Bernhard Peter
Besondere Motive: Harpyie (Jungfrauenadler)

Die Harpyie (Jungfrauenadler)
Die Harpyie hat ihre begrifflichen Wurzeln in der griechischen Mythologie. Es gab drei von ihnen, alle waren die Töchter eines Meerestitanen, gezeugt mit der Okeanide Elektra. Sie verkörperten den Wind, sind schnell wie dieser und hießen Aello, die Windbö, Okypete, die Stromschnelle und Podarge, der leichte Flügel, letztere wird manchmal auch Kelaeno (Celaino) bezeichnet, die Dunkle. Eigentlich gelten sie als unverwundbar, lediglich Podarge erlitt in den antiken Heldensagen den Tod, aber durch Herakles, immerhin. Die Heimat der antiken Harpyien war Kreta, wo die Frauen mit Vogelflügeln in einer Höhle hausten.

Nach diesen antiken Fabelwesen ist auch die mittel- und südamerikanische Greifvogelart Harpyie (Harpia harpyja) benannt, einer der größten Raubvögel der tropischen und subtropischen amerikanischen Regenwälder.

Doch nicht dieser Greifvogel wird in der Heraldik dargestellt, wenn wir von einer Harpyie sprechen, sondern der Jungfrauenadler. Es handelt sich bei einer heraldischen Harpyie um ein Mischwesen aus Mensch und Adler, mit einem weiblichen Oberkörper, mit einem menschlichen Kopf, aber mit Flügeln statt der Arme und Adlerbeinen und Adlerschwanz. Eine Harpyie ist meistens gekrönt.

Leicht ist sie mit der Vogelsirene zu verwechseln, diese hat aber nicht die Flügel statt der Arme, sondern zusätzlich auf dem Rücken befestigt. Eine Vogelsirene hat menschliche Arme und Hände zusätzlich, im Gegensatz zum Jungfrauenadler.

Vom Königsadler unterscheidet sich der Jungfrauenadler nur durch die weiblichen Brüste und Züge, denn gekrönt sind beide. Die Grenzen sind fließend, aus einem Königsadler kann im Laufe der Geschichte eine Harpyie werden, Beispiel Stadtwappen Nürnberg, und umgekehrt.

Vermutlich ist die heraldische Harpyie trotz aller Ähnlichkeit mit der antiken Vorstellung wohl nicht aus diesem mythologischen Vorbild entstanden, sondern aus der Verschmelzung eines Kaiserbildes mit einem Adler, der dann mit weiblichen Körpermerkmalen ausgestattet wurde. Wenn man dem heraldischen Adler als Zeichen der Schutzherrschaft ein Kaiserbild auflegt, ist der Schritt zum Mischwesen Königsadler nicht weit, der dann aufgrund seines wallenden Haares als weibliche Figur interpretiert wurde. Man muß auch davon ausgehen, daß im Mittelalter antike Mythologie nicht die Geläufigkeit späterer Zeit hatte, daß es aber bei der Entwicklung von Mischwesen eine gewisse spielerische Unbekümmertheit gab, die uns die wunderlichsten Fabelwesen in Wappen bescherte.

Bildbeispiele: Abb. links: Gößweinstein, Ahnenprobe am Mengersdorf-Epitaph (Mörlau). Abb. rechts: Schloß Waldeck, Treppenturm, Wappen der Grafen von Ostfriesland.

Bekannte Vorkommen von Harpyien (Jungfrauenadlern) in Wappen sind:

Abb.: Historische Graphik eines Jungfrauenadlers, gezeichnet von Lorenz M. Rheude (1863-1939) für Dr. phil. Ernst Deuerlein (aus einem Exlibris von 1919). Wir sehen in Blau einen goldenen, gekrönten Jungfrauenadler, das Große Nürnberger Stadtwappen. Manchmal wird das Wappen auch als Königsadler beschrieben, hier ist der Rumpf jedoch eindeutig weiblich. In seiner heutigen Form ist der Rumpf nicht weiblich, sondern eher geschlechtsneutral und auch gefiedert dargestellt, was darstellerisch mehr einem Königsadler entspricht, die Farben sind beim 1936 verliehenen und 1963 vom Stadtrat bestätigten heutigen Wappen aber gleich geblieben. Neben diesem großen Wappen führt die Stadt Nürnberg als kleines Wappen gänzlich andere Inhalte, nämlich: Gespalten, vorne in Gold ein halber, rotgezungter und goldenbewehrter schwarzer Adler am Spalt, hinten von Rot und Silber fünfmal schräggeteilt.

Weitere Beispiele:

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