Bernhard
Peter
Todestrank
der Antike:
Der Schierlingsbecher und das Coniin
Abb.: dreidimensionale Darstellung von Coniin
Stammpflanze
und Botanik:
Conium
maculatum, gefleckter
Schierling, aus der Familie der Doldenblütengewächse
(Apiaceae).
Typisch für den Gefleckten Schierling sind die roten bis
dunkelbraunen Flecken im unteren Teil des stark gerillten
Stengels, der innen hohl ist. Die dunkelgrünen
Blätter sind
2-4fach gefiedert, Abschnitte sind fiederspaltig, ferner sind die
Blätter scheidig gestielt. Ihre Oberseite ist
dunkelgrün, die
Unterseite graugrün gefärbt. Die einzelnen
Blattabschnitte sind
grob gezähnt. Die 1-2jährige Pflanze erreicht bis zu
2.50 m
Höhe.
Der Schierling kommt in Europa, Asien und Nordafrika vor,
weiterhin ist er in Nordamerika und im westlichen Südamerika
eingeschleppt worden.
Die Blüten sind schmutzigweiß und unscheinbar, sie
sind in
Doppeldolden von 10-15 Strahlen mit Hüll- und
Hüllchenblättern
angeordnet. Der Gefleckte Schierling blüht von Juni bis
September.
Vielfach findet sich die Erwähnung eines
„Mäuseharnartigen
Geruches“ – wer von den geschätzten Lesern
Mäuse in
der Wohnung hat, wird wohl wissen, was gemeint ist.
Typische Standorte sind feuchte, lehmige und stickstoffreiche
Stellen, wie sie an Bachufern, feuchten Wiesen, an Wegrändern
und Hecken, an Ackerrändern oder an Zäunen etc. zu
finden sind.
Er kommt sowohl im Flachland als auch im Gebirge vor.
Gefährlich sind Verwechslungen der Früchte mit
anderen, in
Küche und Arzneitees verwendeten Früchten (Anis oder
Fenchel),
dabei sollte man auf die Rippen achten, denn die von Conium
maculatum sind gewellt, so daß die Oberfläche der
Samen warzig
erscheint.
Weitere
Namen:
Synonyme im
Deutschen:
Mäuseschierling, Stinkender Schierling, Blutschierling,
Erdschierling, Tollkerbe, Vogeltod, Würgling, Bangenkraut,
Dollkraut, Schwindelkraut.
Bezeichnungen in Kanada: Bunk, Ciguë, Cashes
Bezeichnungen in GB/USA: Poison hemlock, Spotted hemlock, Winter
fern, Snake weed, Poison root, Poison parsley, Spotted parsley
Bezeichnungen in Frankreich: Ciguë
Bezeichnungen in Spanien: Cicuta, Perejil lobulo
Bezeichnungen in Italien. Cicuta maggiore
Achtung
– zweimal Schierling
Wegen der
Ähnlichkeit der
Namen werden leicht zwei „Schierlinge“ verwechselt:
Beide gehören zur Familie der Doldenblütler (Apiaceae), beide sind stark giftig, aber die Giftstoffe sind verschieden und wirken auch auf unterschiedliche Weise.
Giftigkeit:
Die ganze
Pflanze ist sehr
stark giftig. Hauptsächlich kommt es zu Vergiftungen, wenn die
Früchte mit Anis oder Fenchel verwechselt wurden oder die
Wurzel
mit denen von Petersilie oder Meerrettich. Aber die Gifte
können
nicht nur über den Darm, sondern auch über die Haut
aufgenommen
werden. Die mittlere tödliche Menge (LD50) für den
Menschen
beträgt gemäß der Literatur oral ca. 10
mg/kg Körpergewicht
und intravenös ca. 3 mg/kg Körpergewicht. Das
heißt, daß bei
einem erwachsenen Menschen ca. 0.5-1.0 Gramm reines Coniin
tödlich sind. Wenn man von einem Gehalt von 1% der
Früchte
ausgeht, entspricht das 50-100 g Früchte, Abweichungen nach
oben
und unten möglich. Bei Tieren ist die Giftigkeit sehr
unterschiedlich: Schafe sind relativ unempfindlich (240 mg/kg
i.m.), für Kühe reichen aber schon 16 mg/kg
Körpergewicht i.m.
Die
Chemie des Gefleckten Schierlings
Der
Schierling hat
verschiedene Alkaloide des selben Grundtyps als Wirkstoffe. Sie
werden als Piperidin-Alkaloide bezeichnet. Das wichtigste davon
und mit 90% Anteil an der Gesamtalkaloidfraktion überwiegende
ist das Coniin. Das Conicein hat dagegen nur einen Anteil von 9
%, die anderen sind Minderalkaloide (Conhydrin,
1-Piperidin-2-yl-propan-1-ol, N-Methylconiin and
Pseudoconhydrin).
Die Alkaloide sind in allen Pflanzenteilen enthalten. Die Zusammensetzung im Detail hängt vom Pflanzenteil, der Jahreszeit und dem Welkungsgrad der Pflanzenteile ab. Bei der Entwicklung von Blüten und Früchten steigt der Gehalt an Coniin und N-Methyl-Coniin auf Kosten des Coniceins an. Die Alkaloide sind relativ leicht flüchtig, deshalb nimmt ihr Gehalt beim Trocknen ab.
Abb.: Kalottenmodell von Coniin
Coniin:
Bei RT ölige Flüssigkeit, flüchtig, stechend
riechend,
Schmelzpunkt –2°C, Siedepunkt von 164 –
167°C,
verfärbt sich an Luft und Licht dunkel
Summenformel: C8H17N
CAS-Nr.: [10388-95-1]
M = 127.22 g/mol
Spezifische Drehung: [a]D = +15.7°
Brechungsindex : nD20 = 1.4505
Wirkungen
von Schierling bzw. von Coniin
Die
Schierlings-Alkaloide,
insbesondere das Coniin, beeinflussen das zentrale, das periphere
und das autonome Nervensystem. Am Anfang steht eine kurze
Erregungsphase, dann kommt es zu Lähmungen der motorischen
Systeme. Kleine Mengen stimulieren die Ganglien,
größere Mengen
lähmen sie. Die Wirkung ist ähnlich wie die von
Nicotin und
resultiert in einer Betätigung und Arretierung der
Acetylcholin-Rezeptoren. Coniin ist ein Ganglienblocker. Die
Übertragung der Nervensignale auf die Muskulatur wird gehemmt,
es kommt zu Lähmungen. Die typischen Vergiftungserscheinungen
sind, je nach Schwere der Vergiftung:
Erste
Hilfe bei Vergiftungen:
Sofortmaßnahme
ist die Gabe
von Aktivkohle (medizinische Kohle). Der sofort zu rufende
Notarzt wird weitere Maßnahmen durchführen,
insbesondere kann
eine künstliche Beatmung zur Lebensrettung notwendig werden.
Die
Muskelschwächen und Lähmungen können selbst
bei Rettung des
Opfers noch lange Zeit Probleme bereiten. Weitere nicht zu
unterschätzende Risiken sind eine Rhabdomyelyse, die zu
Nierenunterfunktion bis zum Nierenversagen führen kann, dies
kann eine Dialyse notwendig machen.
Berühmtestes
Opfer: Sokrates
Der
Schierlingsbecher war im
antiken Griechenland Mittel zur Vollstreckung von Todesurteilen,
oft zusammen mit Opium angesetzt. Berühmtester Verurteilter
ist
der antike Philosoph Sokrates, der im Alter von 70 Jahren, im
Jahre 399 v. Chr., aufgrund der Anklage, gottlos zu sein (Asebie)
bzw. neue Götter eingeführt und die Jugend durch
verderbliche
Einflüsse gefährdet zu haben, zum Tode verurteilt und
mit dem
Schierlingsbecher hingerichtet wurde. Die Anklage lautete so:
„Zur Niederschrift gegeben hat dies Meletos, der Sohn des
Meletos aus Pitthos, gegen Sokrates, den Sohn des
Sophróniskos
aus Alopeke: Sokrates handelt rechtswidrig, indem er die
Götter,
die der Staat anerkennt, nicht anerkennt und andere, neuartige
göttliche, dämonische Wesen einzuführen
sucht; er handelt
außerdem rechtswidrig, indem er die jungen Leute verdirbt.
Strafantrag: Tod.“ In Wirklichkeit kümmerte sich in
Athen
niemand um die Religiosität eines anderen, aber jeder Vorwand
war recht, um einen politischen Gegner oder einen unbequemen Mann
wie Sokrates aus dem Weg zu räumen. Der eigentliche Grund war
wohl, daß sich Sokrates mit seiner Meinung viele Feinde
gemacht
hatte, insbesondere unter den Politikern, denen er vorwarf,
Ämter durch Geburtsrecht, finanziellen Status oder Volkswahl
angeeignet zu haben, ohne jedoch etwas davon zu verstehen. Der
Gerichtshof, vor dem sich Sokrates zu verantworten hatte, bestand
aus 501 Geschworenen, wie es bei größeren Prozessen
üblich
war. Sokrates verteidigte sich vor Gericht selbst. Die Anklage
konnte er niemals als berechtigt annehmen (wodurch er sein Leben
noch hätte retten können), denn er vertrat stets die
Ansicht,
nur zum Besten des Staates gehandelt zu haben. Die Schuld wird
mit 281:220 Stimmen entschieden. Nach dem Schuldspruch hatte
Sokrates das Recht, eine Strafe für sich selbst vorzuschlagen.
Er vertrat die Ansicht, eine Belohnung wäre angemessener,
nämlich eine Ausspeisung im Prytaneum. Auch wurde angeboten,
Sokrates freizukaufen. Mit 361:140 Stimmen wird das alles
abgelehnt. Eine ungewöhnlich lange Zeit verstrich nach der
Verurteilung bis zur Vollstreckung des Urteils, eine Zeit, in der
Freunde wie Kriton zur Flucht rieten, was Sokrates ablehnte, denn
die Flucht wäre als Tat politischen Unrechts
gegenüber dem
Rat der Athener Bürger zu werten. Mit seinem Tod geht Sokrates
als der Mann in die Geschichte ein, dem die Wahrheit wichtiger
war als sein Leben.
Literatur:
Eberhard
Teuscher, Ulrike
Lindequist: Biogene Gifte, Gustav Fischer Verlag 1994, S.
474-476.
Roth, Dauderer, Kormann: Giftpflanzen – Pflanzengifte,
Nikol-Verlag 1994
http://www.ibiblio.org/herbmed/eclectic/sayre/conium.html
http://www.chm.bris.ac.uk/motm/hemlock/
http://tncweeds.ucdavis.edu/esadocs/documnts/conimac.html
http://www.chem.ox.ac.uk/mom/hemlock/hemlock.html (mit Fehlern)
http://www.ansci.cornell.edu/plants/toxicagents/piperidi.html
http://chemweb.calpoly.edu/chem/bailey/377/PagesW02/Calvin/
http://www.ibiblio.org/herbmed/eclectic/bpc1911/conium.html
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