Bernhard
Peter
Was
macht die HI-Viren so erfolgreich?
HIV seit mehreren Jahrzehnten eine tödliche Bedrohung der Menschheit, die immer noch nicht heilbar ist und auf absehbare Zeit auch nicht sein wird. Rasant zunehmende Durchseuchung der Bevölkerung insbesondere in Afrika, ständige Neuinfektionen auch in den Industrienationen, die mit milliardenschwerer Forschung dem Virus nur begrenzt etwas entgegensetzen können. Katastrophe? Aus unserer Sicht mit Sicherheit. Aus der Sicht des Virus aber ist das eine Erfolgsstory ohnegleichen. Wie kommt es?
Erfolgsrezept
Nr. 1: Retrovirus
HIV sind Retro-Viren. Eigentlich
enthalten sie RNA, diese wird aber durch ein spezielles Enzym,
die Reverse Transkriptase, in DNA zurückgeschrieben. Die
Erbinformation der menschlichen Zelle ist DNA. Die
umgeschriebenen DNA-Kopien werden als Provirus in das Genom der
Wirtszelle integriert. Die bösartige Information wird somit
Bestandteil der genetischen Information der befallenen Zelle. Die
Zelle kann nicht mehr erkennen, woher die DNA stammt sie
befolgt die Befehle aus der Virus-DNA genauso wie die ihrer
ursprünglichen DNA. Man spricht von einer
chronisch-persistierenden Infektion des CD4-T-Zell-Pools. In
latenter Form kommen die Viren in sämtlichen Geweben des
Körpers vor.
Erfolgsrezept
Nr. 2: Übertragungsweg
HI-Viren befinden sich vor allem im Blut und in der Samen- oder
Scheidenflüssigkeit HIV-positiver Menschen. Die enge Kopplung
des Virus an Sexualität und damit an ein körperliches
Grundbedürfnis des Menschen sichert seine erfolgreiche
Verbreitung.
Erfolgsrezept
Nr. 3: Lentivirus
Die extrem lange Latenzzeit im Rahmen von mehreren Jahren und die
lange symptomfreie Zeit führen dazu, daß dem Anschein nach
gesunde Infizierte über Jahre hinweg neue Opfer anstecken
können, ohne daß es von den Beteiligten bemerkt wird.
Erfolgsrezept
Nr. 4: Ziel Immunsystem
Andere Viren schädigen ihre Zielzellen
und stehen in ständigem Kampf mit dem Immunsystem. HIV dagegen
macht es intelligenter: Das Immunsystem selbst wird ausgetrickst,
und man überläßt es banalen opportunistischen Erregern, den
Organismus letztendlich zu schädigen und krank zu machen. Die
Proviren liegen im Zentralnervensystem (Astrozyten,
Endothelzellen, Oligodendrozyten, Mikroglia), im Knochenmark
(Makrophagen, Monozyten), in der Haut und in der Schleimhaut
(Langerhans-Zellen, T-Gedächtniszellen) etc. Das körpereigene
Abwehrsystem kann - anders als bei den meisten anderen
Virus-Erkrankungen - HIV nicht aus dem Körper entfernen, obwohl
einige Wochen nach der Infektion Antikörper gegen das
eingedrungene Virus gebildet werden. Insofern kann das
Immunsystem die Infektion nicht kontrollieren und ist ihr hilflos
ausgeliefert.
Erfolgsrezept
Nr. 5: Quasispezies-Natur
Die genetische Variabilität der
HI-Viren erlaubt es ihnen, aus der Zange der Immunabwehr zu
entwischen und schnell Resistenzen gegen gängige antivirale
Medikamente zu entwickeln. Antikörper gegen die Viren entstehen
zwar, sie vermögen das Virus wegen der Entstehung neuer
Varianten nicht dauerhaft einzudämmen. Sie schützen auch nicht
vor einer Superinfektion durch neue HIV-Stämme. Auch im Laufe
einer sexuell erworbenen HIV-Infektion spielen verschiedene
Varianten eine Rolle: Übertragbar sind nur die makrophagotropen
R5-Stämme, die sich vorerst ausschließlich in den Makrophagen
(Freßzellen) und in den dendritischen Zellen der Schleimhäute
vermehren. Erst später im weiteren Verlauf der Infektion
entstehen die T-lymphotropen X4-Varianten durch Mutations- und
Adaptationsprozesse.
Erfolgsrezept
Nr. 6: Ein schlampiges Enzym sichert den Fortbestand
Die Reverse Transkriptase, die die
Virus-Information in DNA umschreibt, ist ein schlampiges Enzym:
Sie macht etwa alle 2000 Basenpaare einen Fehler. Im Vergleich
dazu ist die zelleigene Polymerase, die über das menschliche
Erbgut wacht, um ein Vielfaches genauer. Sie verfügt außerdem
über eine Art Korrekturfunktion. Alle 2000 Basenpaare ein Fehler
- das ist so wie wenn wir uns vorstellen, daß auf jeder
Schreibmaschinenseite ein Tippfehler wäre. Diese Schlampigkeit
wäre für eine menschliche Zelle untragbar und für den Menschen
insgesamt fatal. Aber: Für den Virus ist das sogar ein Vorteil,
weil ständig eine gewisse Bandbreite an Mutationen erzeugt wird.
So kann der Virus relativ schnell und einfach auf veränderte
Umweltbedingungen reagieren und sich anpassen. Wir müssen die
enorme Vermehrungsrate in Betracht ziehen: Täglich werden
Millionen Viren neu gebildet. Und unter einem gewissen
Selektionsdruck wie etwa Medikamente wird das wichtig: Manche
Schreibfehler führen dazu, daß das Ergebnis nicht mehr richtig
funktioniert. Aber auch kann ein einziger Schreibfehler zu einem
neuen Enzym führen, das funktioniert und nicht mehr auf den
Arzneistoff anspricht eine resistente Variante ist
entstanden, die ohne Arzneimittel eine Mutante unter vielen ist,
die aber unter dem äußeren Druck von Arzneimitteln bald die
größte Fraktion darstellt. So kann es passieren, daß innerhalb
von wenigen Wochen resistente Viren entstehen, die nicht mehr auf
die Arzneimittel ansprechen.
Erfolgsrezept
Nr. 7: Lebenslange Reservoire
Solange die CD4-Zelle aber nicht
aktiviert ist, erfolgt keine Integration. Das HIV-Genom liegt als
provirale, nicht-integrierte Virus-DNA vor. Latent infizierte und
ruhende CD4-Zellen mit nicht integrierter DNA stellen ein
lebenslanges Reservoir dar und machen die medikamentöse
Bekämpfung des Virus zu einer nie endenden Sisyphusarbeit. Auch
Makrophagen, Monozyten und Mikrogliazellen etc. stellen ein
lebenslanges Reservoir dar, das z. T. unerreichbar ist.
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