Bernhard
Peter, Gernot Ramsauer und Alex Hoffmann
Galerie:
Photos schöner alter Wappen Nr. 1468
Nürnberg (Mittelfranken)
Nürnberg, Rathaus
Das imposante Rathaus der 1219 mit dem Großen Freiheitsbrief von Kaiser Friedrich II. Freie Reichsstadt gewordenen Stadt hat seine von Jakob Wolff d. J. (1571-1620) im Stile der Renaissance ab 1616 errichtete Schaufassade gleich gegenüber der Sebalduskirche. Der einheitlich gestaltete Westtrakt verdeckt das dahinter liegende Konglomerat aus älteren Räumen und Bauwerken (gotischer Saalbau 13321340 im Süden, spätgotischer Ratsstubenbau 15141515 im Norden). In der wuchtigen Architektur spiegelt sich das Selbstverständnis einer zu großem Wohlstand gekommenen, florierenden Handelsmetropole, und die stilistischen Einflüsse, insbesondere die strenge Horizontalgliederung verweisen auf die zeitgenössische italienische Palastarchitektur. Ganz der deutschen städtischen Architektur verhaftet sind jedoch die Zwerchhäuser. Es sollte eine Vierflügelanlage werden, was jedoch nicht gemäß ursprünglicher Planung vollendet wurde, denn nicht zuletzt aufgrund des 30jährigen Krieges kam es ab 1622 zu einem Baustopp. Was wir heute sehen, entstammt jedoch weitgehend dem Wiederaufbau der Nachkriegszeit, denn das Gebäude war 1945 eine bis auf die Umfassungsmauern ausgebrannte Ruine. Von heraldischem Interesse sind hier die drei sich nach Westen öffnenden Portale, sie stammen aus der Zeit des Barock.
Drei Portale führen von Westen in das Gebäude hinein, und über diesen barocken Elementen finden wir die klassische Trias Nürnberger Stadtwappen, über dem mittleren die Kartusche mit dem Reichsadler, in Gold ein schwarzer Adler, wobei es sich hier um das Symbol für die Reichsstadt handelt. Genaugenommen ist es jedoch nicht der Adler des Reiches, als den ihn jeder bezeichnet, sondern der eines Reichsamtes. Der Adler ist der des Reichsschultheißen, dessen Amt die Stadt Nürnberg im Jahre 1427 gekauft hatte. Ähnlich den Inhabern der Erzämter Marschall (Sachsen/Schwerter) und Kämmerer (Brandenburg/Szepter) schmückten auch die Nürnberger stolz ihr Wappen mit dem Amtssymbol des Reichsschultheißen. Mit der Zeit ging das Wissen darüber allerdings verloren und heute spricht fast jeder vom Reichsadler. Die Portale wurden 1617 vom Bildhauer Leonhard Kern (22.11.1588 - 4.4.1662) gestaltet, einem aus dem hohenloheschen Forchtenberg stammenden Bildhauer, der auch in Heidelberg und Schwäbisch Hall tätig war und kurbrandenburgischer Hofbildhauer wurde.
Über dem linken Portal befindet sich die ovale Kartusche mit dem Großen Nürnberger Stadtwappen, in Blau ein goldener, gekrönter Jungfrauenadler, hier wiederum weiblich mit zwei aus der goldenen Befiederung ausgenommenen Brüsten dargestellt.
Über diesem Portal sind seitlich rechts und links seltsame Kreaturen zu sehen, die ebenfalls Arbeiten von Leonhard Kern sind. Links vom Großen Stadtwappen ist ein geflügelter Löwe, rechts ein Bär. Beide haben ihre Wurzeln im Buch Daniel 7, 3-5: "Dann stiegen aus dem Meer vier große Tiere herauf; jedes hatte eine andere Gestalt. Das erste war einem Löwen ähnlich, hatte jedoch Adlerflügel. Während ich es betrachtete, wurden ihm die Flügel ausgerissen; es wurde vom Boden emporgehoben und wie ein Mensch auf zwei Füße gestellt und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben. Dann erschien ein zweites Tier; es glich einem Bären und war nach einer Seite hin aufgerichtet. Es hielt drei Rippen zwischen den Zähnen in seinem Maul und man ermunterte es: Auf, friß noch viel mehr Fleisch!"
Über dem rechten Portal sieht man die dritte Kartusche mit dem Kleinen Nürnberger Stadtwappen, gespalten, vorne in Gold ein halber schwarzer Adler am Spalt, hinten von Rot und Silber fünfmal schräggeteilt. Dieses bildet zusammen mit den beiden anderen eine Trias, die man an vielen öffentlichen Bauten Nürnbergs sehen kann.
Auch über diesem Portal sind seitlich rechts und links Kreaturen als Illustration zu Daniel 7, 6-8 zu sehen, rechts ein Fabelwesen mit vielen Hörnern, links ein Panther mit vier Köpfen: "Danach sah ich ein anderes Tier; es glich einem Panther, hatte aber auf dem Rücken vier Flügel, wie die Flügel eines Vogels; auch hatte das Tier vier Köpfe; ihm wurde die Macht eines Herrschers verliehen. Danach sah ich in meinen nächtlichen Visionen ein viertes Tier; es war furchtbar und schrecklich anzusehen und sehr stark; es hatte große Zähne aus Eisen. Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen. Von den anderen Tieren war es völlig verschieden. Auch hatte es zehn Hörner. Als ich die Hörner betrachtete, da wuchs zwischen ihnen ein anderes, kleineres Horn empor und vor ihm wurden drei von den früheren Hörnern ausgerissen; und an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das anmaßend redete."
Ein weiterer Wappenschild mit dem schwarzen Adler auf goldenem Grund als Kennzeichen der Reichsstadt, zu finden an der Ostseite des Rathauskomplexes, dem Fünferplatz zugewandt, direkt neben dem Erker der Ratsstube.
Die Spitze
der Nürnberger Ratsherrschaft - die Losunger
Eines der wichtigsten
Privilegien bei der Stadterhebung Nürnbergs im Großen
Freiheitsbrief Kaiser Friedrichs II. 1219 war die Regelung, daß
die Nürnberger Bürger nicht mehr einzeln dem Kaiser bzw. dem
Reich steuer- und abgabenpflichtig waren, sondern die Stadt
insgesamt hatte eine Bürgersteuer zu entrichten. Im Jahr 1300
betrug diese 2000 Pfund, zuzüglich 200 Pfund Zoll, 100 Pfund aus
dem Schultheißenamt, sowie 500 Pfund für das Münzrecht.
Die Stadt wiederum erhob von ihren Bürgern zum einen eine indirekte Verbrauchssteuer, das Ungeld. Dieses wurde in erster Linie auf Wein und Bier erhoben. Bier wurde im 15 Jahrhundert mit einem halben Gulden pro Fuder (knapp 100 l) versteuert. Für Wein gab es mehrere Sätze, vom billigen Landwein (Franken, Neckar, Tauber) für 2 Gulden der Fuder, über den Rhein- und Elsässer Wein für 3 Gulden bis zum Malvasier aus Griechenland und Spanien, für den 8 Gulden das Fuder zu bezahlen waren. Dank des gesunden Durstes der Nürnberger Bürger konnte aus dieser Getränkesteuer fast die Hälfte des Haushaltes der Stadt bestritten werden.
Den Rest finanzierte die Stadt aus so üblichen Töpfen wie Zoll, Strafgelder, Gebühren, und so weiter. Und wenn etwas fehlte, gab es die Losung. Die Losung war eine Vermögenssteuer, die von allen Nürnberger Bürger erhoben wurde. Verschiedene Vermögenswerte wurden mit unterschiedlichen Sätzen versteuert: Bargeld zu 1,66 %, Zinserträge (etwa Gülten oder Ewiggeld) mit 5 bis 8 % oder Renten bis 17 %. Ursprünglich erhob der Rat die Losung nur bei Bedarf, also wenn im Stadtsäckel für die kaiserliche Abgabe noch etwas fehlte. Aus heutiger Erfahrung wundert es allerdings nicht, daß nach nicht allzu langer Zeit (Mitte des 15. Jahrhunderts) die Losung zu einer alljährlichen Angelegenheit wurde. Immer zum Walpurgistag (1. Mai) wurden die Bürger von den Viertelmeistern ihrer Stadtvierteln zitiert, um einen Eid zu leisten, die Losung korrekt zu leisten. Danach warf man den fälligen Betrag nach Selbsteinschätzung ohne weitere Kontrolle in einen Kasten. Das System hat trotzdem funktioniert, möglicherweise weil die Scheu vor einem Meineid den Anreiz zum Betrug zumindest damals noch übertraf.
Um den Eid entgegen zu nehmen und die Steuer ordnungsgemäß einzunehmen und zu verwahren, ernannte der Rat vier angesehene Bürger als Losunger. Deren Aufgabenbereich wuchs bald immer mehr. Sie entrichteten die Reichsteuer, kontrollierten den Eingang des Ungeld und bestritten die Ausgaben der Stadt, waren also letztendlich für die komplette Finanzverwaltung der Stadt verantwortlich. Nur die Losunger wußten um die finanziellen Verhältnisse der Stadt detailliert Bescheid. Folglich stieg das Amt des Losungers in Ämterhierarchie stetig nach oben und der Personenkreis der für dieses Amt in Frage kam, beschränkte sich immer weiter auf die allervornehmsten Geschlechter. Seit dem 15. Jahrhundert waren die Losunger die ranghöchsten Vertreter der Reichsstadt.
Als die Handwerker im 14. Jahrhundert in die Entscheidungsgremien der Reichsstadt drängten und auch über das städtische Finanzsystem eine gewisse Kontrollfunktion ausüben wollten, gewährten Ihnen die Ratsgeschlechter das Amt des vierten Losungers. beziehungsweise des dritten, als ab 1385 die Zahl der Losunger von 4 auf 3 vermindert wurde. Allerdings hatten die Handwerker in diesem Amt kaum 100 Jahre lang echten Einfluß. Dem Schneider Konrad Babenberger wurde 1360 in der Losungstube noch Einblick über alle Ein- und Auszahlungen und deren Eintragung im Rechnungsbuch gewährt. Aber die Bedeutung des dritten Losungers wurde von den Patriziern kontinuierlich zurückgedrängt. Der Tuchmacher Hans Michel Beer hatte 1683 gerade noch die Aufgabe, auf dem Stuhl an der Tür zu sitzen und diese bei Bedarf zu öffnen und zu schließen. Ein Amt, welches sein Nachfolger, der Kürschner Paul Rößler selbst nach seiner Erblindung noch ausüben konnte.
Die Position der beiden vorderen Losunger hingegen war für die städtische Politik natürlich eminent wichtig. Begreiflicherweise versuchte die Stadt, Interessenskonflikte des Amtsinhabers gleich von vornherein zu vermeiden und seine ganze Aufmerksamkeit auf die städtische Aufgabe zu konzentrieren. Deshalb also mußte ein Ratsherr nach seiner Wahl sämtliche Geschäftstätigkeit aufgeben. Es ist unschwer vorstellbar, daß dies in ein Handelsunternehmen leicht ein problematisches Loch reißen konnte, wenn die Familie nicht allzu groß war. Doch die wählenden Ratsherren nahmen in den seltensten Fällen darauf Rücksicht; die Wahl war verpflichtend und durfte nicht abgelehnt werden.
Leonhard I. Tucher war so ein Fall. Nach dem Tod seines Vaters Anton II (1524) führte er als einziger Nachkomme der älteren Linie sehr erfolgreich die Tucherschen Geschäfte im Gewürzhandel. Aber auch im jüngeren Familienzweig gab es diverse Sterbefälle und so hatte Leonhard 1529 im Rat als jüngerer Bürgermeister anzutreten. Ein Jahr später starb sein Cousin Andreas III. Tucher als Septemvir. Damit war die einflußreiche Familie aber nur noch nachrangig im Rat repräsentiert, was bei der nächsten Wahlen berichtigt wurde: Leonhard wurde älterer Bürgermeister und im Jahr darauf Älterer Herr. Im Jahr 1535 starben gleich 3 Septemvirn, darunter der zweite Losunger (Hans Volckamer) und der Dritte Oberste Hauptmann (Christoph Kress). Trotz weniger Ratsjahre als seine Kollegen wurde Leonhard Tucher zum Zweiten Losunger gewählt. Doch der erst 49-jährige Tucher zierte sich. Weder sein Sohn Paul mit 12, noch sein Neffe Anton mit 26 waren in der Lage seine Position im Handelsgeschäft auszufüllen. Also stellte er zur Bedingung, daß er in seiner Firma weiterhin als Ratgeber fungieren durfte, was die Ratsherren akzeptierten.
Dieser Vorgang, daß der Rat eine vorübergehende Geschäftstätigkeit erlaubte, oft mit der Maßgabe, den Hauptaugenmerk auf den Übergang auf die nächste Generation zu legen, kam immer wieder vor. Sogar ein eigener Ausdruck wurde in Nürnberg dafür geschaffen: Den betreffenden Ratsherren wurde Lüftung gewährt.
Dank dieses Kompromisses übernahm Leonhard Tucher also das zweite Spitzenamt der Stadt, beziehungsweise, nach dem Ableben von Christoph I. Tetzel (nach einer mißglückten Blasensteinoperation), das des Vordersten Losungers. Gemeinsam mit seinem langjährigen kongenialen Partner in der Losungstube, Andreas I. Imhoff, der übrigens auch um Lüftung nachgesucht hatte, führte er 19 Jahre lang die Geschicke der Stadt, ohne Zweifel sehr zum Gedeihen Nürnbergs. Gescheit umschifften die beiden die Fallgruben des Schmalkaldischen Krieges (1546-1547) und hielten Nürnberg weitgehend aus den Kampfhandlungen heraus. Im Zweiten Markgrafenkrieg konnten sie den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach, Albrecht Alcibiades in die Schranken weisen (1552-1554) und 1562 hatten sie die Auswirkungen einer Pestepidemie zu bewältigen, welche einem Fünftel der Nürnberger Bevölkerung das Leben kostete. Nach fast 35 Jahren im Rat, davon 28 als Losunger bat Leonhard Tucher, inzwischen schwerhörig und fast erblindet, vom Amt entpflichtet zu werden. Nach einigem Zögern stimmten die Septemvirn dem zu und gönnten dem 77-jährigen den verdienten Ruhestand, den er noch 4 Jahre genießen konnte.
Literatur,
Links und Quellen:
Michael Diefenbacher, Rudolf
Endres (Hrsg.): Stadtlexikon Nürnberg. Verlag W. Tümmels,
Nürnberg, 2. Aufl. 2000, ISBN 3-921590-69-8.
Matthias Mende: Das Alte Nürnberger Rathaus. Baugeschichte und
Ausstattung des großen Saales und der Ratsstube, Nürnberg 1979
(= Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg. 15).
Bibeltexte: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, http://www.bibleserver.com/text/EU/Daniel7
Peter Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg. Nürnberger
Forschungen, Einzelarbeiten zur Nürnberger Geschichte,
herausgegeben vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg.
Bände 31/1, 31/2, 21/3 (Stammbäume) und 31/4. VDS
Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch. ISBN
978-3-87191-333-4.
Johannes Müller: Die Finanzpolitik des Nürnberger Rates in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vierteljahrschrift für
Social- und Wirtschaftsgeschichte, VII Band, 1909
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