Bernhard Peter
Der Flug als Helmzier und Hilfskleinod

Der Flug - eine häufige Helmzier
Wie auch die Büffelhörner gehören Flügel zu den allerersten und ältesten Helmzieren. Die Tradition der Flügel am Helm reicht sogar in die vorheraldische Zeit zurück, denn schon die Germanen verzierten ihre Helme mit Flügeln. Durch die Heraldik wurde diese Tradition aufgegriffen und fortentwickelt. Flügel sind in der Regel - soweit nicht anders beschrieben - Adlerflügel, gekennzeichnet durch die langen Schwungfedern mit eingebogener Spitze und die dünnen Zwischenfedern. Sie können paarweise (meistens) oder auch einzeln vorkommen. Ein Paar Flügel wird als "Flug" bezeichnet.

Ursprünglich hatte man natürlich keine Adlerflügel am Helm. Die Adlerflügel, wie wir sie im heute als korrekt empfundenen heraldischen Stil zeichnen, sind späteren Ursprungs und haben sich erst in der Papierheraldik entwickelt. Wie uns die Abbildungen in der Manesseschen Liederhandschrift zeigen, hatte man Bretter, Leisten oder Lederstücke, die mit Federn besteckt wurden. Später benutzte man entsprechend zugeschnittene Stücke aus Holz, Leder oder Blech, auf die die Federn aufgemalt wurden. Die naturalistische Darstellung wurde erst ab dem 15. Jh. üblich.

Abb. links: Die Abbildung zeigt einen Flug auf dem Epitaph für Johann (Hennichin) Kämmerer von Worms gt. von Dalberg (gest. 9.10.1415) in der Oppenheimer Katharinenkirche, deutlich ist das Brett zu erkennen, in das oben die einzelnen Federn hineingesteckt wurden. Abb. rechts: Ein heraldisches Exlibris aus dem Jahr 1904, entworfen von Roderich von Haken (8.9.1867-1929) für Lorenz Rheude, das dieses Prinzip als Graphik aufgreift.

Das Praktische an den Flügen ist, daß sie in der Helmzier eine relativ große und - je nach Darstellungart - zusammenhängende Fläche bilden, die sich zur Wiederholung des Schildinhalts eignet. Flüge können ganz banal einfarbig sein, die beiden Schwingen können unterschiedliche Farbe haben (gespaltener Flug), sie können vier Farbflächen aufweisen, bei zwei Farben überkreuz auf vier Flächen spricht man z. B. von einem übereck geteilten Flug, sie können auch den ganzen Schildinhalt entweder gemeinsam oder jeder Flügel für sich zeigen.

In diesem Zusammenhang soll der Begriff "Hilfskleinod" erklärt werden: Der Begriff wird von vielen Autoren verwendet, scheint aber nicht einheitlich in Gebrauch zu sein. Die vorherrschende Interpretation ist, daß ein Hilfskleinod eine Helmzier bezeichnet, die in irgendeiner Form den Schildinhalt wiederholt, in Abgrenzung zu Helmzieren, die nur dem Zierat und der Unterscheidung dienen. Ein offener Flug, der das Schildbild wiederholt, kann deshalb "Hilfskleinod" genannt werden.

Eine weitere praktische Eigenschaft von Flügen ist der schmale Raum dazwischen, und so werden Flüge gerne genutzt, um schlanke Objekte zu flankieren und um so insgesamt eine fülligere Helmzier zu bekommen, auch wird häufig ein kleines Objekt oben zwischen den Flügeln "angestemmt", auch dies, um es weder verloren und unproportioniert klein wirken zu lassen noch es unnötig zu vergrößern, sondern um insgesamt eine Helmzier mit angemessener Ausdehnung und Proportion zu bekommen. Korrekt zeichnet man dieses Zwischenobjekt beiderseits anstoßend und nicht schwebend.

Ein Begriff der Papierheraldik: der geschlossene Flug
Bei Abbildung des Helmes in Profil-Ansicht entsteht der geschlossene Flug: Beide Schwingen sind in versetzt aufeinanderliegender Form abgebildet. Es ist wichtig, auch den hinteren Flugel in Kontur anzudeuten, um diese Helmzier von einem einzelnen Flügel zu unterscheiden. Der geschlossene Flug läßt sich nur überzeugend in Profil-Ansicht abbilden. Der Begriff beschreibt eine Darstellungsweise in zweidimensionaler Ebene; er beschreibt nicht ein anderes Wappen als eines mit offenem Flug.

Ein Begriff der Papierheraldik: der offene Flug
Bei Abbildung des Helmes in frontaler Ansicht entsteht der offene Flug: Beide Schwingen sind in aufgeklappter Form rechts und links der Mittellinie spiegelbildlich abgebildet. Der Begriff beschreibt eine Darstellungsweise in zweidimensionaler Ebene; er beschreibt nicht ein anderes Wappen als eines mit geschlossenem Flug.

Unterscheidung zwischen offenem und geschlossenem Flug:
An dieser Stelle sei angemerkt, daß die Papierheraldik gerne zwischen geschlossenem und offenem Flug unterscheidet, so daß es bisweilen so aussieht, als würde die Art des Fluges die Ansicht des Helmes bestimmen. In Wirklichkeit war es ursprünglich andersherum: Ob geschlossen oder offen, die Flügel waren auf gleiche Weise am echten Helm angebracht. Die Art der Darstellung des Helmes bestimmte, ob diese Helmzier als offener (Frontalansicht) oder geschlossener (Profil-Ansicht) Flug dargestellt wurde. Ursprünglich d. h. in der Gotik bestand also kein Unterschied in der Wappenbeschreibung zwischen den beiden Formen! Um Mißverständnisse zu vermeiden, hat es sich später eingebürgert, die Art des Fluges in der Blasonierung anzugeben.

Wenn wir uns heute auf den ursprünglichen Sinn rückbesinnen möchten, ist die Unterscheidung weder notwendig noch begründet noch nützlich. Sie ist nicht notwendig, weil durch die andere Darstellung kein neues Wappen entsteht. Sie ist nicht begründet, weil beide Wappendarstellungen als dreidimensionales Original exakt gleich sind. Hilfsweise sollte man sich den Blick von oben auf einen solchen Helm vorstellen: Beide Flügel ergeben Striche, die am Hinterkopf weiter auseinanderstehen als über der Stirn, also leicht V-förmig nach vorne zusammenlaufen. Von vorne sieht man einen offenen Flug, von der Seite sieht man einen geschlossenen Flug. Variationen im Anstellwinkel ergeben einfach kein neues Wappen, weil die Unterscheidungskraft viel zu gering ist. Und eine solche Unterscheidung ist schließlich nicht nützlich, weil es eine Einschränkung für den Zeichner darstellt, die insofern inakzeptabel für diesen ist, als sie nicht bedeutungsrelevant ist. Dem Zeichner sollte die Freiheit gegeben werden, die im Zusammenhang optimale Anordnung wählen zu dürfen.

Deshalb wäre, obwohl historische Blasonierungen diese Unterscheidung treffen, in meinen Augen die Angabe "offen" oder "geschlossen" in heutigen, zeitgemäßen Blasonierungen überflüssig. Die Hinfälligkeit einer solchen Unterscheidung wird insbesondere dadurch vor Augen geführt, daß einige Wappenbücher (z. B. das Neue Bergische Wappenbuch bürgerlicher Geschlechter) auch noch den Ausdruck "halbgeschlossener Flug" verwenden (der Ausdruck zeugt von völlig fehlendem räumlichem Vorstellungsvermögen des betreffenden Autors). Es ist vollkommen egal, ob ich ein Wappen von vorne, von links, von rechts oder in einem Winkel schräg von links zeichne - es ist und bleibt das gleiche Wappen, das nur aus verschiedenen Perspektiven in eine zweidimensionale zeichnerische Abbildung überführt wird. Vielmehr ist die zeichnerisch befriedigende Übereinstimmung der Blickrichtung von Helm und Helmzier viel wichtiger, und so empfehle ich jedem Stifter, auf diese Ausdrücke im Blason zu verzichten, und jedem Zeichner, entsprehende Vorgaben älterer Blasons bedenkenlos zu ignorieren, wenn anders ein besseres Ergebnis erzielt werden kann.

Besonderheit: der gegengewendete Flug:
Eine heraldische Seltenheit ist der gegengewendete Flug, wo die Adlerschwingen mit den Schwungfedern aneinanderstoßen. Das sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt; wie die etwas gezwungen wirkende Graphik zeigt, lädt dieses Motiv nicht gerade zum Nachahmen ein.

Ein Beispiel für eine solche Helmzier ist das Wappen der Familie Weigmann (Deutsche Wappenrolle DWR Band: LV Seite: 60 Nummer: 9400/91): In Grün zwei schräggekreuzte silberne Streitkolben, oben bewinkelt von einem silbernen Stern, unten die Griffe teilweise überdeckend, ein liegender silberner Mond. Auf dem grün-silbern bewulsteten Helm mit grün-silbernen Decken ein grüner Flug mit voneinander abgewendeten Flügeln, diese in der Höhlung je mit einem silbernen Stern besteckt.

Der halbe Flug oder der Flügel:
Wenn nur ein einziger Flügel als Helmzier abgebildet wird, bezeichnet man ihn als "Flügel" oder "halber Flug". Er läßt sich sinnvoll und graphisch befriedigend nur im Profil darstellen und bedingt einen Helm im Profil oder Halbprofil, denn von vorne wäre es ein vertikaler Strich. Ein halber Flug sitzt immer genau auf dem Helmscheitel.

Besonderheit: der doppelte Flug:
Eine sehr seltene Variante dieser Helmzier ist der doppelte Flug. Räumlich wird es dabei sehr eng, wenn sich quasi zwei geschlossene Flüge gegenüberstehen. Ein Beispiel ist das Wappen der böhmischen Familie Waldstein (vgl. Wallenstein), nach dem Diplom vom 16.8.1758, welches auf Helm 1 (Mitte) als Helmzier zwei geschlossene Flüge führt, a) ein vorne blauer, hinten goldener Flug, Helmdecken blau-golden. Stammkleinod Waldstein, b) hinten golden, vorne schwarz mit gestürzten goldenen Lindenblättern bestreut, Decken s.o.

Galerie: offene Darstellung eines Fluges in historischen Graphiken:
Ein guter Lehrmeister sind alte Exlibris um die Wende vom 19. zum 20. Jh., eine Zeit, aus der uns hervorragende zeichnerische Darstellungen von Wappen und all ihren Details überliefert sind, die z. T. so minutiös ausgeführt sind, daß ihre Meisterschaft unerreicht ist. Heute dienen sie uns als gute Vorbilder für das zeichnerische Darstellen.

Abb. links: Offener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (1863-1939) aus München für Wilhelm Rueb (Exlibris von 1906).
Abb. rechts: Offener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (1863-1939) aus München für Hermann Friedrich Macco (Exlibris von 1905).

Abb. links: Offener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (1863-1939) aus München für sich selbst (Exlibris von 1901).
Abb. rechts: Offener Flug, entworfen von Ernst Krahl (1858-1926) für Christian Graf von Kinsky (Exlibris von 1903).

Abb. links: Offener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (1863-1939) aus München für Ludwig Regnat (Exlibris von 1906).
Abb. rechts: Offener Flug, entworfen von Clemens Kissel (3.5.1849 - 25.12.1911) für Karl von Zabern (Exlibris von 1893, Clemens Kissel, 25 Bücherzeichen, entworfen und ausgeführt von Clemes Kissel zu Mainz, J. A. Stargardt Verlag, Berlin 1894).

Abb.: Offener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (17.12.1863-1939) für Otto von Saldern-Brallentin (Exlibris von 1919).

Abb.: Offener Flug, entworfen von Heinrich Hinzmann aus Hannover für Karl Emich Graf zu Leiningen Westerburg (Exlibris von 1903).

Galerie: geschlossene Darstellung eines Fluges in historischen Graphiken:
Die abgebildeten historischen Graphiken stammen alle aus der Zeit 1880-1930, der Blütezeit der Exlibris. Die Darstellungen sind richtungsweisend. Man erkennt die verschiedensten Stile und Stilisierungsgrade, immer jedoch sind die typischen Saxen deutlich abgesetzt, und nie wird ein Zweifel daran gelassen, daß es sich im Original um federbesetzte Oberflächen handelt, und je naturalistischer ein Flug dargestellt wird, desto besser erkennt man auch die mehreren Reihen kurzer Federn auf den Saxen. Typisch, wenn auch nicht zwingend, so doch charakteristisch sind die schmalen Zwischenfedern zwischen den breiten Schwungfedern, der asymmetrisch sitzende Kiel sowie die asymmetrisch sitzende Spitze am Federende, die je nach Temperament des Zeichners auch mal eingebogen sein kann.

Abb. links: Geschlossener Flug, entworfen von Paul Voigt (1859-1924) für Walter von Zurwesten (Exlibris von 1903).
Abb. rechts: Geschlossener Flug, entworfen von Lorenz M. Rheude (1863-1939) aus München für Wilhelm Rueb (undatiertes Exlibris).

Abb. links: Geschlossener Flug, entworfen von Ernst Krahl (1858-1926) für den Abt Amand (AMANDO ABBATE) vom Wiener Schottenkloster (Exlibris von 1911).
Abb. rechts: Geschlossener Flug, entworfen von von Prof. Adolf M. Hildebrandt (1844-1918) für Albert Graf von Schlippenbach (Exlibris von 1895).

Abb. links: Geschlossener Flug, entworfen von Alexander von Dachenhausen (1848-1916) für Hermann Ritter Kirchner von Neukirchen (Exlibris von 1900).
Abb. rechts:
Geschlossener Flug, entworfen von Alexander von Dachenhausen (1848-1916) für sich selbst (Exlibris aus dem Jahr 1893).

Abb. links: Geschlossener Flug, entworfen von Alexander von Dachenhausen (5.9.1848-3.11.1916) für Lisa von Uthmann und Schmoltz (Exlibris von 1901).
Abb. rechts: Geschlossener Flug, entworfen von Carl Leonhard Becker (5.5.1843-6.1.1917) für Freiherr Simon Moritz von Bethmann (Exlibris ohne Jahresangabe).

Literatur, Quellen und Links:
Evangelische Kirchengemeinde, Katharinenkirche Oppenheim http://www.katharinen-kirche.de
Clemens Kissel, 25 Bücherzeichen, entworfen und ausgeführt von Clemes Kissel zu Mainz, J. A. Stargardt Verlag, Berlin 1894

Übersicht

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Verwendung der Aufnahmen aus der Katharinenkirche zu Oppenheim mit freundlicher Erlaubnis von Frau Pfarrerin Manuela Rimbach-Sator vom 19.06.2008 (http://www.katharinen-kirche.de)

© Copyright / Urheberrecht an Text, Graphik und Photos - sofern nicht anders angegeben: Bernhard Peter 2004, 2011
Die Abb. historischer Zeichnungen sind selbst angefertigte Scans historischer Originale.
Sofern bekannt, ist der Urheber bei der jeweiligen historischen Graphik angegeben.
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