Bernhard
Peter
HIV
und AIDS: Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko?
Wie
erfolgt prinzipiell eine Ansteckung an HIV?
Die
Übertragungswege von HIV
sind klar definiert: Prinzipiell ist die Gefahr einer
HIV-Übertragung und damit einer Ansteckung gegeben, wenn eine
bis dahin HIV-negative Person mit Blut, Samenflüssigkeit,
Vaginalsekret oder Muttermilch einer HIV-positiven Person in
Kontakt kommt. HI-Viren befinden sich vor allem im Blut und in
der Samen- oder Scheidenflüssigkeit HIV-positiver Menschen. In
der Regel ist die intakte und gesunde menschliche Haut eine
wirksame Barriere, welche die Viren nicht durchdringen können.
Wenn diese stark virushaltigen Körperflüssigkeiten in
die
Blutbahn eines anderen Menschen eindringen, kann die Infektion
jedoch weitergegeben werden. Eine Übertragung kann also nur
stattfinden, wenn das infektiöse Material direkt unter
Umgehung
der intakten Haut in den Körper gebracht wird. HI-Viren sind
außerhalb von lebenden Zellen und
Körperflüssigkeiten sehr
empfindlich. Zutritt von Luftsauerstoff macht ihnen sehr schnell
und vollständig den Garaus, handelsübliche
Reinigungs- und
Desinfektionsmittel zerstören schnell und sicher die die
Viruskapside umgebenden Lipidhüllen, außerdem gehen
die
HIV-Viren sehr schnell durch Erhitzen und Austrocknen kaputt. Von
eingetrocknetem HIV-haltigen Material (Blut, Sperma) geht aber
immer noch ein Restrisiko aus, nur fehlt für eine erfolgreiche
Infektion meistens praktisch eine Eintrittspforte.
Ist
HIV
eher leicht oder schwer übertragbar?
Weiterhin
ist trotz aller
Gefahr das HI-Virus relativ schwer übertragbar. Selbst nach
einem echten Risikokontakt (s.u.) ist die Wahrscheinlichkeit,
sich angesteckt zu haben, 0,1-1.0%. Viel ansteckender ist z. B.
Hepatitis B (100 mal größer) oder Hepatitis C (10
mal
größer). Ob man sich ansteckt, hängt vor
allem davon ab,
wieviel Viren aufgenommen werden, also wieviel Viren in der
betreffenden ansteckenden Körperflüssigkeit drin sind
(Viruslast) und wie lange sie in Kontakt mit dem Gesunden ist.
Kontakt mit Blut oder Sperma
eines Menschen
mit hoher Viruslast birgt eine höhere Ansteckungsgefahr als
ein
gleichartiger Kontakt mit Blut oder Sperma eines Menschen, dessen
Viruslast unter einer wirksamen Therapie stark abgesenkt wurde.
Es gibt Fälle, bei denen „one wrong fuck“
ausreichte,
um sich zu infizieren, andererseits gibt es Menschen, die seit
Jahren unsafen Sex haben, ohne sich angesteckt zu haben.
Entscheidend ist die Viruslast des Betreffenden, sie ist am
höchsten kurz nach der Infektion. Erst wenn der
Körper
Antikörper bildet (ca. 2-4 Wochen) sinkt die Viruslast und
verbleibt auf einem niedrigen Plateau. Ebenso ist die
Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken, wiederum in den ersten
Wochen nach einer eigenen Infektion am höchsten – so
entstehen Kleinepidemien in Risikogruppen.
Ob man sich ansteckt,
hängt auch von der
Intaktheit physiologischer Haut- und Schleimhautbarrieren ab
– Geschlechtskrankheiten, Pilzinfektionen oder andere
entzündliche Erkrankungen im Intimbereich erhöhen das
Ansteckungsrisiko um den Faktor 10 – einer der vielen
Gründe für die rasante Ausbreitung von HIV in Afrika.
Weiterhin verringert eine
schnelle
Entfernung des Risiko-Materials von einer entzündlich
veränderten Haut oder Schleimhaut durch Abwaschen oder
Desinfektion das Risiko einer Übertragung.
Aber: Selbst wenn HIV schwer
übertragbar
ist und das Risiko statistisch gesehen klein ist - einmal kann
genau einmal zu viel sein, und keine noch so unscheinbare
statistische Wahrscheinlichkeit kann ein einmal verpfuschtes
Leben wiederherstellen!
Wann
besteht sicher KEIN Risiko einer Ansteckung?
Viele
andere Viren wie
Windpocken werden aerogen übertragen, HIV aber nicht! Auch
durch
Tröpfcheninfektion (wie bei Grippe-Viren oder Schnupfen-Viren)
wird HIV nicht übertragen. Der normale alltägliche
berufliche
oder familiäre Umgang miteinander birgt kein
Ansteckungsrisiko.
Keine Ansteckungsgefahr ist also gegeben bei:
- Gemeinsamem Benutzen von
Geschirr, Gläsern, Besteck, Tassen, weder zu Hause noch in der
Gastronomie
- Körperkontakt und
Berührungen wie Händeschütteln oder beim
Sport
- Küssen
- Gemeinsames Benutzen der
selben Bettwäsche, Handtücher oder Kleidung
- Gemeinsames Benutzen von
Toiletten, Badezimmern, Saunen und Schwimmbädern
- Anhusten oder Anniesen
- HIV wird ferner nicht durch
blutsaugende Insekten wie Mücken, Läuse, Wanzen etc.
übertragen.
Wann
besteht bei Einhaltung der Hygienevorschriften kein Risiko einer
Ansteckung?
Desinfektion
oder
Sterilisation mit den üblichen Maßnahmen
tötet HI-Viren sicher
ab. Wenn die gängigen Hygienevorschriften eingehalten werden,
ist risikofrei:
- Blutspenden – da
kein Kontakt zu fremdem Blut! Außerdem wird für
jeden Spender Einmal-Material verwendet.
- Blutentnahme, Infusionen
etc. im europäischen Krankenhaus, Behandlungen beim Arzt oder
Zahnarzt innerhalb Europas, auch Behandlungen durch HIV-positives
Personal
- bei der Akupunktur
- beim Friseur, bei
Maniküre und Pediküre (Fußpflege)
- beim Piercen in anerkannten
Studios
- Beim Tätowieren in
anerkannten Studios
Vorsicht bei den genannten
Punkten ist
dagegen geboten in Ländern der Dritten Welt und in
Schwellenländern – dort gilt vielfach mangels
Material oder
Einsicht ein erheblich niedrigerer Hygienestandard!
Wann
ist
eine Infektion unwahrscheinlich?
Eine
Infektion ist
unwahrscheinlich bei:
- Bei Zungenküssen
kann das Virus normalerweise ebenfalls nicht übertragen
werden. Im Speichel sind zu wenig Viren, um eine Übertragung
zu bewirken. Theoretisch gibt es die Möglichkeit des
Vorhandenseins blutender Verletzungen im Mund – eine
Infektion kann daher nicht ganz ausgeschlossen werden, ist aber sehr
unwahrscheinlich.
- Kontakt mit
Schweiß, Tränen, Urin und Kot infizierter Menschen
reicht ebenfalls nicht zur Infektion aus, weil in den genannten
Flüssigkeiten bzw. Ausscheidungsprodukten zu wenig Viren sind.
- Kontakt von
infektiösem Material auf intakter und gesunder menschlicher
Haut reicht ebenfalls in der Regel nicht zur Infektion aus, weil die
Viren an der nicht vorhandenen Eintrittspforte scheitern.
- Erhalt von Blutspenden und
Blutprodukten (passive Impfungen, Immunglobuline) in Deutschland: Seit
1985 werden in Deutschland alle Blutspenden auf Antikörper
gegen HIV-1 und seit 1989 auch gegen HIV-2 getestet, dazu dienen
Screening-Fragebögen dem Ausschluß von Menschen aus
Risikogruppen von der Blutspende. Das Risiko, sich über
Spenderblut anzustecken, liegt heute unter 1 : 1 Mio. Die
Infektiosität einer kontaminierten Blutkonserve liegt dagegen
bei fast 100 %!
Wann
besteht ein Risiko einer Ansteckung?
Generell
ist als riskant
einzustufen:
- Durch Schnitt- oder
Stichverletzungen mit chirurgischen Instrumenten oder Spritzen oder
Nadeln (z. B. Skalpellen, Kanülen, Insulin-Pens,
Stechhilfen zur Blutgewinnung), die mit infektiösem Material
verunreinigt sind oder sein könnten: Bei einer
Nadelstichverletzung mit HIV-haltigem Blut an Nadeln, chirurgischen
Instrumenten o.ä. geht man von einer
Übertragungswahrscheinlichkeit von insgesamt ca. 0,3 % pro
Fall aus. Das höchste Risiko geht von sehr tiefen Stich- und
Schnittverletzungen aus (16fach höheres Risiko) bzw. von
Instrumenten, auf denen sich frische Blutspuren befanden (5fach
höheres Risiko). Lag die verletzende Nadel oder
Kanüle vorher in einer Arterie oder Vene, gilt das Risiko als
5fach erhöht. Wenn die Person eine hohe Viruslast hat (akute
Infektion, AIDS ohne HAART), gilt das Risiko als 6fach erhöht.
- bei ungeschütztem
Geschlechtsverkehr mit HIV-infizierten Personen (häufigster
Übertragungsweg!). Achtung: HIV-Positive unter einer
effizienten Therapie haben häufig eine so geringe Viruslast im
Blut, daß bei ihnen der Erreger im Blut praktisch nicht mehr
nachweisbar ist. Aber solche Personen sind nach wie vor ansteckend,
denn auch wenn HIV im Blut nicht mehr zu finden ist, sind Viren oft im
Sperma noch nachweisbar!
- Ungeschützter
passiver (rezeptiver) Analverkehr ohne Kondom (Bareback) mit bekannt
HIV-positivem Partner: Besonders riskant - vor allem, weil die
Darmschleimhaut besonders leicht verletzlich ist.
Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt 0,82 % (0,24 % - 2,76 %
Konfidenzintervall) bzw. 0,93 % je nach Studie
- Ungeschützter
passiver (rezeptiver) Analverkehr mit Partner von unbekanntem
HIV-Status: Sehr riskant! Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt 0,27
% (0,06 % - 0,49 %) bzw. 0,24 (0,05 % - 0,43 %) je nach Studie (USA)
- Ungeschützter
aktiver (insertiver) Analverkehr mit Partner von unbekanntem
HIV-Status: Sehr riskant! Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt 0,06
% (0,02 % - 0,19 %) bzw. 0,03 % (0,01 % - 0,18 %) (USA)
- Geschützter
rezeptiver Analverkehr mit einem bekannt seropositiven Partner:
Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt 0,18 % (Kondomversagen)
- Ungeschützter
passiver (rezeptiver) Vaginalverkehr: Sehr riskant - besonders
während der Menstruation. Infektionswahrscheinlichkeit je
Kontakt 0,05 % - 0,15 %
- Ungeschützter
aktiver (insertiver) Vaginalverkehr: Sehr riskant!
Infektionswahrscheinlichkeit je Kontakt 0,03 % - 5,6 %
- Durch direkten Kontakt von
infektiösem Material mit geschädigter Haut
(z. B. Wunden) oder Schleimhäuten (Mund, Nase,
Intimbereich, Auge)
- Bei oralem Sex sind
Einzelfälle einer stattgefundenen Übertragung,
insbesondere bei Aufnahme von Sperma in den Mund, beschrieben. Hat als
riskant zu gelten! Für ungeschützten rezeptiven
Oralverkehr (mit Ejakulation) mit einem Partner von unbekanntem
HIV-Status wird die Infektionswahrscheinlichkeit in diversen Quellen je
Kontakt mit 0,04 % bzw. 0,03 % angegeben.
- bei gemeinsamen Gebrauch
kontaminierter Drogeninjektionsbestecke – wenn schon Drogen,
dann nur mit eigenen Spritzen und Nadeln, gibt’s für
„n Appel un’n Ei“ in jeder Apotheke! Das
Risiko der Übertragung beim Fixen ist höher als bei
zufälligen Nadelstichverletzungen, weil
Drogenabhängige die Lage der Nadel durch das kurze Ansaugen
von Blut kontrollieren (Aspiration).
- bei der Transfusion von
HIV-haltigem Blut oder Blutprodukten – die
Infektiosität einer kontaminierten Blutkonserve liegt bei fast
100 %!
- bei Tätowierungen,
Piercing, Injektionen, Akupunktur, Blutspenden, chirurgischen
Eingriffen in medizinischen oder sonstigen Einrichtungen der Dritten
Welt mit unzureichendem Hygienestandard
- Kinder können
durch HIV-positive Mütter im Mutterleib während der
Schwangerschaft, während der Geburt oder auch beim Stillen
angesteckt werden, denn HIV kann auch über die Muttermilch
übertragen werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine
infizierte Mutter ihr Kind im Mutterleib oder bei der Geburt ansteckt,
lag früher bei 15 %, kann heute aber auf unter 1 % verringert
werden, wenn vor der Geburt gezielte Therapien gemacht werden. Eine
Infektion von Kindern ist heute in Deutschland selten geworden, und
fast immer handelt es sich dabei um Fälle, bei denen die
Erkrankung der Mutter unentdeckt blieb. HIV-infizierte Mütter
sollten nicht stillen.
Literatur:
Am. J.
Epidemiol., 150,
306-311
Deutsch-Österreichische Empfehlungen zur postexpositionellen
Prophylaxe der HIV-Infektion, Eur. J. Med. Res. 2002 ,7, 509-27
Deutsche Apotheker Zeitung 25 (1998) 39-35
www.hiv.net
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