Bernhard
Peter
Besondere
Motive: Der Roch / Rukh / Schachroch
Ein Roch ist eine Schachfigur, und zwar der Turm. Seine alte Bezeichnung "Rukh" reicht weit zurück in die Geschichte des Schachs. Das Wort kommt aus dem Arabischen bzw. Persischen und gelangte mit der Kenntnis des Schachspiels über die europäisch-arabische Kulturbrücke in Andalusien nach Zentraleuropa. Schach gehörte seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts zu den sieben Tugenden der Ritter.
Der Turm war damals ein Kampfwagen oder Streitwagen, genannt Rukh. Der Turm in der heute verwendeten kantigen Form taucht im Schachspiel erst im 15. Jh. auf. Das alte Schachspiel der Inder, Perser und Araber kannte andere Regeln für die Züge der Figuren, hier war der Kampfwagen die Figur, die weite Strecken überwinden konnte, sozusagen der einzige wirkliche Langschrittler. Die Dame war noch eine schwache Figur. Erst gegen Ende des 15. Jh. wurden die Regeln reformiert. Der Roch war im arabischen "Schattrandsch" die mächtigste Figur, das erklärt seine Auswahl als Motiv, heute gilt er neben der Dame nur noch als zweitstärkste Figur.
Abb.: typischer Roch, rechts eine Variante in verwechselten Farben
Die einzige heutige Verwendung des Ausdrucks ist im Wort Rochade, das beim Schach den Schritt des Königs zwei Felder zu einem der Türme hin und den darauffolgenden Sprung des betreffenden Turmes über den König hinweg bezeichnet. Die Rochade war in der alten arabisch-persischen Variante des Schachs aber noch unbekannt. Ihr Vorläufer ist der Königssprung, der um 1200 aufkam, zur Rochade wurde er erst rund 350 Jahre später. Im Englischen hat man zwar den Ausdruck "Rook" für den Turm beibehalten, es ist aber eine der wenigen Sprachen, die statt einer Variante von "rochieren" den Ausdruck "to castle" benutzt.
Die typische heraldische Darstellung ist ein Sockel mit konisch zulaufendem, zylindrischem oder gestuftem aufrechten Mittelstück und oben zwei spiegelbildliche hakenartige Abschlüsse wie die Seitenteile einer heraldischen Lilie.
Eine solche gemeine Figur darf auch nicht als Schachturm bezeichnet werden, denn ein solcher wird wie ein heute üblicher Schachturm dargestellt.
Ein Roch, Rukh, Schachroch oder Rock ist nicht, wofür er fälschlicherweise gehalten wird: Lilie, Siegel oder Stempel.
Im Französischen wird der Roch roc d'échiquier oder roc d'échec genannt, im Englischen chess-rook.
Beispiele für das Vorkommen dieser Wappenfigur:
Beispiel:
Familienwappen Neustetter gen. Stürmer
Das Wappen der Neustetter gen.
Stürmer zeigt in Silber einen schwarzen Schachroch, auf dem Helm
mit schwarz-silbernen Decken ein silberner, schwarz gestulpter
hoher Hut, oben mit einem schwarzen Hahnenfederbusch besteckt.
Das Wappen wird beschrieben im Alten Siebmacher und im Neuen
Siebmacher, Band: BayA2 Seite: 160 Tafel: 99, bei Schöler S. 77
und Tafel 152 sowie im Rahrbach S. 170-171. Die alte
oberfränkische Adelsfamilie, deren Mitglieder im 13. Jh.
erstmals auftauchen und vermutlich Dienstmannen der
Schlüsselberger waren, hat zunächst nichts mit Neustadt an der
Aisch zu tun, sondern stammt aus Neustädtlein am Forst bei
Bayreuth. Sie hatten Besitz in Hollfeld, Nesselbach, Zwernitz,
Truppach und Kersbach, in Stadelhofen, Tannfeld, Glashofen,
Alladorf und natürlich an ihrem Stammsitz Neustädtlein a. F.,
und im Württembergischen besaß die Familie Witlau, Altenlohr,
Roßfeld und Wiesenbach. Die Familie erlosch in Franken am
9.11.1638 (lt. Rahrbach, Biedermann und Kneschke) mit Johann
Christoph Neustetter gen. Stürmer, Dompropst zu Bamberg,
Domkustos zu Mainz und Senior zu Würzburg. Hier paßt das Motiv
zum Beinamen der Familie, denn ein Langschrittler im Schachspiel
kann durchaus als "Stürmer" wahrgenommen werden - auch
wenn diese Beziehung nicht kausal belegt ist. Später bedienten
sich einige weitere Familien dieses Wappensymboles unter
Postulierung eines Zusammenhangs.
Mit Erasmus Neustetter gen. Stürmer (7.11.1522-23.11.1594) brachte die Familie einen wirklich in seiner Zeit bedeutenden Mann hervor. Er war 1551-1594 der zehnte Dekan des Ritterstifts Comburg, später gleichzeitig Propst, 1559-1564 Landrichter des kaiserlichen Landgerichts in Würzburg, 1559 Propst des Stifts Haug, 1565 Propst des Stifts Gangolf, 1567 Geheimer Rat des Hochstifts Würzburg, 1589-1591 Rektor der Universität Würzburg. Beide Abbildungen zeigen sein Wappen an verschiedenen Stellen der Comburg bei Schwäbisch Hall.
Beispiel:
Familienwappen Zabel
Dieses fast spartanisch
ausgestattete, aber allein durch die leuchtenden Farben in klaren
Flächen wirkende Exlibris ist ein Werk von Gustav Adolf Closs
(6.5.1864-3.9.1938) für Ernst
Georg Zabel. Das Wappen, das nicht im Siebmacher und
auch nicht in anderen Standardwerken zu finden ist, ist geteilt,
oben in Rot zwei goldene Schach-Rochen nebeneinander, unten in
vier Reihen silbern-schwarz geschacht, auf dem Helm mit
rot-silbernen Decken ein Flug, beiderseits geteilt und mit den
Schildfiguren belegt, jedoch nur mit einem Schach-Roch pro
Flügel. Da das mittelalterliche Schachspiel bzw. auch das
Schachbrett historisch "Schachzabel" oder "Schachzabal" genannt
wurden, eine Ableitung von lat. "tabula", ist das
Wappen ein redendes Wappen.
Beispiel:
von Rochow
Das Stammwappen zeigt
in Silber drei (2:1) schwarze Schach-Rochen. Die Helmzier auf
gekröntem Helm ist ein silberner, wachsender Ziegenbock;
Helmdecken schwarz-silbern. Hier ein Photobeispiel, wie weit die
darstellerische Variabilität des Motivs geht:
Das Photo stammt vom Rochowschen Haus in Pirna (Sachsen). Hier begegnet uns eine besondere darstellerische Variante: Statt aus zwei spiegelbildlichen hakenartigen Abschlüssen besteht der obere Abschluß aus je zwei abgewendeten Pferdeköpfen mit Hälsen wie bei einem Springer, einer ganz anderen Schachfigur. Eigentlich stehen diese auf dem typischen Sockel einer Schachfigur, doch der ist hier weggelassen worden, so daß wir hier dreimal zwei Pferdeköpfe mit Hals Rücken an Rücken sehen. Damit ähneln die Figuren mehr verdoppelten Schachspringern (Doppelspringer), in Wahrheit wird hierdurch immer noch die Schachfigur "Roch" dargestellt, die überhaupt sehr großen darstellerischen Veränderungen unterlag, die meisten aus Unkenntnis der ursprünglichen Bedeutung, was sehr schade ist, handelt es sich bei den Rochen doch um ein redendes Wappen ganz besonderer Art.
Literatur,
Links und Quellen:
Neustetter: http://de.wikipedia.org/wiki/Neustetter und http://de.wikipedia.org/wiki/Neustädter_genannt_Stürmer
Neustetter: Eugen Schöler,
Historische Familienwappen in Franken, Verlag Degener / Bauer
Raspe, Neustadt an der Aisch, 3. Aufl. 1999, Nachdruck 2002, ISBN
3-87947-112-6, S. 77 und Tafel 152
Genealogie der Neustetter gen.
Stürmer: Biedermann, Geschlechtsregister der Reichsfrei
unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts
Gebürg http://books.google.de/books?id=49JDAAAAcAAJ
Neustetter: Anton P. Rahrbach, Reichsritter in Mainfranken. Zu
Wappen und Geschichte fränkischer Adelsfamilien. Bauer &
Raspe Verlag - Die Siebmacherschen Wappenbücher, die
Familienwappen deutscher Landschaften und Regionen, Band 2, 2003,
ISBN 3-87947-113-4, S. 170-171.
Stürmer von Unternesselbach, Exlibris http://www.bildindex.de/obj35043361.html#|home und http://kulturerbe.niedersachsen.de/viewer/image/isil_DE-23_43361/1/logMD_43361/
Die unterschiedlichen Familien Stürmer: Ernst Heinrich Kneschke,
Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexicon, S. 102-103 http://books.google.de/books?id=wWPZDGNlQNgC
Die unterschiedlichen Familien Stürmer: Karl Heinrich von Lang,
Adelsbuch des Königreichs Baiern: Grundwerk, Band 1, S. 567 http://books.google.de/books?id=GxZBAAAAcAAJ&pg=PA567
Die unterschiedlichen Familien Stürmer: C. Dichtel, Fränkische
Grabsteine in Bad Kissingen, Hollfeld und Schönfeld (Zur
Genealogie der Heußlein v. Eußenheim, der Neustetter gen.
Stürmer und v. Wolmershausen); Blätter f. fränk.
Familienkunde, Bd. 8, Heft 7, 1964
Die unterschiedlichen Familien Stürmer: Ernst Heinrich Kneschke,
Neues allgemeines Deutsches Adelslexicon, Band 6, S. 497-499 http://books.google.de/books?id=-U95WFbX7g0C&pg=PA498
Neustetter: http://www.eo-bamberg.de/eob/dcms/sites/bistum/pfarreien/dekanate/bayreuth/mariae_himmelfahrt_hollfeld/kirchen/Schoenfeld/Ortschronik.html (dort wurde der meinige Text ohne Quellenangabe im
Kasten übernommen!)
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angegeben: Bernhard Peter 2013
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