da gab es weder ein Königreich Jerusalem noch Kreuzritter, weder Wappen noch Lusignans. Einzig Löwen gab es schon, und die bekamen Christinnen eher in der Arena zu sehen. Und was Zypern betraf: Um die Zeit war aus dem einstigen ptolemäischen Königreich längst eine römische Provinz mit römischem Statthalter geworden. Ob literarische Fiktion oder nicht, die Idee, daß man der hl. Afra die Vaterschaft eines zyprischen Königs andichtete, reichte aus, um den Zeitsprung von rund einem Jahrtausend zu machen und ein dem zyprischen Königswappen ähnliches Konstrukt zu ihrem Heiligenwappen zu machen: Nicht gleich, aber wenn man es weiß, als Vorbild zu erkennen, und für mittelalterliche Denkweise eine völlig plausible Ableitung. Und so taucht dieses Wappen sowohl beim Kloster St. Ulrich und Afra in Augsburg als auch beim Kloster St. Ulrich und Afra in Neresheim auf (Zimmermann S. 17).
Die dritte Kartusche enthält das persönliche Wappensymbol des Abtes Aurelius Braisch, in Blau auf grünem Boden vor einer grünen Palme stehend ein silberner Vogel Strauß mit Pfeil im Schnabel und Stein in der erhobenen rechten Klaue (Tinkturen nach einem Ölgemälde mit dem Abtsportrait ergänzt).
Die beiden zusammengestellten Einzelschilde wie beschrieben sind auch als Schmiedearbeit zu sehen vor dem Oberlicht über dem Eingang zur Klosterbuchhandlung, mit Inful, Krummstab und gestürztem Schwert als Erinnerung an die einstige Stellung als reichsunmittelbare Abtei.
Dieser Wappenstein (Abb. links oben) an den von Baumeister Valerian Brenner (1652-1715) errichteten westlichen Wirtschaftstrakten ist unten auf das Jahr 1695 datiert; oben stehen die Initialen SAIN für Simpert Abt in Neresheim. Simpert Niggel (Niggl, 23.5.1654-3.3.1711) amtierte als Abt 1682-1706. Dieser Abt wurde in Schwangau (Bayern) geboren. Er wurde 1671 im Alter von 17 Jahren Novize in Neresheim und legte 1673 die Profeß ab. Die Priesterweihe erhielt er 1678. Mit nur 28 Jahren wurde er 1682 zum Abt gewählt. 1685 wurde Abt Simpert Mitbegründer der Niederschwäbischen Benediktinerkongregation (umfaßte neben Neresheim die Klöster in Füssen, Irsee, Ottobeuren, Elchingen, Fultenbach, Donauwörth und Mönchsdeggingen) und zeitweise deren Präses. Während seiner Amtszeit erwarb sich Neresheim den Ruf als einer der bestgeordneten und bestbesetzten Abtei. Außergewöhnlich für einen Abt ist eine diplomatische Mission, die ihn ins Herz des Osmanenreiches führte: Vom Oktober 1699 bis Januar 1701 begleitete er zusammen mit Prior Leonhard Haydt (1654-1710) den kaiserlichen Botschafter und Reichshofratspräsidenten Wolfgang Graf von Oettingen-Wallerstein nach Istanbul, um nach dem Großen Türkenkrieg und dem Frieden von Karlowitz eine Friedensdiplomatie aufzubauen. Die Verbindung zum Haus Oettingen ergibt sich aus deren Schutzvogtei über das Kloster. Zum Dank für seine Teilnahme wurde Abt Simpert zum Kaiserlichen Rat und Erbkaplan ernannt. Im Jahre 1706 resignierte er aus Gesundheitsgründen. Er starb nur 57jährig.
Das Wappen ist dreiteilig mit separaten, 2:1 gestellten, ovalen Kartuschen, oben in der Mitte ein Puttenkopf mit Inful, schräglinks dahinter der Krummstab mit nach rechts abflatterndem Sudarium. Die beiden ersten Kartuschen sind inhaltlich identisch mit den beim vorherigen Wappenstein beschriebenen. Die dritte Kartusche enthält das persönliche Wappensymbol, in Blau ein silberner, rotgezungter Greif, der in seinen Vorderpranken ein langgestieltes, grünes Kleeblatt hält, wie auf einem Vergleichswappenstein von 1684 am Sommerschloß im Hochstatter-Hof bei Dischingen, auf einem weiteren Vergleichswappen von 1695 an der südlichen Außenwand der katholischen Pfarrkirche St. Veronika in Ziertheim im Landkreis Dillingen an der Donau oder auf einem 1706 erschienenen, für die "Reiss Beschreibung von Wien nach Constantinopel" des Abtes Simpert Niggel gedruckten Kupferstich von Jeremias Kilian, Augsburg, nach einer Zeichnung von Raphael Simon, deutlicher zu sehen ist.
Diese Beispiele zeigen, daß Abt Simpert ein großer Bauabt war. Die wirtschaftliche Basis für die nun erfolgenden Ausgaben hatten nach dem Dreißigjährigen Krieg die Äbte Benedikt II. Liebhart und Christoph Weiler mit erfolgreichem Wirtschaften gelegt. Die bisherige Klosteranlage, die noch vom Konzept des späten Mittelalters geprägt war, erlebte nun eine erste barocke Umgestaltung. Unter Abt Simpert wurden die bisherigen Ökonomiegebäude, die bislang selbständigen Bauten wie Bäckerei, Brauerei, Ställe, Schmiede, Schlosserei, Wagnerei und Küferei, auf der tieferliegenden Ebene ab 1694 zu einem großzügigen, einheitlichen Wirtschaftszentrum zusammengefaßt, das heute talseitig mit seinen drei Geschossen wie eine imposante, festungsartige Sockelzone für die sich darüber erhebende Klosteranlage und Kirche wirkt und an welcher der gezeigte Wappenstein zu finden ist. Er war es auch, der 1692-1695 der romanischen Basilika eine barocke Westfassade mit Schweifgiebeln vorblenden ließ, die Kirche mit Stuck ausstatten ließ und 1699 den residenzartigen Klosterneubau mit dem Unterelchinger Michael Wiedemann (1661-1703) als Baumeister in Angriff nahm. Kriegszeiten verzögerten die Fertigstellung. Erst unter Abt Amandus Fischer wurde 1714 der Klosterneubau vollendet; der 1711 verstorbene Initiator hat die Fertigstellung nicht mehr erlebt.
Etliche Wappen finden wir am Turm der Klosterkirche. Er steht rechts neben der barocken Kirche und ist älter, denn er wurde bereits 1617-1627 unter dem tatkräftigen Abt Benedikt I. Rohrer (amtierte als Abt 1616-1647, lebte -19.6.1647) von Baumeister Peter Schwarz für den romanischen Vorgängerbau errichtet, die sich früher südlich vom Turm befand. Dieser neue Turm direkt vor dem alten nordwestlichen Seitenschiff wurde gänzlich aus Quadersteinen aufgemauert. Der Turm wirkt älter, ist es aber nicht: Vielmehr wurden damals mit Rücksicht auf die alte romanische Kirche (und vielleicht auch zur Betonung des ehrwürdigen Alters der Abtei, vor allem hinsichtlich des vergleichsweise jungen Hauses Oettingen, mit dem es Souveränitätskonflikte gab) bewußt völlig aus der Mode gekommene Formen wie romanische Zwillingsfenster in den oberen Zonen sowie flache Ecklisenen und klare Rundbogenblendarkaden an den drei unteren viereckigen Stockwerken verwendet. Gotisch wirken indes die unteren Fenster, die spitzbogig mit Kleeblattfüllung gestaltet wurden, und die Baldachine der am zweiten und dritten Geschoß auf der Westseite in Nischen angebrachten Heiligen- und Stifterfiguren. Vom vierten Geschoß an wird der Turm im Querschnitt achteckig. Nachdem der neue Glockenturm fertiggestellt war, ließ der Abt den einfachen, vor dem südlichen Seitenschiff stehenden Turm aus der Romanik abbrechen. Der neue Turm ist dem von St. Ulrich und Afra in Augsburg, der kurz vorher fertiggestellt worden war, sehr ähnlich. 1789-1791 wurde der Neresheimer Turm, der jetzt neben der neuen, barocken Klosterkirche im Norden zu klein wirkte, unter Abt Michael Dobler (1787-1802) durch den Baumeister Anton Kapeller aus dem Lechtal von 46 auf 61 m im klassizistischen Stil aufgestockt und mit einer Kuppel und Laterne bekrönt.
Außen befinden sich die Kirchenpatrone St. Ulrich optisch links (Abb. oben links) und St. Afra optisch rechts (Abb. weiter oben: rechts und Mitte unten). Beide werden mit den bereits beschriebenen Heiligenwappen dargestellt, die zusammen als Klosterwappen verwendet werden. In der Mitte ist an einer weiteren Statue das Wappen der Grafen von Kyburg zu sehen, die in Rot einen von zwei goldenen Löwen begleiteten, goldenen Schrägbalken führten, daneben ein nicht zugeordnetes Wappen (Abb. weiter oben links und Mitte oben). Noch viel weiter oben, am Übergang zum Achteck am Sockel eines Obelisken (Abb. oben rechts), ist das Wappen des Augsburger Fürstbischofs Heinrich V. von Knöringen (5.2.1570-25.6.1646, Bischof 1599-1646), als des zur Bauzeit amtierenden Oberhirten im Bistum. Sein Wappen ist geviert, Feld 1 und 4: rot-silbern gespalten (Hochstift Augsburg), Feld 2 und 3: in Schwarz ein silberner Ring (von Knöringen). Die Kleinode sind aufgrund der Höhe kaum zu erkennen, doch in der Mitte ruht eine Inful auf einem Kissen; der Krummstab schaut senkrecht dahinter hervor. Heraldisch rechts trägt der Helm zu rot-silbernen Decken ein rot-silbern gespaltenes Schirmbrett, das ringsum mit Pfauenfedern besteckt ist, und heraldisch links trägt der Helm zu schwarz-silbernen Decken einen silbernen Ring, der oben mit schwarzen Straußenfedern, die aus einer goldenen Krone hervorkommen, besteckt ist. Ein Vollwappen für diesen Bischof bildet Otto Titan von Hefner in seinem Musterbuch auf Tafel 42 ab.
Ebenfalls finden wir an der Fassade des Turmes in großer Höhe in der untersten Oktogonzone ein Wappen des Kaisers (Abb. oben rechts). Dem schwarzen, doppelköpfigen Adler des Reiches, der zwischen beiden Köpfen die Kaiserkrone trägt, ist ein gespaltener Brustschild aufgelegt, rechts in Rot ein silberner Balken (Erzherzogtum Österreich), links innerhalb eines roten Schildbordes eigentlich fünfmal von Gold und Blau schrägrechtsgeteilt, hier mehr Schrägteilungen (Herzogtum Burgund). Als der Turm erbaut wurde, waren erst Matthias und dann Ferdinand II. von Habsburg Kaiser. Direkt über der Kirchturmuhr an der Westseite befindet sich ein durch Inful und Krummstab als Abtswappen ausgewiesenes Wappen. Der am linken Rand aus Wolken hervorkommende Arm mit dem Hammer war uns weiter oben schon als Element eines zusammengestellten Wappens begegnet (s. o.). Die Identifizierung ermöglicht der Vergleich mit einem auf das Jahr 1617 datierten Himmelsglobus aus dem Bestand des Fürstenhauses Thurn und Taxis in Regensburg, auf dem eine handschriftliche Widmung inklusive Wappen angebracht ist. Das Wappen hat dort ein rotes Feld, Wolken und Arm sind silbern, der Hammer ist schwarz mit naturfarbenem Stil, und aus den Wolken bläst ein kleiner Kopf Wind. Die Zuordnung des Wappens zu Abt Benedikt I. Rohrer (amtierte als Abt 1616-1647, lebte -19.6.1647) ist somit dank der Aufmerksamkeit von Frau Teresa Krah möglich.
Zur Übersicht ein Ausschnitt aus der Neresheimer Äbteliste unter Hervorhebung der mit einem bauplastischen Wappen vertretenen Äbte:
Literatur,
Links und Quellen:
Martin Anton Jelli OSB:
Benediktinerabtei Neresheim, Schnell und Steiner Verlag, 10.
Auflage 2007, ISBN-10: 3795451876, ISBN-13: 978-3795451875
Hermann Baumhauer: Kirche und Abtei Neresheim, Konrad Theiss
Verlag, Stuttgart, 1985
900 Jahre Benediktinerabtei Neresheim 1095-1995, MSW-Verlag
Aalen, 1995
Abtei Neresheim: https://de.wikipedia.org/wiki/Abtei_Neresheim
Bernhard Schütz, Wolf Ch. von der Mülbe, Wolfgang Aumer: Abtei
Neresheim, Große Kunstführer, Josef Fink Verlag 2013, ISBN-10:
393378428X, ISBN-13: 978-3933784285
Abtei Neresheim: http://www.abtei-neresheim.de/
Abtei Neresheim: http://www.leo-bw.de/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/DOKUMENT/labw_kloester/748/Benediktinerabtei+Neresheim
Abtei Neresheim: http://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/h-r/Neresheim.html
Grundriß: http://www.sueddeutscher-barock.ch/Bilder_jpg/grafik/n/Neresheim_EtappenGr.jpg
Beschreibung des Oberamts Neresheim/Kapitel B 23: https://de.wikisource.org/wiki/Beschreibung_des_Oberamts_Neresheim/Kapitel_B_23
Neresheimer Äbte, in: Biographia Benedictina: http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Neresheim/Äbte
Benedikt Maria Angehrn, in: Biographia Benedictina http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Angehrn,_Benedikt_Maria
Michael Dobler (Neresheim), in: Biographia Benedictina http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Dobler,_Michael_(Neresheim)
Simpert Niggel: http://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/h-r/Neresheim_Niggl.html
Aurelius Braisch: http://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/h-r/Neresheim_Braisch.html
Benedikt Angehrn: http://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/h-r/Neresheim_Angehrn.html
Vergleichswappen für Simpert Niggel: http://www.bistum-augsburg.de/index.php/bistum/Media/Images/Abtwappen-Kloster-Neresheim - https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Abbots_of_Abtei_Neresheim#/media/File:Ziertheim_St._Veronika_Wappenstein_098.jpg - koloriert: http://www.sueddeutscher-barock.ch/Bilder_jpg/bauherr/h-r/Neresheim_NigglGr.jpg - https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Abbots_of_Abtei_Neresheim#/media/File:Hochstatter_Wappenplatte.JPG
Vergleichswappen für Simpert Niggel: http://www.sueddeutscher-barock.ch/Bilder_jpg/grafik/n/Neresheim_NigglGr.jpg
Wappen von Amandus Fischer: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Ziertheim_Pfarrhaus_093.jpg
Geschichte von Neresheim: https://books.google.de/books?id=WsoDAAAAcAAJ
Grafen von Dillingen: https://de.wikipedia.org/wiki/Grafen_von_Dillingen
Wappen in Bellapais: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellapais_(Abtei)#/media/File:Bellapais_Kloster_-_Refektorium_Wappen_1b_Zypern.jpg - http://wiki-commons.genealogy.net/images/7/76/Bellapais03.jpg
Schloß von Kolossi: http://www.pascua.de/zypern/kolonie/frei-kolonie/frei-1934/123.htm
Festung Kyrenia: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a7/Kyrenia_Festung_-_Inneres_Tor_2_Lusignan-Wappen.jpg
Heinrich von Knöringen https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_V._von_Knöringen
Wappen des Heinrich von Knöringen: http://wiesel.lu/heraldik/quellen/otto-titan-von-hefner/musterbuch/ - http://www.wiesel.lu/wp-content/uploads/2014/11/image298.jpg - http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10362166_00137.html
Otto Titan von Hefner, Heraldisches Original Musterbuch, 1863 http://wiesel.lu/heraldik/quellen/otto-titan-von-hefner/musterbuch/ - http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10362166.html
Eduard Zimmermann, Bayerische Kloster-Heraldik, die Wappen der
Äbte und Pröpste der bis zur allgemeinen Säkularisation in
Ober- und Niederbayern, der Oberpfalz und bayerisch Schwaben
bestandenen Herrenklöster, Selbstverlag des Verfassers, München
1930
Hl. Afra, Dichtung und Wahrheit: https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Martyrium_Afra_historisch.html
Frau Teresa Krah ein herzliches Dankeschön für den Hinweis auf
den Himmelsglobus in Regensburg und die Identifizierung des
Rohrer-Wappens
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